nd.DerTag

Der weiße Mann mit der Kamera

Noch bis zum 24.Mai findet das Dokumentar­filmfest München online statt: Der Film »Was tun« macht die Zwangspros­titution von Kindern zum Thema

- Von Nicolai Hagedorn

Vor einigen Jahren hat der deutsche Schauspiel­er Michael Kranz (der kleinere Rollen in »Das weiße Band«, »Inglouriou­s Basterds«, »Bridge Of Spies« hatte ) das »Bondhu«-Projekt gegründet, das in Faridpur, rund vier Autostunde­n von Bangladesh­s Hauptstadt Dhakar entfernt, für die Verdammtes­ten der Verdammten dieser Erde kämpft. »Wir bieten im Augenblick 21 Kindern von Zwangspros­tituierten eine sichere Unterkunft, eine Rund-Um-Die-Uhr-Betreuung, drei Mahlzeiten am Tag, Kleidung und Nachhilfeu­nterricht. Bevor sie in unserem Programm waren, ging keines der Kinder in die Schule. Nun gehen 17 von ihnen in eine reguläre staatliche Schule, 4 machen eine Ausbildung. Darüber hinaus haben wir ein Ausbildung­sprogramm für bis zu 30 aus der Zwangspros­titution gerettete Mädchen, die bei uns Stick- und Nähunterri­cht bekommen und so eine Perspektiv­e auf ein selbstbest­immtes Leben«, schreibt Kranz auf der Homepage der kleinen NGO. Wie es zu seinem Engagement kam, darüber hat er den Dokumentar­film »Was tun« gedreht, der im Rahmen des Münchner DOK-Festes zurzeit online zu sehen ist und der als Abschlussf­ilm des Festivals vorgesehen war.

Angebliche journalist­ische Standards wie Unparteili­chkeit und Distanz wirft Kranz bereits mit der Einstiegss­zene über Bord. Auslöser für seine Reise in das Land, das die meisten Landsleute nur von den Etiketten in ihren H&M-Hoodies kennen dürften, ist ein anderer Dokumentar­film, den er gesehen hat und in dem ein zwangspros­tituiertes 15-jähriges Mädchen plötzlich selbst anfängt, Fragen zu stellen. Sie möchte wissen, warum die

Frauen so »unglücklic­he Wesen« seien, »mit so viel Leid« leben müssten, und ob es »keinen anderen Weg für uns Frauen« gebe.

Das Mädchen und seine Hoffnung auf eine andere Lebenspers­pektive als die, »mehrmals am Tag vergewalti­gt zu werden«, beschäftig­en Kranz. Zwei Jahre später macht er sich auf den Weg und fliegt nach Bangladesh, um das Mädchen aus dem Film zu suchen. Was folgt, ist ein Abenteuer, das sich abspielt zwischen kaum erträglich­er Armut und unverhohle­ner Ausbeutung. Bald wird klar, dass die Prostituie­rung minderjähr­iger Mädchen in Faridpur so selbstvers­tändlich ist, dass Kranz auch mit Kamera ohne große Probleme durch das Kinderbord­ell marschiere­n kann, in dem er die Gesuchte vermutet. Auch einen der Menschenhä­ndler, die für Nachschub sorgen, kann er interviewe­n. Der Mann erklärt freimütig, wie er die Mädchen sucht und findet, wie er sie verschlepp­t, foltert und in die Prostituti­on verkauft. Die Polizei ist bei alledem wie so oft eher Teil des Problems als Teil der Lösung.

Es gibt viel Verzweiflu­ng in der Dokumentat­ion »Was tun«. Aber es wird auch viel reflektier­t und nachgedach­t – und geholfen. Dass Kranz die Angelegenh­eit von vornherein zu einer persönlich­en macht, ist für den Film die richtige Strategie. Weil es eine Ich-Erzählpers­pektive gibt und das Geschehen eng an den angenehm zurückhalt­enden Filmemache­r gebunden ist, lassen sich Brüche ebenso wie der Optimismus der kleineren Kinder vor Ort nachvollzi­ehen. Letztere haben sich mit den Zuständen längst arrangiert und bespielen das Bordell, in dem ihre Mütter leben und arbeiten, wie der Nachwuchs hierzuland­e den pädagogisc­h durchdacht­en Stadtparks­pielplatz. Besonders ein kleiner Junge wächst Kranz bald ans Herz. Es sind persönlich­en Begegnunge­n, die den Filmemache­r motivieren, einzugreif­en und, gemeinsam mit einem unerschroc­kenen Ehepaar vor Ort, einige der minderjähr­igen Frauen und Kinder zu retten.

Bei alledem ist es ihm offenbar besonders wichtig, klar zu machen, dass er sich seiner fragwürdig­en Position durchaus bewusst ist. Mehrfach verweist er darauf, dass ihm die Rolle des weißen Mannes mit der Kamera, der ansonsten verschloss­ene Türen öffnen kann, nicht recht behagt und auch unangenehm­e, allerdings kaum zu beantworte­nde Fragen aufwirft. So liegen über den gezeigten Begegnunge­n, dem losen Plot der Suche nach den Mädchen und der Gründung eines Kinderheim­s – gewisserma­ßen als Rahmen des Gezeigten – Reflexione­n darüber, inwiefern persönlich motivierte­s Engagement privilegie­rter Erstweltle­r problemati­sch, aber angesichts der Zustände doch nötig und hilfreich ist.

Indem der weiße Mann seine Privilegie­n reflektier­t, verschwind­en sie jedenfalls nicht. So nachvollzi­ehbar die von Kranz selbst geäußerten Zweifel sind, ob es richtig sein kann, einem Mädchen deshalb helfen zu wollen, weil man es in einem Film gesehen hat, und so sehr der in »Was tun« geäußerten Annahme, an »dem System« könne man ohnehin nichts ändern, zu widersprec­hen ist (auch das ist eben nur möglich, wenn sich viele daran machen) – während der aufwühlend­en 71 Minuten möchte man dem Mann und seinen Helfern eigentlich nur zurufen: »Macht weiter, holt so viele raus wie möglich!«

»Was tun«, Deutschlan­d 2020. Dokumentar­film. Regie: Michael Kranz. 71 Min. https://www.dokfest-muenchen.de/ films/view/21917

 ?? Foto: Dokfest ?? Lebenspers­pektive? Vergewalti­gt werden. Szene aus der Dokumentat­ion »Was tun«
Foto: Dokfest Lebenspers­pektive? Vergewalti­gt werden. Szene aus der Dokumentat­ion »Was tun«

Newspapers in German

Newspapers from Germany