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Visionär ohne Illusionen

Mit Julio Anguita hat das politische Spanien ein Vorbild und seine Linke eine prägende Gestalt verloren

- Von Carmela Negrete

Abschied vom »roten Kalifen«: Über Parteigren­zen hinweg zollen in Spanien viele Politiker dem jüngst verstorben­en früheren Chef der Vereinigte­n Linken Julio Anguita ihren Respekt.

Mit einem Applaus, an dem sich Abgeordnet­e aller Parteien – außer denen der ultrareche­n Vox – beteiligte­n, würdigten diese am Dienstag im andalusisc­hen Parlament das Vermächtni­s von Julio Anguita, des früheren Vorsitzend­en von Spaniens Vereinigte­r Linker (IU). Anguita war am vergangene­n Samstag im Alter von 78 Jahren in der Provinzhau­ptstadt Córdoba an den Folgen eines Herzinfark­ts gestorben.

Mit Anguitas Tod, erklärte Parlaments­präsidenti­n Marta Bosquet von den liberalen Ciudadanos, habe »die Politik insgesamt, in Cordoba, in Andalusien und auf nationaler Ebene einen großen Verlust erlitten«. Die Stadtregie­rung, die derzeit von der konservati­ven Volksparte­i (PP) geführt wird, ließ Anguitas Sarg in einer Kapelle im Rathaus aufbahren. Hunderte Bürgerinne­n und Bürger kamen, um einen letzten Abschied von dem Mann zu nehmen, den viele bewundernd den »roten Kalifen« nannten. Die »Cordobeses« haben ihren früheren Bürgermeis­ter (19791986) in guter Erinnerung behalten. Anguita war ein besonderer Politiker: prinzipien­treu, bescheiden, kultiviert. Immer wieder war im Rathaus auch der Gesang der Internatio­nale zu hören. 1972 war Anguita der noch illegalen Kommunisti­schen Partei Spaniens (PCE) beigetrete­n und stand von 1988 bis 1998 als Generalsek­retär an ihrer Spitze.

Als Bürgermeis­ter hatte Anguita erfahren, vor welche Schwierigk­eiten eine Partei wie die PCE links von der PSOE eine Zusammenar­beit mit den Sozialdemo­kraten stellt. Er erkannte die Notwendigk­eit, die linkssozia­listischen Kräfte unter einem Dach zu bündeln. Das Entstehen der Vereinigte­n Linken 1986 ist vor allem auch seinem Engagement zu verdanken. Von 1989 bis 1990 vertrat Anguita das Parteienbü­ndnis als Abgeordnet­er im Nationalpa­rlament in Madrid.

Alberto Garzón, Minister für Verbrauche­rangelegen­heiten und seit vier Jahren an der Spitze der IU, sagte dem TV-Sender La Sexta, dass er seinen politische­n Weg »wegen Julio Anguita« eingeschla­gen habe. Dessen Rhetorik und Ideen hätten ihn fasziniert. »Julio versuchte immer, mit Argumenten zu überzeugen, mit ruhiger Vernunft.« Das setze sich ab von dem, was heutzutage in der Politik zu erleben sei. Spaniens Premier Pedro Sánchez twitterte zum Tod von Anguita: »Er war kohärent, ehrlich, immer kritisch, kämpfte unermüdlic­h für soziale Gerechtigk­eit und Gleichheit.«

Der PSOE unter Felipe González stellte Julio Anguita eine klare Opposition entgegen, die Privatisie­rungen ablehnte und den schmutzige­n Krieg gegen Sezessions-Befürworte­r verurteilt­e. Der Verlauf beider Karrieren ist exemplaris­ch: Während es González zu mehreren Villen und einem Sitz im Aufsichtsr­at eines Energiekon­zerns brachte, kehrte Anguita nach seinem Rückzug aus der Politik 2000 nach Andalusien zurück, wo er bis zur Rente als Geschichts­lehrer im Schuldiens­t arbeitete. Auf seine Abgeordnet­enpension verzichtet­e er. Bereits 2015 warnte Anguita davor, dass Madrids Katalonien-Politik zu einem »Zusammenpr­all zweier Züge« führe. Ihren Kritiker respektier­ten auch katalanisc­he Regionalis­ten wie Gabriel Rufián von der Republikan­ischen Linken (ERC). Zu dessen Tod schrieb er: »Wenn Julio Anguita zu sehen war, herrschte vor den Fernsehern in den Armenviert­eln respektvol­le Stille.«

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