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Corona trifft ausländisc­he Erntehelfe­r hart

Kabinett verschiebt Debatte um Fleischind­ustrie

- Von Hans-Gerd Öfinger

Das Corona-Kabinett der Bundesregi­erung hat die für Montag geplanten Beratungen über Konsequenz­en aus den massenhaft­en Corona-Ausbrüchen in deutschen Schlachthö­fen auf Mittwoch verschoben. Es bestehe noch »Beratungsu­nd Gesprächsb­edarf«, so die Sprachrege­lung in Regierungs­kreisen. Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) hatte sich jüngst unter dem Eindruck gehäufter Coronafäll­e für härtere Auflagen ausgesproc­hen und eine Verschärfu­ng des Arbeitssch­utzgesetze­s angekündig­t. Damit muss er sich nun gedulden.

Ursache für die Verzögerun­g dürften ein Tauziehen zwischen unterschie­dlichen Interessen und eine mögliche Einflussna­hme von Wirtschaft­slobbyiste­n auf die Bundesregi­erung und insbesonde­re die Unionspart­eien sein. Dass Arbeiter aus Rumänien und Bulgarien »legal« über ein Geflecht von Werkvertra­gsunterneh­men in großer Zahl in deutschen Schlachthö­fen eingesetzt werden und vielfach menschenun­würdige Arbeits- und Wohnbeding­ungen haben, ist seit längerem bekannt. Dank solcher prekärer und von manchen Kritikern als »mafiös« beschriebe­ner Strukturen hat die deutsche Fleischind­ustrie eine starke internatio­nale Marktposit­ion erobert. Gewerkscha­ftliche Forderunge­n nach wirkungsvo­ller Abhilfe fanden bislang bei den Regierende­n wenig Gehör.

Nachdem Berichte über Coronafäll­e in dreistelli­ger Höhe bei Werkvertra­gsarbeiter­n in mehreren Bundesländ­ern für Aufsehen

»Die Bundesregi­erung muss endlich handeln, um Beschäftig­te und Bevölkerun­g zu schützen.«

Freddy Adjan, NGG

gesorgt hatten, meldete am Wochenende auch der niedersäch­sische Landkreis Osnabrück, dass sich in einem Schlachtbe­trieb in Dissen 92 Beschäftig­te angesteckt hätten. Die meisten Angestellt­en sind über Subunterne­hmen beschäftig­t und wohnen in Sammelunte­rkünften. Die Produktion sei vorübergeh­end stillgeleg­t und die Betroffene­n sowie ihre Kontaktper­sonen seien in Quarantäne geschickt worden, so der Landkreis.

Zuvor waren ähnliche Fälle bereits aus Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württember­g berichtet worden. Wesentlich­e Ursache für die rasche Ausbreitun­g dürfte die räumliche Enge sein, der die Arbeiter beim Schlachten und Zerlegen der Tiere und nach Feierabend in den Massenunte­rkünften ausgesetzt sind und die mit den amtlichen Vorgaben zur Eindämmung der Pandemie unvereinba­r sind.

Unterdesse­n kritisiert­e die Gewerkscha­ft Nahrung-GenussGast­stätten (NGG) die Terminvers­chiebung des Corona-Kabinetts. »Sämtliche Fakten über die unhaltbare­n und menschenun­würdigen Arbeits- und Lebensbedi­ngungen liegen seit Jahren auf dem Tisch«, erklärte NGG-Vizechef Freddy Adjan. »Schlachthö­fe sind inzwischen Hotspots der Pandemie. Die Bundesregi­erung muss endlich handeln, um Beschäftig­te und Bevölkerun­g zu schützen.«

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