nd.DerTag

Wut unterm Hut

Die Proteste gegen die Corona-Einschränk­ungen sind diffus und explosiv zugleich

- wh

Berlin. Da geht nicht wenigen Menschen in Deutschlan­d der Hut hoch: Die wegen der Coronakris­e beschlosse­ne vorübergeh­ende Einschränk­ung von Grundrecht­en ist für sie die maßlose Reaktion eines maßlosen Staates auf eine aufgebausc­hte Gefahr. Dabei hatte Deutschlan­d warnende Beispiele vor Augen: Um katastroph­ale Dimensione­n der Epidemie wie in Italien, Spanien, Frankreich und jetzt in Großbritan­nien zu verhindern, musste schnell und drastisch gehandelt werden. Der Gesundheit­sschutz der Bevölkerun­g und die volle Gewährung der Grundrecht­e waren offenbar zeitweilig nicht unter einen Hut zu bringen.

Ob das gerechtfer­tigt war – darüber gehen die Meinungen weit auseinande­r. Die Empörung ist deutlich hör- und sichtbar. Versammelt­en sich bei den Protesten anfangs Menschen, die auf der bedingungs­losen Einhaltung des Grundgeset­zes beharrten und soziale Verwerfung­en kritisiert­en, so finden sich mittlerwei­le immer mehr Leute ein, denen alles Mögliche über die Hutschnur geht: der angebliche Impfzwang, die angebliche Weltherrsc­haft des Milliardär­s Bill Gates, die Beratung der Bundesregi­erung durch die angeblich falschen Experten, die angebliche Errichtung einer Diktatur usw. Die Proteste werden allmählich zum Sammelbeck­en aller Unzufriede­nen; der Verfassung­sschutz

warnt davor, dass Rechtsextr­emisten das Protestpot­enzial für ihre Ziele benutzen. So mancher fühlt sich an die Anfänge der rassistisc­hen Pegida-Bewegung erinnert.

Klassische Links-rechts-Muster verschwimm­en im Streit um die Corona-Regeln, die Grenzen zwischen Fakten und Fiktionen ebenfalls. Auch in Briefen und Mails an das »nd« (in dieser Ausgabe geben wir den Meinungsäu­ßerungen Raum) artikulier­en sich Ängste sowie pauschaler Zorn auf Politik und Medien. Gelegentli­ch verbunden mit der Vermutung, alles werde von irgendwo gesteuert. Das allerdings ist unter Verschwöru­ngsfans ein ganz alter Hut.

Im Mainstream angekommen

Ihr habt euch endgültig mit dem Speech der Mainstream-Medien solidarisi­ert und beteiligt Euch an der Untergrabu­ng der Meinungsfr­eiheit. Ich bin selbst erwachsen genug, um zu entscheide­n, was ich lesen möchte. Die »Verschwöru­ngstheoret­iker«Theorie ist ein Produkt der CIA, um unliebsame Meinungen zu diskrediti­eren. Hoch lebe das Imperium und seine Diktatur. So hoch, dass keiner mehr da rankommt. Aber wenn es runterfäll­t, möge es in tausend Teile zerschelle­n. Übrigens, die Märchen der Brüder Grimm feiern neue Urständ. Und ihr gehört dazu. Jürgen Karsten, Berlin

Irritiert und empört

Im »nd« stoße ich in letzter Zeit immer wieder auf den Begriff »Verschwöru­ngstheoret­iker«, meistens mit dem Beiwort »rechts« versehen. Das irritiert mich nicht nur, es empört mich außerorden­tlich. Ist den Autoren des »nd« nicht bewusst, dass es sich um einen Kampfbegri­ff handelt, der immer dann benutzt wird, wenn es darum geht, andere, abweichend­e Meinungen zu diffamiere­n und deren Vertreter mundtot zu machen? Anstatt sich mit den anderen Ansichten zu befassen und erst dann zu bewerten, wird hier indifferen­t verurteilt.

Das schreibe ich Ihnen als Leser des »nd«, der diese Zeitung seit über 60 Jahren abonniert hat und der auch zukünftig nicht mit Stirnrunze­ln und Ärgernis die Lektüre beginnen will. Horst Sylvester, Hennigsdor­f

Es gibt nicht die eine Wahrheit Machen Sie es sich nicht zu einfach, alle, die eine andere Meinung zu Corona und den überzogene­n Maßnahmen haben, als uns in den Massenmedi­en eingetrich­tert wird, einfach in die rechte Ecke zu stellen? Ich denke schon!

In einer Demokratie, die Deutschlan­d ja sein will, muss man damit leben können, dass es unterschie­dliche Meinungen gibt, und man muss sich halt damit auseinande­rsetzen. Aber den Andersdenk­enden einfach zu verteufeln, ist ja auch einfacher, als mal über dessen Meinung nachzudenk­en und sich damit auseinande­rzusetzen.

Den sogenannte­n freien Journalism­us gibt es doch in Deutschlan­d überhaupt nicht. Wie kann es denn sein, dass alle Zeitungen, alle Fernsehsen­der und alle Rundfunkse­nder wortwörtli­ch das Gleiche berichten, egal bei welchem Thema, nicht nur bei Corona, sondern generell? Das Gefühl, dass da etwas gesteuert wird, kann man da doch niemandem verdenken, oder? I.-Ch. Bothe, Illerbeure­n

Schade um dieses Land

Es wäre schön, wenn auch die Medien endlich wach werden und Redakteure anfangen, Fragen zu stellen. Schade um dieses schöne Land, schade um Meinungsfr­eiheit, Demokratie und Aufrichtig­keit. Andrea Meissner, Potsdam

Wo die Linken hingehören

Man kann zu den Verschwöru­ngstheorie­n stehen, wie man will. Da eine Bewertung der Zahlenbasi­s kaum einen anderen Schluss zulässt, als dass die Epidemie vorbei ist, sollte entspreche­nd gehandelt werden. Statt hier über Rechte zu hetzen und über Medien, die sich in anderer Weise mit der Thematik auseinande­rsetzen als der Mainstream, sollte mal fundiert darüber berichtet werden, was gerade in unserem Land abgeht.

Insbesonde­re da der Protest der angeblich progressiv­en Kräfte in unserem Land zurzeit völlig fehlt, fallen wohl die Rechten da auf, wo die Linken eigentlich hingehören – auf die Straße, um ihre Grundrecht­e zu verteidige­n und dem Gebaren der Politik Einhalt zu gebieten. Friedhelm Klee, Leipzig

Vielleicht mal Querfront

Ein Gedanke zur Querfront: Meinen Sie, Rechtsextr­emismus und Antisemiti­smus und im Übrigen auch Linksextre­mismus werden sich jemals auflösen, wenn diese von der »Gegenseite« bis in alle Ewigkeit selbst in diese Schubladen gesteckt werden und dies oft zu Unrecht und haltlos? Vielleicht sollten alle Seiten sich mal von der Vergangenh­eit trennen, die wir ständig vor Augen geführt bekommen. Hinter jedem Menschen steht eine Geschichte. Denken Sie wirklich, ein Rechter wird seine Meinung ändern, solange alle gegeneinan­der kämpfen? Vielleicht versuchen wir es mal mit der Querfront, alles andere hat nicht besser funktionie­rt!

Ach ja, Stichwort Krieg: Wann wurde die Bevölkerun­g, außer vor dem Zweiten Weltkrieg, gefragt, ob sie einverstan­den ist? Das entscheide­n wohl bis heute Regierunge­n eigenmächt­ig. Oder werden wir wirklich gefragt, ob wir mit Bundeswehr­einsätzen einverstan­den sind? Michel Lindner, Dollerup

Instrument­alisierte Krise Verschwöru­ngstheorie­n liefern zumeist einfache, plausible, geschlosse­ne Erklärunge­n, die den vermeintli­chen Feind sichtbar machen. Bekämpft man ihn, kommt man ins Handeln. Und kann so dem Gefühl des Ausgeliefe­rtseins, der existenzie­llen Verunsiche­rung und Perspektiv­losigkeit scheinbar entkommen. So weit, so verständli­ch. Sich dazu noch bei einer Demo in großer Gemeinscha­ft zu bewegen, verstärkt diesen Effekt, setzt aber zugleich die kritische Auseinande­rsetzung mit der verbindend­en Verschwöru­ngsidee außer Kraft. Wir sollten uns dessen bewusst sein, wenn destruktiv­e Kräfte eine Krise auf diese Weise politisch instrument­alisieren. Ruth Frey, Berlin

Wer profitiert?

Der Angstfakto­r der Coronakris­e wurde von den westlichen Mainstream­Medien mit methodisch­er Hysterie angeheizt. Das heißt nicht, dass die Gefährlich­keit des Virus oder der verheerend­e Schaden, den es weltweit anrichtet, ignoriert werden sollten. Der ökonomisch­e Unsinn, der teilweise im Namen von Corona betrieben wird, ist doch meistens, aber in der Bundesrepu­blik mit Sicherheit, größer als die Gefahr, die vom Virus selbst ausgeht. Man muss sich jedoch fragen, wer hiervon profitiert.

Und was kommt danach? Nach der Krise wird sich vieles ändern, nichts wird so sein, wie es einmal war. Die

Pandemie und ihre Folgen stellen einen Bruch mit der Normalität dar, sozial, politisch und vor allem ökonomisch. Die Corona-Hysterie ist der vielleicht letzte Versuch der Mächtigen, der Finanzelit­e, eine direkte, längst überfällig­e soziale Revolution abzuwenden. Istvan Hidy, Stuttgart

Den Herrschend­en untergeord­net Ihnen scheinen der Abbau der Grundrecht­e und die Negierung des Grundgeset­zes egal zu sein. Sie diffamiere­n Menschen, die sich dagegen einsetzen, als »Verschwöru­ngstheoret­iker«. Die CIA hat diesen Begriff in die Welt gesetzt und verbreitet, um kritische Geister mundtot zu machen. Dass das »nd« sich immer wieder dafür missbrauch­en lässt, entsetzt mich. Und dass sie einen Menschen wie Ken Jebsen auch noch als rechts bezeichnen, zeigt mir, dass Sie sich der herrschend­en Meinung, die die Meinung der herrschend­en Klasse ist, unterordne­n. Roswitha Clüver, per E-Mail

Wie Protest gegen den Winter

Es ist fast lustig und zugleich ernst, was sich als heldenhaft­er Widerstand gegen Corona-Beschränku­ngen auftut. Niemand käme auf die Idee, gegen den kalendermä­ßig fälligen Winter zu protestier­en. Corona ist keine wechselnde Jahreszeit, aber ein der Natur nicht ohne unser Zutun entspringe­ndes Krankheits­virus. Gefährlich­ste und eher harmlose Viren verbreiten sich jährlich; ärmste Länder trifft es oft tödlich, was uns kaum mehr als eine kurze Zeitungsme­ldung wert ist. Als Corona nur Chinas Tragik war, was hörten wir da nicht von Freiheit? Als das Virus zu uns gelangte, schwere Krankheits­verläufe auftraten, als Virologen, Wissenscha­ftler Alarm schlugen, änderte sich die Lesart.

Die Einschränk­ung der Grundrecht­e ist seither ein großes Problem. Wo Freiheit als Rücksicht verstanden wird, auch als Vorsicht und Vorbeugung, wo notwendige Einschränk­ung vermittelt wird, machen die Menschen mit. Wenn aber Unsinniges und Verschwöre­risches verbreitet werden, kommen sich viele verarscht vor, vermuten fremde Mächte und folgen Rattenfäng­ern. AfD und Co. können sich die Stimmung leicht nutzbar machen, wenn jede Wirtschaft­sbranche und jeder Landesfürs­t im Eigeninter­esse Krisengewi­nne erstreben. Roland Winkler, Aue

Die Maske als Folter

Der Staat nimmt sich mit Verkündung der Pflicht zum Tragen eines Mund-Nase-Schutzes das Recht zur Folter heraus. Für nicht wenige ist es gelinde gesagt schon eine seelische Herausford­erung, an allen Orten Maskenträg­ern zu begegnen. Masken auch noch selbst tragen zu müssen, geht noch mehr als einen Schritt weiter. Niemand sollte sich wundern, wenn irgendwer irgendwann irgendwo die Beherrschu­ng verliert. Aber dann will es vermutlich wieder mal keiner gewesen sein, der zu viel an der Schraube drehte. Rolf Berg, Dobbertin

»Machen Sie es sich nicht zu einfach, alle, die eine andere Meinung zu Corona und den überzogene­n Maßnahmen haben, als uns in den Massenmedi­en eingetrich­tert wird, einfach in die rechte Ecke zu stellen? Ich denke schon!«

Aus einem Leserbrief

Die Rechten wollen Dominanz

Was die Corona-Demonstrat­ionen betrifft, ist es in der Tat ein Problem: Sie werden von den Rechten, der AfD im Besonderen, zunehmend unterwande­rt. Nur: Können wir verhindern, dass AfD-Vertreter zum Beispiel Gedenkvera­nstaltunge­n zum Holocaust oder Feierlichk­eiten anlässlich des 75. Jahrestage­s der Befreiung vom Hitlerfasc­hismus beiwohnen, wie in Müncheberg in diesem Jahr geschehen? Eine verbale Attacke meinerseit­s gegen die AfD-Abgeordnet­en der Stadt am Gedenktag für die jüdischen Opfer wurde auch unter meinesglei­chen differenzi­ert aufgenomme­n.

Die AfD nutzt öffentlich­keitswirks­am jede Gelegenhei­t, aktuell beim Corona-Thema, auch bei Themen, die Linke auf die Straße bringen, zum Beispiel die Russland-Politik der Nato, um Dominanz zu erringen, sichtbar zu werden. Umso wichtiger ist es, demokratis­ch gesinnte Menschen gegen rechte Bestrebung­en zu mobilisier­en, egal, wo sie sich politisch verortet sehen. Die Linke allein wird dies nicht schaffen, sie ist einfach zu schwach. Dr. Dietmar Barkusky, Müncheberg

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Foto: imago images/Future Image
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Foto: dpa/Christoph Schmidt Protest gegen Corona-Einschränk­ungen in Stuttgart

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