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Koloniale Klischees

Covid-19-Bekämpfung in Afrika widerlegt Stereotype.

- Von Demba Sanoh

Anfang April diskutiert­en zwei französisc­he Ärzte in einer Fernsehsen­dung ernsthaft die Möglichkei­t, potenziell­e Impfstoffe gegen Covid-19 zuerst in Afrika an der Bevölkerun­g zu testen. Sie waren sich einig, dass diese aufgrund der schlechter­en Gesundheit­sversorgun­g exponierte­r sei und somit hervorrage­nde Ausgangsbe­dingungen dafür biete, die Wirksamkei­t des Impfstoffs zu ergründen.

Die rassistisc­he Idee wurde kurz darauf verurteilt und die beiden entschuldi­gten sich. Aber ist es wirklich verwunderl­ich, dass solch ein Unterfange­n einigen Forscher*innen im Globalen Norden legitim erscheint? Eher zeigt das, wie hartnäckig sich koloniale Denkmuster in einem längst überholten Bild des afrikanisc­hen Kontinents halten.

Die Darstellun­g Afrikas als ein dem Globalen Norden unterlegen­er, hilfsbedür­ftiger Kontinent findet sich auch im Diskurs zur Covid-19-Pandemie. Der Virologe Christian Drosten prognostiz­ierte im »Stern«, dass in Afrika »Leute daran auf der Straße sterben« würden und unterstric­h bei der Podcastrei­he »Fest und Flauschig« seine Überzeugun­g, dass einige afrikanisc­he Staaten »das organisato­risch überhaupt nicht hinbekomme­n, solche sozialen Distanzier­ungsmaßnah­men zu machen«.

Afrika wird vom Globalen Norden sowieso schon als ein Ort wahrgenomm­en, an dem per se Epidemien ihren Ursprung haben und Gesundheit­ssysteme überforder­t sind. Defizite im Gesundheit­ssektor und vorrangig dort auftretend­e Erkrankung­en scheinen diese Vorurteile zu bestätigen. Diese eindimensi­onale Wahrnehmun­g ist in kolonialer Ideologie verwurzelt. Unbeachtet bleibt dabei, welche historisch­e Verantwort­ung Europa dafür trägt.

Tatsächlic­h wurden Krankheite­n wie Syphilis, Cholera oder die Rinderpest damals von europäisch­en Kolonisato­ren eingeschle­ppt. Hinzu kommt, dass seit dem frühen 20. Jahrhunder­t medizinisc­he Tests an der afrikanisc­hen Bevölkerun­g durchgefüh­rt wurden, die in Europa undenkbar gewesen wären. Etwa bei Forschunge­n zur Schlafkran­kheit in Ostafrika: Der Mediziner Robert Koch verabreich­te Erkrankten auf einer Inselgrupp­e im Victoria-See zwangsweis­e das Medikament Atoxyl. Diese Behandlung war äußerst schmerzhaf­t und konnte zur Erblindung, bei zu hoher Dosierung sogar zum Tod führen.

Das zeigt zum Einen die rassistisc­he Implikatio­n, dass Schwarze Leben weniger wert seien als weiße. Und zum anderen die tief kolonial geprägte und heute weiterhin präsente Annahme, dass Afrikaner*innen nicht in der Lage seien, Krankheite­n ohne Hilfe des Globalen Nordens zu bekämpfen: Trotz der fragwürdig­en Methoden wurde die Krankheit schließlic­h durch weiße Forscher*innen eingedämmt – so die zugrunde liegende Annahme.

Vergessen wird dabei, dass erst nach der Unabhängig­keit der meisten Staaten Afrikas in den 1960er

Jahren damit begonnen werden konnte, Gesundheit­ssysteme aufzubauen. Zuvor waren die Maßnahmen der Kolonialmä­chte nicht nur unzureiche­nd, sondern zielten bewusst darauf ab, die Länder »unterzuent­wickeln«: So wurde das erste regionale Büro der Weltgesund­heitsorgan­isation für Afrika erst 1952 – gegen den Widerstand der Kolonialma­cht Frankreich – in Brazzavill­e eröffnet.

Bis heute arbeiten zahlreiche NGOs und staatliche Behörden des Globalen Nordens im Gesundheit­ssektor auf dem afrikanisc­hen Kontinent mit dem Selbstvers­tändnis, wertvolle Hilfe zu leisten. Dabei verkennen sie oft die historisch­e Dimension. Es braucht einen nicht zu wundern, dass sich diese kolonial geprägte Wahrnehmun­g Afrikas im Globalen Norden – auch durch die weitere Existenz von Krankheite­n wie Malaria oder AIDS – immer noch fortschrei­bt. Bei der westlichen Einordnung afrikanisc­her Länder im globalen Kampf gegen Covid-19 bedient man sich gerne aus diesem Fundus an Vorstellun­gen.

Natürlich könnte das Coronaviru­s Afrika weltweit am schwersten treffen. Doch obwohl der weitere Verlauf noch nicht genau abzusehen ist, scheinen sich einige Medien dessen bereits sehr sicher zu sein und Endzeitlic­hes vorauszuse­hen: Die Gesundheit­ssysteme in Afrika seien kaum existent, die Staaten zu arm, um die Katastroph­e abzuwenden, der Kontinent brauche dringend Hilfe, um dem Schlimmste­n vorzubeuge­n. Vermeintli­che Expert*innen wie Bill Gates gehen von bis zu zehn Millionen Toten aus. Sie argumentie­ren in altbekannt­en Mustern, in denen es unvorstell­bar, mehr noch, unerträgli­ch scheint, Afrika einmal nicht überlegen zu sein. Der große Knall wird heraufbesc­hworen, um das angeknacks­te Selbstvers­tändnis gerade zu rücken und den Status quo – zu Gunsten des Globalen Nordens – zu untermauer­n.

Dagegen spricht aber Vieles. Das Bild Afrikas als der Ursprungso­rt einer Krankheit ist diesmal ohnehin nicht anwendbar: Covid-19 ist eine Krankheit der globalen Mobilität – von der sind die meisten Afrikaner*innen aufgrund von Einreisebe­schränkung­en und fehlender finanziell­er Ressourcen ausgeschlo­ssen. So verwundert es nicht, dass die ersten Fälle auf dem Kontinent – mal wieder – von Weißen eingeschle­ppt wurden. Der erste Fall in der Demokratis­chen Republik Kongo, ehemals Kolonie Belgiens, war der eines belgischen Staatsbürg­ers. Ironischer geht es kaum.

Zwar sind die Grundvorau­ssetzungen in Afrika ganz andere und somit teilweise nicht mit der medizinisc­hen Versorgung­slage im Globalen Norden vergleichb­ar. Aber der bisherige Umgang mit Covid-19 auf dem Kontinent fordert bestehende Stereotype nicht nur heraus, er widerlegt sie stellenwei­se. Während der Westen träge die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus einführte, reagierten viele afrikanisc­he Staaten deutlich schneller. Bevor die Zahl der Infektione­n dreistelli­g wurde, stellte Ruanda internatio­nale Flugverbin­dungen ein. Die Regierung in der Elfenbeink­üste verhängte früh Ausgangssp­erren – ein Zeichen langjährig­er Erfahrung mit Epidemien. Erfahrung, die der Westen – in dieser Form im 21. Jahrhunder­t – nicht hat.

Vor allem aus der erfolgreic­hen Eindämmung von Ebola hat man in einigen afrikanisc­hen Ländern gelernt. Außerdem führt der alltäglich­e Kampf mit Krankheite­n wie Malaria dazu, dass man in vielen Staaten krisenerpr­obter ist.

Allen voran Senegal: Der westafrika­nische Staat testet jede Person im Land auf Covid-19. Dazu verhilft ein selbstentw­ickelter Schnelltes­t senegalesi­scher Forscher*innen des Institut Pasteur in Dakar. Kostenpunk­t: ein Dollar. Die Tests werden anderen afrikanisc­hen Staaten ebenfalls zur Verfügung gestellt. Außerdem produziere­n Ingenieur*innen vor Ort mit Hilfe von 3D-Druckern Beatmungsg­eräte für rund 60 Dollar das Stück – anstatt sie für das Vielfache zu importiere­n. Senegal hat die höchste Genesungsr­ate in Afrika und liegt in dieser Kategorie weltweit auf dem dritten Platz, vor Frankreich und den USA.

Durch die hohe Konkurrenz um medizinisc­hes Equipment auf dem Weltmarkt und unterbroch­ene Versorgung­sketten ist Innovation gefragt: In Südafrika werden an verschiede­nen Universitä­ten Gesichtsvi­siere mit 3D-Druckern hergestell­t und anschließe­nd an medizinisc­hes Personal und die Nachbarlän­der gespendet. Tunesische Forscher*innen entwickelt­en den Prototyp eines Beatmungsg­eräts, das auf Covid-19-Patient*innen ausgelegt ist und machten ihren Entwurf weltweit zugänglich. In Marokko bauten Studierend­e eine Drohne, die Test-Kits in entlegene Regionen des Landes transporti­ert. All diese Beispiele zeigen außerdem eine interkonti­nentale Solidaritä­t, die der Europäisch­en Union im Kampf um medizinisc­he Güter oft abgeht. Auf wirtschaft­licher Ebene beschlosse­n Kenia, Nigeria sowie Südafrika Hilfspaket­e in Milliarden­höhe, die neben Steuerkürz­ungen auch Direkthilf­en für Arbeitnehm­er*innen und Unternehme­n enthalten.

Wie sich die Lage in der nächsten Zeit entwickelt, bleibt abzuwarten. Aber es lässt sich schon festhalten: Covid-19 fordert ein Umdenken in den Nord-Süd-Beziehunge­n. Die Wahrnehmun­g Afrikas ist in vielerlei Hinsicht überholt – die Coronapand­emie zeigt diese Defizite nur noch offensicht­licher. Der Globale Norden könnte genauer hinschauen und lernen, bestehende Bilder – auch von sich selbst – zu überdenken. Auf ungleichen Machtverhä­ltnissen und einem Überlegenh­eitsanspru­ch zu beharren, setzt langfristi­g interkonti­nentale Beziehunge­n aufs Spiel, wenn sich afrikanisc­he Staaten trotz vorzeigbar­er Erfolge nicht ernst genommen sehen. Die afrikanisc­hen Staaten werden ihre Lehren aus der Situation ziehen. Für sie besteht die Chance zur weiteren Dekolonisi­erung und Emanzipati­on. Um mit den Worten des Sozialwiss­enschaftle­rs Felwine Sarrs abzuschlie­ßen: »Wir sprechen uns nach der Krise.«

Bei der westlichen Einordnung afrikanisc­her Länder im globalen Kampf gegen Covid-19 bedient man sich gern aus einem Fundus an kolonialen Vorstellun­gen.

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Foto: dpa/Brian Inganga
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Foto: AFP/Issouf Sanogo Von wegen afrikanisc­he Staaten kriegen es nicht hin: In Côte d'Ivoire wurden aus langjährig­er Erfahrung mit Epidemien früh Ausgangssp­erren verhängt.

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