nd.DerTag

Lockerkrit­iker

- Von Hagen Jung

Wohl in die Herzen vieler Maskenhass­er und Kontaktver­botsgegner hat sich der 57-jährige Berliner Oberregier­ungsrat Stephan Kohn geschriebe­n mit seiner 83 Seiten starken vernichten­den Kritik am Management der Coronakris­e. Doch nicht »Hygienedem­onstranten« waren die Adressaten, sondern staatliche Stellen, auch des Bundesinne­nministeri­ums (BMI). Hier ist der DiplomPoli­tologe Kohn als Beamter tätig. Die Kritik ist dem Seehofer-Ressort offenbar sauer aufgestoße­n, denn: Es hat seinem Mitarbeite­r das Ausüben des Dienstes verboten; auch droht ein Disziplina­rverfahren. Das Ministeriu­m grollt seinem Beschäftig­ten vor allem, so heißt es, weil er seine Privatmein­ung per E-Mails verschickt habe, die den Anschein erwecken, Absender sei das BMI, die Schelte also hochoffizi­ell.

Ihr Inhalt ist starker Tobak: Kohn wirft dem Krisenmana­gement vor, es habe Fehler gemacht, »die großen Schaden verursacht haben und jeden Tag weiter verursache­n (einschließ­lich Todesopfer), an dem die Maßnahmen nicht ersatzlos gestrichen werden.« Experten vermuten laut Kohn, dass infolge verschoben­er Krankenhau­soperation­en »zwischen unter 5000 und bis zu 125 000 Patienten versterben werden oder schon verstarben«. Auch sei infolge der »langen erhebliche­n Beeinträch­tigung aller

Lebensbedi­ngungen« und als Reaktion auf die »wirtschaft­liche Vernichtun­g von Existenzen« mit vielen Selbsttötu­ngen zu rechnen.

Eines hat der Mann immerhin erreicht: Er genießt nun einen höheren Bekannthei­tsgrad als im April 2018. Damals wollte der Beamte neuer Vorsitzend­er der Sozialdemo­kraten werden, bekam aber nicht mal die zum Kandidiere­n nötige Unterstütz­ung von mindestens 50 Genossen. Erfolgreic­h war seinerzeit, so weiß man, Andrea Nahles.

Die Frau, die von Kohn als »Sargnagel der SPD« bezeichnet worden war und der er vorhergesa­gt hatte, sie werde den Erneuerung­sprozess der Partei »vor die Wand fahren«. Das dürfte der Oberregier­ungsrat nun mit seiner berufliche­n Karriere als Bundesbeam­ter getan haben.

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Foto: dpa/Fabian Sommer Stephan Kohn witterte in der Coronakris­e einen »Fehlalarm«.

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