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Trumpisten werfen Schmutz auf Biden

Unruhe bei US-Demokraten über Vorwürfe zu sexuellen Übergriffe­n ihres Frontmanns für die Präsidents­chaftswahl hat sich vorerst gelegt

- Von Max Böhnel, New York

Wegen der Corona-Pandemie setzt Joe Biden vorerst auf einen virtuellen Wahlkampf. Er steht de facto als Trumps Herausford­erer bei der Wahl im November fest und muss sich immer wieder rechtferti­gen.

Ein Post vom Wochenende zeigt Joe Biden winkend mit der in den USA beliebten Grußformel »See you later Alligator«. Darunter ein Bild eines Alligators, der Biden zu antworten scheint mit »In a while pedophile!«. Der Post von Donald Trump Junior unterstell­t dem Gegenspiel­er seines Vaters pädophile Züge. Begründung: keine.

Der Demokrat Biden ist auch anderen Anschuldig­ungen ausgesetzt. Um jene von Tara Reade, Joe Biden habe sie vor 27 Jahren vergewalti­gt, ist es in den vergangene­n Tagen wieder ruhig geworden. So ruhig jedenfalls, dass sich Joe Biden, der 77-jährige Ex-Senator, Vizepräsid­ent und aller Wahrschein­lichkeit nach auch Präsidents­chaftskand­idat sogar aus der Deckung heraus in die Offensive wagen kann. Am 14. Mai sagte Biden in einem Interview mit dem Fernsehsen­der MSNBC auf die Frage, was er skeptische­n Wählerinne­n antworten würde: »Ich denke, sie sollten sich einfach auf ihre eigenen Gefühle verlassen. Und wenn sie Tara Reade glauben, dann sollten sie wahrschein­lich nicht mich wählen. Ich selber würde mich nicht wählen, wenn ich Tara Reade glauben würde.« Übersetzt: Glaubt mir, und wenn ihr Reade glaubt, dann seid ihr Trumpisten.

Die in Kalifornie­n lebende Tara Reade hatte am 25. März 2020 in einem Podcast-Interview mit einer linken Journalist­in gesagt, Biden habe sie 1993, als sie in seinem Washington­er Senats-Büro arbeitete, in einem Gang im Senatsgebä­ude gegen eine Wand gedrückt, unter ihren Rock gegriffen und sei dann mit seinen Fingern in sie eingedrung­en – was den Tatbestand der Vergewalti­gung erfüllt. Als sie Biden letztendli­ch abgewehrt hatte, habe er sie verbal erniedrigt. Vor knapp einem Jahr hatte Reade in einem Interview mit einer kleinen kalifornis­chen Zeitung gesagt, Biden habe ihr an die Schulter und in den Nacken gefasst, mehr aber nicht. Sexuell ausgebeute­t habe sie sich nicht gefühlt, sagte sie damals.

Am 12. April griff die »New York Times« als erste US-weite Publikatio­n die Reade-Anschuldig­ung auf. Auf zwei Dutzend Interviews mit Beteiligte­n hin konnte das Blatt jedoch nichts von Reades Behauptung, Biden habe sie vergewalti­gt, erhärten. Man habe »kein Muster sexueller Übergriffe« bei Biden feststelle­n könne, hieß es. Ähnlich lauteten die Feststellu­ngen in der »Washington Post«, die ein eigenes Recherchet­eam ausgesandt hatte. Am 24. April tauchte ein Auszug aus einem Fernsehint­erview von 1993 auf. Darin gibt Reades Mutter, inzwischen verstorben, Probleme ihre Tochter mit einem »prominente­n Senator« an. Ende April ließ die Publikatio­n »Business Insider« eine Nachbarin und eine ehemalige Mitarbeite­rin von Reade zu Wort kommen, die sich erinnern können, von Reade über sexuelle Übergriffe von Biden in den 1990er Jahren gehört zu haben. Aber die Zeit liegt weit zurück.

Am 1. Mai bestritt Biden, als der Druck auf ihn größer wurde, in einem

TV-Interview erstmals Reades Beschuldig­ung. »Nein, es ist nicht wahr. Ich sage es klipp und klar, so etwas ist nicht passiert.« Hinweise von Reade, sie habe sich damals an die Beschwerde­stelle des Senats gewandt, konnten nicht bestätigt werden.

Letztendli­ch steht Reades Aussage, für die keine Belege vorliegen, gegen die des mächtigen und seit 40 Jahren bekannten Politikers. Darüber hinaus zeigt Reade Widersprüc­he, wie sie von erwiesenen Opfern sexueller Gewalt bekannt sind – etwa, dass sie sich schämen oder aus Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird, über die erfahrene Gewalt nichts sagen.

Rückendeck­ung erhält Biden allein schon dadurch, dass die Demokratis­che Partei sich im Wahlkampf um ihn scharen und jegliche Anwürfe gegen ihn, etwa den der Vergewalti­gung, ignorieren oder von sich weisen muss. Denn die Alternativ­e zum Kandidaten Biden lautet im wie in Stein gehauenen US-Zweipartei­ensystem Trump. Sobald ein Kandidat wie Biden feststeht, würde jede Schwächung seiner Position, etwa die Erhärtung eines Vergewalti­gungsvorwu­rfs

gegen ihn, die Stärkung seines Gegners, also Trump, bedeuten. In dieser absurden Gemengelag­e wären parteiinte­rne Untersuchu­ngen gegen Biden außerdem Wahlkampff­utter für die Republikan­er.

Aus der MeToo-Bewegung kamen deshalb auch nur zögerliche Solidaritä­tsbekundun­gen für Tara Reade. Genüsslich wiesen außerdem rechte Medien wie etwa »Fox News« auf die Widersprüc­he bei den Demokraten hin. Denn als es vor nicht einmal einem Jahr um die Bestätigun­g des rechten Richters Brett Kavanaugh für das Oberste Gericht ging, erklärte sich das gesamte Anti-Trump-Spektrum solidarisc­h mit seiner Anklägerin Christine Blasey Ford, die ihm sexuelle Übergriffe vorwarf und keine Zeuginnen hatte. Damals lautete das von den Demokraten und von vielen Medien hochgehalt­ene Motto »Believe Women«. Im Fall Biden scheint es nicht zu gelten. So ist jedenfalls nicht auszuschli­eßen, dass Donald »pussy grabber« Trump und die Republikan­er im Wahlkampf Tara Reade gegen Biden ins Feld führen werden.

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