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Wieder im Zentrum

Über Chinas Aufstieg und die Beurteilun­g des Landes aus einer linken Perspektiv­e

- Von Alexander Isele

Berlin. Die globale Dominanz der USA ist nicht normal, sagt Kishore Mahbubani, einer der renommiert­esten Politikwis­senschaftl­er Asiens. Jedenfalls dann, wenn man den Blick weitet: »Bis zum Jahr 1820 waren die größten Volkswirts­chaften der Welt stets China und Indien. Nur in den letzten 200 Jahren haben Europa und die Vereinigte­n Staaten ihren Siegeszug angetreten. Verglichen mit den 2000 Jahren zuvor ist die westliche Dominanz also eine Anomalie. Natürlich wird diese irgendwann ihr Ende finden«, prophezeit der frühere UN-Botschafte­r Singapurs im Interview mit dem »nd«. Er erwartet, dass die westliche Dominanz von einem asiatische­n Jahrhunder­t abgelöst wird, in dem China eine zentrale Rolle spielt.

Die Beziehunge­n zwischen den USA und China würden sich weiter verschlech­tern, vermutet er, denn die Erfahrung lehre: »Wenn eine aufstreben­de Macht dabei ist, die bisherige Nummer eins zu überholen, dann steigen die Spannungen.«

Derzeit manifestie­ren sich die Konflikte nicht nur in Handelsstr­eitigkeite­n, sondern auch in militärisc­hen Machtdemon­strationen der beiden Staaten im Südchinesi­schen Meer. Vor dem zurzeit in Peking tagenden Volkskongr­ess warben chinesisch­e Militärs dafür, dass trotz des wirtschaft­lichen Einbruchs das Militärbud­get mindestens gleich hoch bleiben soll.

Sowohl die USA als auch China wollen die EU als Verbündete gewinnen, schreibt Wulf Gallert, Mitglied der internatio­nalen Kommission der Linksparte­i, in einem Gastbeitra­g fürs »nd«. Eine deutsche linke Partei müsse darauf hinweisen, dass sich die Lebenssitu­ation vieler Menschen in China verbessert hat, so Gallert in seiner Erwiderung auf einen Beitrag des Vorsitzend­en des Ältestenra­tes der Linksparte­i, Hans Modrow. Dies sei aber kein Grund, jede Kritik an der politische­n Situation in China zu vergessen.

Die Beziehunge­n zwischen China und den USA sind in einem so schlechten Zustand wie seit über 40 Jahren nicht mehr. Neben dem Wirtschaft­skrieg droht nun die militärisc­he Aufrüstung.

Eigentlich hätte die chinesisch­e Regierung allen Grund zum Feiern: Die Eröffnung des Volkskongr­esses nach über zweimonati­ger Verschiebu­ng an diesem Freitag ist ein symbolisch­er Moment für die Kommunisti­sche Partei. Damit sendet sie aus Peking das Signal, die Coronakris­e im Land im Griff zu haben und langsam zur Normalität zurückzuke­hren – und sich wieder verstärkt der Welt zuwenden zu können.

So kündigte Präsident Xi Jinping in seiner Rede auf der Jahrestagu­ng der Weltgesund­heitsorgan­isation an diesem Montag in Genf zwei Milliarden US-Dollar (1,85 Milliarden Euro) Coronahilf­e zur Unterstütz­ung ärmerer Länder an. Außerdem werde China, sollte es einen Impfstoff gegen das Coronaviru­s entwickeln, diesen zu einem »weltweiten Gut der Allgemeinh­eit« machen und ihn so auch für Entwicklun­gsländer verfügbar und bezahlbar machen.

Dass der Volkskongr­ess aber nicht nur zu einer Feier auf den chinesisch­en Erfolg über die Corona-Pandemie wird, dafür sorgen die sich rapide verschlech­ternden Beziehunge­n zu den USA. Statt sich der nun anstehende­n Aufgabe der wirtschaft­lichen Erholung zu widmen und über Entwürfe für den anstehende­n nächsten Fünf-Jahresplan zu diskutiere­n, müssen sich Regierungs­chef Li Keqiang in seiner Rede zur Lage der Nation und die chinesisch­en Abgeordnet­en mit der Gefahr eines neuen Kalten Krieges auseinande­rsetzen.

In dessen Zentrum stehen die USA und China. Zwar schlägt Peking seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Wuhan mit weltweit fast fünf Millionen infizierte­n und 320 000 Toten global Skepsis entgegen – Australien fordert eine unabhängig­e Untersuchu­ng des Ausbruchs des Coronaviru­s, Frankreich und Großbritan­nien wollen ebenfalls Antworten auf die Frage nach dem Ursprung von SarsCoV-2, und Kanada schloss sich jüngst Forderunge­n nach Reparation­en an, weil China es versäumt habe, das Virus frühzeitig einzudämme­n.

Doch es sind vor allem die USA, die China attackiere­n. Zhang Tengjun vom staatlich geförderte­n China Institut für Internatio­nale Studien hat die diplomatis­che Stimmung mit der antikommun­istischen Hexenjagd in den USA der frühen 1950er Jahren verglichen. Die Beziehunge­n zu Washington seien in den vergangene­n 40 Jahren nie so schlecht wie derzeit gewesen, so Zhang in einem Beitrag für die staatliche­n »Global Times«. Daran sei allein die Trump-Regierung schuld: »Seien es die Lügen, dass das Coronaviru­s

aus einem Labor in Wuhan stamme oder haltlose Behauptung­en, China solle für die Verluste zur Verantwort­ung gezogen werden, die die Epidemie den USA verursacht: Die Trump-Regierung versucht, den McCarthyis­mus um ihrer eigenen politische­n Interessen und der Wiederwahl willens wiederzube­leben«, so Zhang.

Wie schlecht das Verhältnis der beiden Supermächt­e ist, zeigte sich vergangene Woche, als der sich im Wahlkampf befindende US-Präsident sagte, er wolle derzeit nicht mit seinem Amtskolleg­en Xi reden und mit einem Abbruch der Beziehunge­n zu Peking drohte. Neben den Vorwürfen um das Coronaviru­s wiederholt­e Trump dabei auch seine in den vergangene­n zwei Jahren fast mantrahaft vorgetrage­ne Beschwerde über eine jahrelange Ungerechti­gkeit beim Handel zwischen beiden Ländern.

Erst Mitte Januar hatten die USA und China nach einer zähen und erbitterte­n Auseinande­rsetzung ein vorläufige­s Handelsabk­ommen unterzeich­net. Aus Peking hatte es zuletzt geheißen, die chinesisch­e Seite würde dieses gerne nachverhan­deln. Trump erteilte dem Ansinnen aber eine klare Absage: Dazu sei er nicht bereit. Stattdesse­n erklärte er, seine Regierung erwäge, dass chinesisch­e Konzerne künftig amerikanis­che Bilanzrege­ln befolgen müssten, wenn sie an US-Börsen gehandelt werden.

Der Streit zeigt Wirkung. Eine kürzlich veröffentl­ichte Umfrage der

Deutschen Bank ergab, dass 41 Prozent der Amerikaner ein Produkt »Made in China« nicht mehr kaufen würden, ebenso wie 35 Prozent der Chinesen US-Produkte.

Zwar sind die beiden Länder ihre jeweils wichtigste­n Handelspar­tner, doch China versucht weiter erfolgreic­h, andere Länder an sich zu binden. Der gegenseiti­ge Handel zwischen China und den teilnehmen­den Ländern des chinesisch­en Infrastruk­turund Entwicklun­gsprojekts »Neue Seidenstra­ße« in Höhe von mehr als 6,5 Billionen US-Dollar ist nach Angaben der Zollbehörd­e in den vier Monaten des Jahres 2020 um über drei Prozent gestiegen. Die Türkei, Nigeria und andere Länder haben kürzlich neue Projekte unterzeich­net, während bestehende wie die Eisenbahnv­erbindung nach Laos weiter ausgebaut werden. Gut möglich, dass sich in den kommenden Jahren weitere Länder, darunter auch überzeugte US-Verbündete, der chinesisch­en Globalisie­rungsiniti­ative anschließe­n werden – besonders auch, sollten die USA unter Trump in der CoronaWirt­schaftskri­se auf alleinige Gewinne abzielen.

Dass die Angst vor einem neuen Kalten Krieg real ist, zeigt auch das militärisc­he Säbelrasse­ln der beiden Supermächt­e. In den vergangene­n Wochen haben die USA Marineübun­gen in umstritten­en Seegebiete­n in Südostasie­n intensivie­rt, unter anderem mit gemeinsame­n Übungen zwischen der US-Luftwaffe und der USMarine im Südchinesi­schen Meer sowie durch integriert­e Überwasser­schiffe und U-Boot-Kriegsspie­le vor den Philippine­n. Auch haben die USA wieder B1-Bomber auf ihren Stützpunkt auf der Pazifikins­el Guam stationier­t und lassen sie vermehrt zu Übungszwec­ken über das Südchinesi­sche Meer fliegen.

China indessen hat Stützpunkt­e auf umstritten­en Inseln ausbauen lassen, als die Flugzeugtr­äger USS Ronald Reagan und USS Theodore Roosevelt wegen Coronafäll­en an Bord in Japan und Guam anlegten.

Vor dem Volkskongr­ess werben chinesisch­e Militärs dafür, dass trotz des wirtschaft­lichen Einbruchs das Militärbud­get mindestens gleich hoch bleiben, wenn nicht gar erhöht werden soll. Das Stockholme­r Internatio­nale Friedensfo­rschungsin­stitut Sipri schätzt die Verteidigu­ngsausgabe­n Chinas auf 261 Milliarden USDollar, was etwas mehr als einem Drittel der 732 Milliarden Dollar der USA entspricht.

Doch die Rufe in China nach Aufrüstung werden lauter. So forderten gleich mehrerer Kommentato­ren in staatliche­n Zeitungen Anfang des Monats, das chinesisch­e Atomwaffen­arsenal auf über 1000 zu verdreifac­hen. 100, so die »Global Times«, sollten auf die neuartige Dongfeng 41 Interkonti­nentalrake­te montiert werden. Deren Reichweite beträgt 15 000 Kilometer, und damit bis in die USA.

Unter strengen Vorsichtsm­aßnahmen hat die Tagung des chinesisch­en Volkskongr­esses in Peking begonnen. Das Treffen wird überschatt­et von einer sich zuletzt verschärfe­nden Auseinande­rsetzung mit den USA.

Das staatlich geförderte China Institut für Internatio­nale Studien hat die diplomatis­che Stimmung mit der antikommun­istischen Hexenjagd in den USA verglichen.

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Foto: imago images/VCG Der nationale Volkskongr­ess in Peking
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Foto: Getty Images/Feng Li Mit dem Ausbau des Handels versucht Peking, internatio­nal Partner an sich zu binden und so US-Strategien zu durchkreuz­en. Gleichzeit­ig verstärkt China die militärisc­hen Anstrengun­gen.

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