Ende der Subunternehmer
Die Bundesregierung will mit scharfen Auflagen die Arbeit in der Fleischindustrie verbessern
Es ist ein Großreinemachen, das die Bundesregierung der deutschen Fleischindustrie verordnet: Kern der neuen Beschlüsse sind ein Verbot von Werkverträgen und mehr Kontrollen.
Nach massiven Coronaausbrüchen unter ausländischen Schlachthofarbeitern hat die Bundesregierung am Mittwoch die Reißleine gezogen. Das Schlachten und die Verarbeitung des Fleisches in den Betrieben dürfen vom kommenden Jahr an nur noch von eigenen Beschäftigten erledigt werden. »Werksvertragsgestaltung und Arbeitnehmerüberlassung sind damit ab 1. Januar 2021 nicht mehr möglich«, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Für die Fleischbranche unterbunden würde damit, dass Firmen Kernbereiche ihrer Tätigkeit auslagern und damit auch die Verantwortung für Niedrigstlöhne
und menschenunwürdige Unterbringung. Bisher sind viele Arbeiter, die bei Großschlachtern wie Tönnies malochen, bei Subunternehmen beschäftigt. Arbeitsminister Heil stellte nun klar: »Für ein Geschäftsmodell, das Ausbeutung und eine Ausbreitung von Pandemien in Kauf nimmt, kann es in Deutschland keine Toleranz geben.«
Die Bundesregierung reagiert damit auf Coronainfektionen unter Schlachthofarbeitern in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Die seither diskutierten Missstände in der deutschen Fleischindustrie sind allerdings lange bekannt. Gewerkschafter prangern seit Jahren verschachtelte Konstruktionen mit Sub-, Sub-, Subunternehmern an, um Arbeitsbedingungen für die oft aus Osteuropa stammenden Arbeiter zu drücken. Eine frühere Reaktion war beispielsweise die Einführung der Nachunternehmerhaftung in der Fleischindustrie. Sie verpflichtet
Betriebe seit 2017 dazu, darauf zu achten, dass ihre Subunternehmer Sozialabgaben zahlen. Allerdings wurde die Einhaltung der vorhandenen Bestimmungen kaum kontrolliert. So hatte sich die Anzahl der Kontrollen seit 2009 sogar mehr als halbiert, ergab eine Anfrage der Linken im Bundestag im Juli 2019. Von nun an soll besser hingeschaut werden: Das Kabinett beschloss auch eine Ausweitung der Arbeitsschutzkontrollen durch den Zoll und die Länder, eine Pflicht zur digitalen Arbeitszeiterfassung und höhere Bußgelder bei Verstößen.
Gewerkschaften und Oppositionsparteien begrüßten den Regierungsbeschluss. Freiwillige Regelungen hätten nichts an den katastrophalen Zuständen geändert, erklärte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, forderte scharfe Kontrollen.
Arbeitgeber-Vertreter nannten es hingegen inakzeptabel, dass einzelne Missstände der Politik dazu dienen sollten, erfolgreiche Instrumente wie Werkverträge abzuschaffen. Die Geflügelwirtschaft vertrat die Ansicht, Werkverträge allein für die Fleischindustrie zu verbieten, sei verfassungswidrig. Das Beispiel der Leiharbeit indes zeigt, dass Ausnahmen für einzelne Branchen durchaus möglich sind. Sie ist bis heute im Baugewerbe verboten.
Corona-Ausbrüche haben die Ausbeutung von ausländischen Arbeitern in deutschen Fleischfabriken ins Licht gerückt: Das Kabinett beschloss nun schärfere Auflagen – die Industrie droht bereits mit Klagen.
Die Bundesregierung hat sich am Mittwoch darauf verständigt, Werkverträge und Leiharbeit in der Fleischindustrie zu verbieten. Konkret soll das Schlachten und Zerlegen in den großen Fleischfabriken ab dem 1. Januar 2021 nur noch von angestellten Beschäftigten getätigt werden können. Damit soll erreicht werden, dass Großbetriebe die Verantwortung für Niedrigstlöhne und menschenunwürdige Unterbringung nicht länger von sich weisen können. Heute geht das, weil die Arbeiter bei Subunternehmen beschäftigt sind. Das Verbot ist Teil eines umfassenden Arbeitsschutzprogramms, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im Anschluss an die Kabinettssitzung in Berlin. Ausgenommen werden solle das Fleischerhandwerk. Kleine Metzgereien oder die Wursttheke im Supermarkt seien nicht gemeint.
Ausgelöst worden war die Debatte über die Fleischindustrie durch massenhafte Coronainfektionen in Schlachtbetrieben in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Es sei nicht akzeptabel, so der Arbeitsminister, »wenn sich Einzelne an bestehende Gesundheits- und Arbeitsschutzregeln nicht halten«. Viele Menschen und mittelständische Unternehmen in
Coesfeld hätten sich auf die Lockerungen der Ausgangssperren gefreut und mussten dann erleben, dass »ein ganzer Landkreis wieder in den Lockdown geführt wurde«.
Zu den im Eckpunktepapier genannten Sofortmaßnahmen zählt die massive Ausweitung von Kontrollen, die auch andere Branchen wie etwa die Saisonarbeit in der Landwirtschaft betreffen können. Auch hier sind Beschäftigte teilweise unter katastrophalen Bedingungen untergebracht. Das Bundesarbeitsministerium will neben dem Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der
Fleischindustrie das Arbeitsschutzgesetz neu fassen und festlegen, wie oft Betriebe kontrolliert werden. Die Arbeitgeber sollen überdies zur Einführung der digitalen Arbeitszeiterfassung verpflichtet werden, die Bußgelder sollen von 15 000 auf 30 000 Euro steigen. Überdies soll geprüft werden, wie ein Gesetz zu Mindeststandards der Unterbringung aussehen könnte.
Das DGB-Projekt Faire Mobilität, das ausländische Beschäftigte in ihrer Landessprache berät, soll überdies per Gesetz auf Dauer gestellt werden, was dessen Leiter ausdrücklich begrüßte. »Das Beste ist, dass die Bundesregierung gegen diese Form von Werkverträgen endlich vorgehen will«, sagte Dominique John gegenüber »nd«. Er sieht eine »ernsthafte Motivation, gegen die Verantwortungslosigkeit in der Branche etwas zu unternehmen«.
Johannes Jakob, Leiter des Bereichs Arbeitsmarktpolitik beim DGBBundesvorstand, sagte gegenüber »nd«, mit dem Ende der Werkverträge und Subunternehmerketten ab 2021 sei eine zentrale Forderung des DGB erfüllt. Er betont die positiven Folgewirkungen von Festanstellungen
in den Schlachtbetrieben: »Die Betriebsräte sind zuständig und können die Arbeitsbedingungen kontrollieren. Der Abschluss von Tarifverträgen wird möglich«, so Jakob. Diese Rechte waren im System der Werkverträge in der Regel nicht durchsetzbar. »Damit erwarten wir mittelfristig eine dauerhafte Verbesserung der Arbeits- und Einkommensbedingungen und eine Verbesserung der Wohnsituation, weil die Menschen sich hier dauerhaft ansiedeln können.« Die für die Fleischwirtschaft zuständige Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) forderte, der Kabinettsbeschluss müsse eins zu eins umgesetzt werden. NGG-Vize Freddy Adjan warnte die Unionsfraktion davor, die Eckpunkte im Gesetzgebungsverfahren zu verwässern.
Die Kritik kam prompt. Der Präsident des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft, FriedrichOtto Ripke, hält ein Verbot von Werkverträgen für die Fleischindustrie für potenziell verfassungswidrig. Denn Werkverträge gebe es auch in anderen Branchen, sagte er im Inforadio des rbb. Der Fleischunternehmer Clemens Tönnies warnte in einem Interview, Schlachtung und Veredelung drohten künftig durch EU-ausländische Konkurrenz ersetzt zu werden.
Doch Minister Heil gab sich selbstbewusst. Die Bedenkenträger hätten sicher das Geld, entsprechende Gutachten zu erstellen, sagte er. Aber man werde einen rechtlich sauberen Gesetzentwurf mit klaren Abgrenzungen zu anderen Branchen vorlegen.