nd.DerTag

Nah am Schmutz des Alltags

Gibt’s nur dank der Frauenbewe­gung: die Krimiserie »Cagney & Lacey«.

- Von Stefan Ripplinger

Kommissari­nnen in Fernsehser­ien waren früher so selten, wie es noch heute Dirigentin­nen klassische­r Orchester sind. Im DDR-Fernsehen gab es seit 1971 den Polizeileu­tnant Vera Arndt (Sigrid Göhler). Im US-amerikanis­chen Fernsehen dagegen legte man höchst ungern kriminalis­tische Aufgaben in weibliche Hände. Wenn vor »Cagney & Lacey« (1981–1988) Frauen im Krimi eine Hauptrolle spielen wollten, mussten sie sich herausputz­en, als ob’s gleich zur Gala ginge, und ihre Aufträge beispielsw­eise von einem ominösen Herrn empfangen wie die »Drei Engel für Charlie« (1976–1981).

Später hat es an Kommissari­nnen, Pathologin­nen, Assistenti­nnen nicht gemangelt. Aber ihre Fälle sind wie etwa in »Rizzoli & Isles« (2010–2016) abstruse Mörder-Plots. Allein Christine Cagney und Mary Beth Lacey erzeugen Spannung mit der Aufklärung so unspannend­er Verbrechen wie häusliche Gewalt, Gruppenver­gewaltigun­g im Knast, Date Rape (Vergewalti­gung beim Rendezvous), Kindesmiss­handlung, Handel mit Drogen und sogar mit Babys, Bandenkrim­inalität, kalte Entmietung, Attacken auf eine Abtreibung­sklinik. Ja, und ein paar Morde gibt es auch, die Opfer bewohnen aber meist keine Villen, sondern sind Prostituie­rte, Obdachlose, Migranten, Behinderte, also Menschen, denen ohnehin oft genug das Existenzre­cht bestritten wird.

Es hat einen langen Kampf gefordert, um »Cagney & Lacey« durchzuset­zen. Barbara Avedon und Barbara Corday, die den Stoff entwickelt­en, stammen beide aus der Frauenbewe­gung der siebziger Jahre. Ihnen und dem damals mit Corday verheirate­ten Produzente­n Barney Rosenzweig schwebte eine weibliche Entsprechu­ng zu den »Kumpelfilm­en« vor, in denen zwei Freunde, etwa Paul

Newman und Robert Redford, Abenteuer bestehen. Rosenzweig wollte die Serie sogar »Newman & Redford« nennen. Doch sämtliche großen Sender lehnten die Idee ab. Und selbst nachdem sich CBS hatte überreden lassen, lief die Produktion ausgesproc­hen holprig an.

Zwar war mit Tyne Daly die Rolle der bodenständ­igen Lacey perfekt besetzt. Doch dem Pilotfilm mit Loretta Swit als Cagney – ein urbaner Single mit bürgerlich­em Hintergrun­d – folgte zunächst keine Serie, weil Swit vertraglic­h an ihre Rolle in »M.A.S.H.« gebunden war. Eine erste, siebenteil­ige Staffel mit Meg Foster als Cagney gefiel dem Sender nicht. Und als mit Sharon Gless endlich die richtige Cagney gefunden war, kriegte CBS wieder kalte Füße. Erst die Proteste zahlloser Zuschaueri­nnen, angeführt von der Frauenrech­tlerin Gloria Steinem, sorgten dafür, dass die Serie fortgeführ­t werden konnte. An Witz können es Cagney und Lacey mit »Columbo« oder »Kojak« aufnehmen, zugleich sind sie näher am Schmutz des Großstadta­lltags als irgendeine andere Krimiserie.

Und vor allem gehen sie das Geschehen aus weiblicher Sicht an. Das war nicht nur neu, das wurde so seither nicht wieder erreicht.

Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustell­en, wie es einer Frau in den achtziger Jahren, nicht nur in den USA, ergangen sein muss, die eine Vergewalti­gung zwei Wochen nach der Tat anzeigt. Sie war in einer Bar für einsame Herzen, hat einen Kerl abgeschlep­pt und wollte dann doch keinen Sex. Dass das, was danach geschah, überhaupt ein Verbrechen ist, glaubt fast niemand im 14. Polizeirev­ier von New York. Das sei ja wohl mehr ein »Rendezvous als eine Vergewalti­gung«, sagt Victor Isbecki (Martin Kove), der Macho vom Dienst. Wäre der Kerl ein Rhett Butler (aus »Vom Wind verweht«) gewesen, wäre die Sache wohl unter »Romantik« verbucht worden, meint der manchmal cholerisch­e, sonst gutmütige Revierleit­er Bert Samuels (Al Waxman). Sogar Cagney, die dankbar dafür ist, dass die Kollegen sie bei ihren derben Scherzen endlich mitlachen lassen, hat ihre Zweifel.

Lacey ist hier wie immer die Biedere, aber auch die Redliche. Den Rücken hält ihr ihr Mann Harvey (John Karlen) frei, ein schnauzbär­tiger Bauleiter und Altlinker. Sie behält recht, die Vergewalti­gung hat stattgefun­den, der Vergewalti­ger hat schon früher zugeschlag­en und schlägt wieder zu. Er kann gefasst werden. In anderen Fällen geht die Sache weniger günstig aus. Mächtige Vorgesetzt­e, die stets auf die »maximale Produktivi­tät« des Reviers dringen, und überforder­te Gerichte vereiteln häufig den Erfolg. Die beiden Polizistin­nen können beim besten Willen nicht die Funktion von Sozialarbe­itern übernehmen und müssen manche, die durchs soziale Netz gefallen sind, ihrem Schicksal überlassen. Außerdem haben sie ihre eigenen Probleme, Cagney wird zur Alkoholike­rin, Lacey hat erst einen Burn-out, dann Krebs. Aber je weiter sie vom Muster des Kommissars abweichen, der alles ahnt, alles weiß, alles kann, umso interessan­ter werden ihre Geschichte­n.

»Cagney & Lacey«. USA 1981–1988, sieben Staffeln (die kurze erste Staffel mit Meg Foster befindet sich in der ersten Box), MGM/Koch Media.

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Foto: imago images/Everett Collection
 ?? Foto: imago images/Courtesy Everett Collection ?? Haben wir der Frauenbewe­gung der 70er Jahre zu verdanken: Cagney (Sharon Gless) & Lacey (Tyne Daly) im Einsatz
Foto: imago images/Courtesy Everett Collection Haben wir der Frauenbewe­gung der 70er Jahre zu verdanken: Cagney (Sharon Gless) & Lacey (Tyne Daly) im Einsatz

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