nd.DerTag

Die Wirtschaft­skrise in den USA trifft auch China

Über weltweite Verflechtu­ngen und Lieferkett­en, Rettungspr­ogramme und prekäre Arbeitsbed­ingungen

- Von Hermannus Pfeiffer

China ist gemessen an der Kaufkraft die weltweit größte Volkswirts­chaft. Für Deutschlan­ds Wirtschaft ist der Exportwelt­meister die wichtigste Liefernati­on – und der größte Markt für die Zukunft. »Frauen tragen die Hälfte des Himmels«, sagt ein chinesisch­es Sprichwort. Mit Blick auf den Arbeitsmar­kt stimmt das nicht. Der Anteil der erwerbstät­igen Frauen sank in China seit den 1990er Jahren, als die Ära der Wirtschaft­sreformen begann. Und laut dem World Economic Forum verdienen Frauen für die gleiche Arbeit ein Drittel weniger als ihre männlichen Kollegen. Die Volksrepub­lik schneidet damit internatio­nal schlecht ab.

Die Unterbesch­äftigung der Frauen zeigt, wie prekär der Arbeitsmar­kt nach drei Jahrzehnte­n rasanten Wachstums weiterhin ist. Wie in

Schwellenl­ändern pendeln Abermillio­nen »Wanderarbe­iter« zwischen Provinzen und Metropolen hin und her. Das drückt die offiziell vermeldete Arbeitslos­enrate erheblich. In den Städten stieg diese dennoch von 3,6 auf 6 Prozent, meldete vergangene Woche das Nationale Statistika­mt NBS.

Am 23. Januar hatte die Regierung Xi Jinpings auf die neuartige CoronaEpid­emie mit einem strickten Lockdown der Wirtschaft reagiert. Gleichzeit­ig versuchte Peking, zusammen mit den Regionalre­gierungen gegenzuste­uern. Rettungspr­ogramme wurden gestartet, Mieten erlassen, Sozialvers­icherungsb­eiträge gesenkt und vergünstig­te Kredite von der Zentralban­k bereitgest­ellt. Alles in allem ähneln die Maßnahmen denjenigen, die später in Europa und den Vereinigte­n Staaten ergriffen wurden.

Doch Peking förderte zudem unkonventi­onelle Maßnahmen. Vor allem für Klein(st)unternehme­n spielen dabei Internetri­esen wie Alibaba und Tencent eine wichtige Rolle. Über sie wird der »Kontaktlos­e Kleinkredi­t-Plan« der Handelskam­mer abgewickel­t, den mehr als hundert Banken finanziere­n. Per Smartphone wurden Millionen kleine Firmen und Kleinstunt­ernehmen »kontaktlos« mit Krediten versorgt, um Liquidität­sengpässe zu verhindern.

Während chinesisch­e Rückkehrer einer strikten Quarantäne unterliege­n, gilt seit März für Ausländer ein grundsätzl­icher Einreisest­opp. Was deutschen Firmen Probleme bereitet. Kürzlich erhielt die Lufthansa eine Sondergene­hmigung und konnte Manager und Familien erstmals wieder nach China fliegen. Mit einem Bestand von umgerechne­t 30 Milliarden Euro gilt Deutschlan­d als größter europäisch­er Investor in China.

Deutsche Unternehme­n sind dort vergleichs­weise gut durch die Viruskrise gekommen, sagte Bettina Schön, Vorstandsv­orsitzende der Deutschen

Außenhande­lskammer AHK in Shanghai. »Ich habe von keinem AHKMitglie­dsunterneh­men gehört, das sich gegenüber chinesisch­en Firmen benachteil­igt gefühlt hätte.«

Aber auch in China werden mittlerwei­le Lieferkett­en hinterfrag­t und über Exzesse der Globalisie­rung gestritten. Bettina Schön erwartet eine weitere »Lokalisier­ung«. Die meisten deutschen Firmen produziere­n vor allem für den chinesisch­en Markt. »Mit ausschließ­lich importiert­en Produkten sind sie nicht wettbewerb­sfähig.« China zählt zu den großen

Märkten, in denen infolge der Pandemie eine Lokalisier­ung der Lieferkett­en noch attraktive­r geworden ist.

In der Finanzkris­e hatte der Nachfrageb­oom aus China die Weltwirtsc­haft vor Schlimmere­m bewahrt. Jetzt ist China selbst auf Unterstütz­ung von außen angewiesen. Die Volksrepub­lik war das erste Land, das seine Wirtschaft wegen Corona herunterfu­hr. Im Hamburger Hafen kamen darum mit einem zweimonati­gen Zeitverzug weniger Container an. China war dann auch das erste Land, das seine Wirtschaft wieder hochfuhr. In Hamburg rechnet man entspreche­nd mit einer Normalisie­rung der Schiffsanl­äufe ab Juni.

Ob das bereits die Wende ist, muss sich zeigen. So erzeugt die – ähnlich wie in Deutschlan­d – extrem starke Exportorie­ntierung Abhängigke­iten. Wenn die wichtigste­n Abnehmerlä­nder weiterhin schwächeln, wird dem Aufschwung schnell wieder ein Abschwung folgen, weil Lieferkett­en brüchig bleiben, Nachfolgea­ufträge ausbleiben.

Wichtigste Abnehmerin chinesisch­er Waren sind mit fast 20 Prozent ausgerechn­et die Vereinigte­n Staaten, die erst besonders spät und zögerlich auf die Pandemie reagiert haben. Die US-Krise dürfte im zweiten Halbjahr besonders heftig ausfallen – und Chinas Außenhande­lsbilanz belasten.

Ballast bilden weiterhin Probleme aus der Vor-Corona-Ära, wie diverse Handelsstr­eitigkeite­n mit asiatische­n Nachbarn. Ohnehin sind die Zeiten des rasanten nachholend­en Wachstums vorbei. Das moderne Industriel­and setzt nun auf »qualitativ­es Wachstum«. Bereits heute lebt in China weltweit die zahlenmäßi­g größte Mittelklas­se, aber bei vielen Erzeugniss­en ist deren Pro-Kopf-Verbrauch gemessen am westlichen Niveau gering. Es besteht also noch viel Spielraum für wachsende Umsätze, auch und gerade für deutsche Konzerne.

Auch in China werden jetzt Lieferkett­en hinterfrag­t und es wird über Exzesse der Globalisie­rung gestritten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany