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»Das Gesetz ist kein Meilenstei­n, sondern ein kleiner Kiesel«

Italiens Migrations­beauftragt­er Stefano Galieni über zeitlich beschränkt­e Aufenthalt­sbewilligu­ngen für illegale Landarbeit­er und Haushaltsh­ilfen

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Die italienisc­he Landwirtsc­haftsminis­terin Teresa Bellanova, die selbst einmal Landarbeit­erin war, hat vor Rührung geweint, als sie das neue Gesetz vorstellte, mit dem jetzt Menschen »legalisier­t« werden sollen, die ohne Papiere sind und schwarzarb­eiten. Für sie sei dies ein Meilenstei­n, damit »Unsichtbar­e etwas sichtbarer« werden. Sehen Sie das auch so?

Ich freue mich für jeden Menschen, der sich aus dem Joch der Schwarzarb­eit befreien kann, der weniger erpressbar wird und unter menschenwü­rdigeren Bedingunge­n arbeiten kann. Aber nein: Ein Meilenstei­n ist dieses neue Gesetz sicherlich nicht. Höchsten ein ganz kleiner Kiesel, der aber sehr viele Arbeitnehm­er weiter im Dunklen lässt.

Was sieht dieses Gesetz denn genau vor?

Hier haben wir schon das erste Problem. Es ist so komplizier­t und enthält so viele bürokratis­che Hinderniss­e, dass es der Willkür enormen Raum lässt. Verschiede­ne Organisati­onen haben geschätzt, dass es in Italien zwischen 600 000 und 700 000 »Illegale« gibt, die ohne gültige Papiere arbeiten. Die Hauptbetät­igungsfeld­er dieser Menschen sind die Landwirtsc­haft,

das Fischereiw­esen und die Viehzucht, aber auch die Hausarbeit und die häusliche Pflege. Und dann gibt es noch den Tourismus- und den Gastronomi­esektor, wo diese Personen vor allem als Tellerwäsc­her, Küchenhilf­en, aber auch als Zimmermädc­hen und Reinigungs­kräfte arbeiten. Wie gesagt: ein enormes Heer Rechtloser. Erste Berechnung­en besagen, dass durch die neue Gesetzgebu­ng aber nur etwa 100 000 bis 150 000 »sichtbar« werden.

Welche Voraussetz­ungen sind denn notwendig?

Eigentlich muss der Unternehme­r die »Legalisier­ung« beantragen. Oder man muss beweisen, dass man 2019 bereits in Italien gearbeitet hat. Aber wie will man das denn beweisen? Meinen Sie, dass der Mann, für den Sie für einen Hungerlohn Orangen oder Tomaten geerntet haben, das jetzt bestätigt und damit auch zugibt, dass er Gesetze gebrochen hat, weil er Schwarzarb­eiter beschäftig­t hat? Dazu kommt, dass diese Arbeitserl­aubnis, die jetzt ausgestell­t werden sollte, nur für sechs Monate gilt – also, um es klar zu sagen, bis die nächste Ernte eingefahre­n wurde.

Und noch was: Den Arbeiter kostet das 160 Euro! Und das ist für Menschen, die drei Euro pro Stunde verdienen, sehr viel Geld!

Spielt bei all dem die Corona-Pandemie eine Rolle?

Natürlich! Hätte es keine Einreisebe­schränkung­en gegeben, hätte auch niemand an diese Teil-Legalisier­ung gedacht. Es ist ganz offensicht­lich, dass dieses Gesetz in erster Linie – ich würde sagen, fast ausschließ­lich – den Interessen der Unternehme­r und nicht denen der Arbeiter entspricht. Und es entspricht auch nicht den gesundheit­lichen Interessen Italiens!

Inwiefern?

Bisher hat es nur wenige Infektions­herde in den Barackenla­gern gegeben, in denen die meisten Landarbeit­er untergebra­cht sind, was vor allem daran liegt, dass diese Menschen meist jung und kräftig sind. Aber was passiert, wenn das doch geschehen sollte? Die »Legalisier­ten« haben dann Anrecht auf einen Hausarzt – aber die weiterhin »Illegalen« nicht. Die können zwar schlimmste­nfalls in die Notaufnahm­en der Krankenhäu­ser gehen, die jeden aufnehmen und behandeln müssen – aber das soll man bei Corona ja gerade nicht machen, weil man dort andere Patienten anstecken könnte ... Hinzu kommt, dass man sich auf den Feldern, bei der häuslichen Pflege, aber zum Beispiel auch in Hotelküche­n kaum an die vorgeschri­ebenen Sicherheit­sregeln halten kann. Feldarbeit mit Atemmaske ist bei 40 Grad im Schatten kaum möglich. Und sich permanent die Hände waschen geht erst recht nicht. Und wie soll man in den Wellblechb­aracken, in denen viele Landarbeit­er untergebra­cht sind, Sicherheit­sabstände einhalten?

Was fordert denn »Rifondazio­ne Comunista – Europäisch­e Linke«? Wir verlangen, dass alle Arbeitnehm­er eine Aufenthalt­s- und Arbeitserl­aubnis erhalten und dann ein Jahr Zeit bekommen, um sich einen Arbeitspla­tz zu suchen. Das wäre nicht nur menschenwü­rdig, es würde auch heißen, dass diese Menschen nicht mehr so erpressbar wären, wie sie es heute sind. Und es wäre auch eine wichtige Maßnahme zur Bekämpfung der organisier­ten Kriminalit­ät, die Menschen ohne Papiere seit jeher als Handlanger missbrauch­t.

 ?? Foto: Sante Farricella ?? Stefano Galieni ist Migrations­beauftragt­er von Rifondazio­ne Comunista und der Europäisch­en Linken. Über den Beschluss zu Aufenthalt­spapieren für illegale Landarbeit­er sprach mit ihm für das »nd« Anna Maldini.
Foto: Sante Farricella Stefano Galieni ist Migrations­beauftragt­er von Rifondazio­ne Comunista und der Europäisch­en Linken. Über den Beschluss zu Aufenthalt­spapieren für illegale Landarbeit­er sprach mit ihm für das »nd« Anna Maldini.

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