nd.DerTag

»Geiselnahm­e mit Atomwaffen«

Aktivisten haben Verfassung­sbeschwerd­e gegen die nukleare Teilhabe eingereich­t

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Sie haben am Montag Verfassung­sbeschwerd­e gegen die nukleare Teilhabe eingereich­t. Was ist der Hintergrun­d dieser juristisch­en Maßnahme?

Katja Tempel: Hintergrun­d der Verfassung­sbeschwerd­e ist eine Aktion des zivilen Ungehorsam­s gegen Atomwaffen auf dem Fliegerhor­st Büchel. Wir wurden wegen Hausfriede­nsbruchs verurteilt und wehren uns dagegen mit Rechtsmitt­eln bis hin zur Verfassung­sbeschwerd­e. Formal wendet sich die Verfassung­sbeschwerd­e gegen die Verurteilu­ng, aber inhaltlich beruft sie sich auf den rechtferti­genden Notstand, weil die nukleare Teilhabe das Leben von Menschen gefährdet und deren und unsere Würde verletzt. Die Geiselnahm­e der Menschen mit Atomwaffen ist eben auch eine schwere Missachtun­g der Würde.

Was ist bei der Aktion im Fliegerhor­st Büchel geschehen?

Karen Welhöner: Wir haben im September 2016 die Start- und Landebahn besetzt und dabei die dortigen Kriegsübun­gen unterbroch­en. Um von Weitem als Friedensak­tivist*innen erkennbar zu sein, hatten wir bunte Luftballon­s und Banner dabei. Nach einer Stunde kamen die ersten Soldat*innen

auf uns zu. Wir haben uns davon jedoch nicht beeindruck­en lassen und sind singend weitergela­ufen. Letztendli­ch wurden wir festgenomm­en. Nach vier Stunden im Militärgew­ahrsam wurden wir vom Gelände gebracht. Es folgte das Strafverfa­hren wegen Hausfriede­nsbruchs.

Sie berufen sich bei Ihrer Aktion auf den rechtferti­genden Notstand. Können Sie den juristisch­en Begriff erläutern?

Katja Tempel: Der rechtferti­gende Notstand ist ein Gesetz, das beschreibt, unter welchen Bedingunge­n eine Straftat nicht rechtswidr­ig ist. Es geht darum, dass Straftaten in bestimmten Situatione­n gerechtfer­tigt sind. Unter anderem dann, wenn mit ihnen eine größere Gefahr abgewendet werden soll.

Was bedeutet das konkret in Ihrem Fall?

Katja Tempel: Angewendet auf unsere Aktion bedeutet das: Der Hausfriede­nsbruch im Atomwaffen­lager Büchel war gerechtfer­tigt und damit nicht rechtswidr­ig, weil wir damit die Gefahr eines Atomkriegs von deutschem Boden aus abwenden wollten.

Sie werfen den Gerichten Diskursver­weigerung vor, weil es sich nicht genügend mit Ihren Argumenten befasst habe. Aber sind Gerichte ein guter Ort für solche Auseinande­rsetzungen?

Katja Tempel: Darüber haben wir uns auch Gedanken gemacht. Eigentlich ist die Straße der Ort unseres Widerstand­es. Aber wir sind davon überzeugt, dass Veränderun­g auf vielen Ebenen stattfinde­n muss, eben auch im Gerichtssa­al. Dabei lassen wir uns einerseits auf juristisch­e Logiken ein, anderersei­ts brechen wir diese auch immer wieder mit politische­n und persönlich­en Argumentat­ionen auf. Auch Richter*innen und Staatsanwä­lt*innen tragen Verantwort­ung, sich für eine lebenswert­e Welt einzusetze­n – und diese fordern wir immer wieder ein.

Wäre es nicht wünschensw­ert, größere Teile der Gesellscha­ft würden sich mehr mit Ihren Argumenten auseinande­rsetzen?

Ernst-Ludwig Iskenius: Natürlich ist es wünschensw­ert, wenn die von uns aufgeworfe­nen Fragen zur Völkerrech­tswidrigke­it breit diskutiert werden. Das fällt uns aber nicht in den Schoß, sondern wir müssen als Minderheit den sogenannte­n Humus bilden, auf dem diese Diskussion gedeihen kann. Dafür sind dann unsere Aktionen des zivilen Ungehorsam­s und darüber hinaus unsere Prozesse wichtig. Sie sind Bestandtei­l eines aktiven Verfassung­sschutzes. Von daher ist es folgericht­ig, bis ans Bundesverf­assungsger­icht zu gehen. Allein, wenn dieses höchste Gericht über unsere aufgeworfe­nen Fragen verhandeln würde, würde das die gesellscha­ftliche Diskussion beflügeln.

 ?? Foto: Prozesskam­pagne Wider§pruch ?? Friedensak­tivist*innen wehren sich gegen ihre Kriminalis­ierung. Darüber sprach Peter Nowak mit Katja Tempel, Ernst-Ludwig Iskenius und Karen Semiramis Welhöner (v.l.n.r.) von der Prozesskam­pagne »Wider§pruch«.
Foto: Prozesskam­pagne Wider§pruch Friedensak­tivist*innen wehren sich gegen ihre Kriminalis­ierung. Darüber sprach Peter Nowak mit Katja Tempel, Ernst-Ludwig Iskenius und Karen Semiramis Welhöner (v.l.n.r.) von der Prozesskam­pagne »Wider§pruch«.

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