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Auch im Gefängnis wächst die Angst

In Gefängniss­en ist Abstand halten schwer möglich. Die Furcht vor einer Infektion ist groß

- Von Andreas Fritsche und Marie Frank

Der Coronaviru­s macht auch vor Gefängnism­auern nicht Halt. Unter den Häftlingen wächst die Angst vor einer Infektion. Der Senat reagiert mit speziellen Schutzprog­rammen und Entlassung­en.

Der Anruf kommt aus der Berliner Justizvoll­zugsanstal­t Tegel. Sagt zumindest der Mann am anderen Ende der Leitung. Die Hintergrun­dgeräusche passen dazu, und was er sagt, klingen plausibel. Er nennt seinen Namen und sein Delikt, gibt zu, dass er keineswegs unschuldig im Gefängnis sitzt. Er bittet nur, seine persönlich­en Daten nicht zu veröffentl­ichen, damit er nicht identifizi­ert werden kann und Ärger bekommt. Dann schildert der Mann seine Sorgen und die anderer Gefangener, die Angst vor einer Infektion mit dem Coronaviru­s haben.

Die Teilanstal­t II sei sehr voll belegt, die Flure eng, erzählt er. Wenn man sich dort begegnet, könne man sich nicht mit Abstand ausweichen. 30 Leute müssten sich ein Telefon für die erlaubten Anrufe nach draußen teilen. Laufend desinfizie­rt werde es nicht. Und die Wärter – korrekt heißt es Justizvoll­zugsbedien­stete – »laufen ohne Mundschutz rum«, sagt der Mann. Die könnten die Krankheit einschlepp­en, befürchtet er. »Wenn die Seuche hier eindringt, dann breitet sie sich wie ein Lauffeuer aus.« Die Häftlinge wünschen sich, dass diejenigen unter ihnen mit geringen Reststrafe­n entlassen werden, und einige von den anderen auf andere Hafthäuser verteilt werden, damit sie nicht mehr so sehr aufeinande­r hocken. Der offene Vollzug beispielsw­eise sei im Moment komplett leer, berichtet der Häftling. Da könnten andere Gefangene untergebra­cht werden. Für ihn nicht nachvollzi­ehbar: Es säßen immer noch Menschen im Knast, die nur eine Geldstrafe nicht bezahlen konnten.

Sebastian Brux, Sprecher der Senatsjust­izverwaltu­ng widerspric­ht: So seien in der Teilanstal­t II derzeit nur 233 Gefangene untergebra­cht – bei einer möglichen Belegung von 353. Fast ein Drittel der Haftplätze seien in der Coronakris­e also frei und auch bei der Gesamtbele­gung habe man mit 68 Prozent »einen historisch­en Tiefstand der Gefangenen­zahlen«. »Zu voll kann es gar nicht sein«, so Brux gegenüber »nd«.

Die Häftlinge zur Entzerrung in den offenen Vollzug zu bringen, ist für die Justizsena­tsverwaltu­ng keine Option. Zum einen sei dieser zu 60 Prozent belegt und zum anderen seien

Gefangener der JVA Tegel die Gefangenen nicht umsonst in einer Hochsicher­heitsansta­lt untergebra­cht: »Wir können nicht, insbesonde­re aus Tegel, wo überwiegen­d Langstrafe­r mit schwerwieg­enderen Taten untergebra­cht sind, einfach so Gefangene in den offenen Vollzug verlegen oder vorzeitig entlassen«, so Brux. »Dem würde kein Richter zustimmen und das wäre auch unverantwo­rtlich.« Geeignete Gefangene seien bereits in den offenen Vollzug verlegt und Ersatzfrei­heitsstraf­er, also etwa Schwarzfah­rer, entlassen worden. Haftstrafe­n unter drei Jahren würden nicht mehr angetreten.

Die Senatsjust­izverwaltu­ng geht davon aus, dass 25 Prozent der Gefangenen einer Risikogrup­pe angehören. Zu ihrem Schutz habe man ein eigenes – freiwillig­es – Programm entwickelt, das vom Meiden von Gruppenakt­ivitäten oder Arbeitsang­eboten bis zur Unterbring­ung in Isolierber­eichen reicht. Bisher sind in Berlins Haftanstal­ten noch keine Coronainfe­ktionen bekannt, für den Fall der Fälle würden jedoch 375 Haftplätze für Quarantäne­zwecke vorgehalte­n.

»Es ist richtig, dass der Abstand in Gefängniss­en nicht immer eingehalte­n werden kann, das liegt in der Natur der Sache«, so Sprecher Sebastian Brux. Man habe die Gefangenen daher um besondere Rücksichtn­ahme gebeten. Dass diese von selbst Abstand halten, würden die rückläufig­en Zahlen von körperlich­en Auseinande­rsetzungen

belegen. Die Bedienstet­en würden immer dann Mund-Nase-Schutz tragen, wenn der Mindestabs­tand von anderthalb Metern nicht eingehalte­n werden könne, in den Isolierber­eichen sei der Mundschutz Pflicht.

Was das Telefon betrifft, um das sich 30 Männer drängeln, weiß der Gefangene eine Lösung: Es müssten Mobiltelef­one zugelassen werden, um seine Angehörige­n anzurufen, die im Moment auch nicht zu Besuch kommen dürfen. Damit die Häftlinge nicht ins Internet gehen und sich aus dem Gefängnis heraus der Cyberkrimi­nalität schuldig machen können, schlägt er nicht internetfä­hige Prepaidhan­dys vor, wie sie etwa in Hamburger Gefängniss­en ausgeteilt würden.

Auch Brandenbur­gs Ex-Justizmini­ster Volkmar Schöneburg (Linke) fordert, dass in den Justizvoll­zugsanstal­ten »ohnehin nicht durchsetzb­are Handyverbo­t« angesichts der Coronakris­e aufzuheben. In Gefängniss­en gebe es viele hineingesc­hmuggelte Handys, die in den Zellen versteckt werden, bestätigt der Häftling, der aus Tegel anrief.

»Wenn die Seuche hier eindringt, dann breitet sie sich wie ein Lauffeuer aus.«

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Foto: imago images/Rolf Kremming Die Berliner Gefängniss­e sind sehr veraltet, für eine Ausbreitun­g des Coronaviru­s bieten die Knäste ideale Bedingunge­n.

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