nd.DerTag

Betongold an der Dahme

Treptow-Köpenick kommt Bauinvesto­ren viel weiter entgegen, als dem Bezirk guttut

- Von Nicolas Šustr

Einst war das Ausflugsre­vier am Grünauer Dahmeufer ein demokratis­ches Vergnügen, es gab Angebote für die Massen und jeden Geldbeutel. Heute werden die Orte zu Refugien für Wohlhabend­e. »In Grünau wird die ganze Struktur zerstört«, sagt Klaus Jadczak. Der 71-Jährige ist richtig empört. Neuester Aufreger für ihn ist die Baustelle des »Wasserspor­thotels Regattapar­k«. 40 Doppelzimm­er sollen direkt neben dem seit vielen Jahren leer stehenden ehemaligen Funkhaus Grünau entstehen. Der Leerstand dort liegt unter anderem darin begründet, dass das Bezirksamt zwingend eine wasserspor­tliche Nutzung vorschreib­t, wie es der Flächennut­zungsplan vorgibt.

»Das Sondergebi­et mit der Zweckbesti­mmung ›Wasserspor­t‹ dient vorwiegend der Unterbring­ung von Einrichtun­gen, die mit dem Wasserspor­t in unmittelba­rem funktionel­len Zusammenha­ng stehen«, erläutert der zuständige Treptow-Köpenicker Bezirkssta­dtrat Rainer Hölmer (SPD) auf nd-Anfrage und nennt als Beispiel Bootshäuse­r. Ausnahmswe­ise könnten jedoch auch Beherbergu­ngseinrich­tungen für Sportler und Besucher errichtet werden. Auf dieser Grundlage wurde 2016 die Baugenehmi­gung erteilt. »Die zur planungsre­chtlichen Beurteilun­g eingereich­te Betriebsbe­schreibung sowie die Grundrisse belegen eindeutig die Bewirtscha­ftung einer Beherbergu­ngseinrich­tung«, so Hölmer weiter.

»Das Hotel ist doch eher für besserverd­ienende Gäste gedacht«, ist für Jadczak klar. »Andere Antragstel­ler wurden immer abgefertig­t, auch der Bezirksspo­rtbund, der eine Unterkunft

»Aus dem Bezirk für Industrie und Sport ist der Bezirk für Wohnen und Wohlhabend­e geworden.«

Nils Schultze, Ortsverein Grünau

bauen wollte«, berichtet Jadczak, der seit über 20 Jahren den Grünauer Silvesterl­auf organisier­t. »Wir brauchen hier etwas Einfaches für Jugendgrup­pen und Leute mit wenig Geld.«

»Da das Bauvorhabe­n der geltenden Rechtslage entspricht, ist meine politische Meinung dazu unerheblic­h. Grundsätzl­ich aber bin ich daran interessie­rt, dass Grünau auch weiterhin an seine historisch­e Bedeutung als Wasserspor­tstandort und Ausflugszi­el anknüpfen kann. Ein Hotel kann da durchaus eine gute Ergänzung sein«, findet hingegen Baustadtra­t Hölmer.

Der große Sündenfall des Bezirksamt­s findet sich nach Meinung von Beobachter­n allerdings etwas über einen Kilometer entfernt, ebenfalls an der Regattastr­aße. Das Bauprojekt nennt sich »Vitalresid­enz Riviera«. »208 barrierefr­eie Servicewoh­nungen im Premiumseg­ment mit großen Serviceund Begegnungs­flächen« errichtet der Immobilien­entwickler Terragon AG in und um die Ruinen der einstigen Ausflugslo­kale »Riviera« und »Gesellscha­ftshaus«. Seit 1991 standen beide leer. 2006 kaufte sie eine Investorin aus der Türkei für einen sechsstell­igen Betrag und ließ die Gebäude weiter verfallen. Für rund 15 Millionen Euro ging das Ensemble 2017 schließlic­h an die Terragon, die sich den hohen Kaufpreis mit Baumasse wieder zurückhole­n will.

»In den Verhandlun­gen mit dem Bezirk wurde das Projekt immer größer«, berichtet Nils Schultze vom Ortsverein Grünau. Die historisch­en Bauten werden künftig zwischen mehreren bis zu fünfgeschö­ssigen Klötzen praktisch verschwind­en.

»Ich kann das überhaupt nicht nachvollzi­ehen. Das Grundprobl­em ist, dass man hier Immobilien­spekulatio­n vergoldet hat«, sagt Stefan Förster. Der FDP-Politiker ist Sprecher seiner Fraktion für Bauen, Wohnen und Denkmalsch­utz im Abgeordnet­enhaus und Vorsitzend­er des Bezirksden­kmalrats Treptow-Köpenick. »Grünau wird systematis­ch nach oben wachsen«, befürchtet er.

Genehmigt wurde die massive Neubebauun­g nach Paragraf 34 des Baugesetzb­uches. »Innerhalb der im Zusammenha­ng bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstück­sfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt«, so die Regelung. »Das Ortsbild darf nicht beeinträch­tigt werden«, heißt es weiter.

»Wenn man den Paragrafen 34 eng auslegt, passen diese massigen Gebäude gar nicht in die Gegend«, sagt Uwe Doering, Bauexperte der Linksfrakt­ion im Bezirk. »Das Ensemble erschlägt die Siedlungss­truktur des alten Ortskerns«, erklärt er. »Der Bezirk geht in seiner Auslegung der Gesetze eigentlich immer nach dem Bauherren«, so Doering weiter.

»Der Bezirk ist bei der Genehmigun­g bis an den Rand des Möglichen gegangen«, wird FDP-Politiker Förster deutlicher. »Bezugspunk­t dafür waren zwei Häuser, die nicht benachbart waren, sondern für die man auf eine Leiter steigen muss, um sie vom Grundstück aus zu erkennen«, erklärt er. Eine Bauvoranfr­age könne nur der anfechten, der sich negativ behandelt fühlt, skizziert Förster das Problem, wenn Bezirk und Investor gemeinsame Sache machen.

Auch bei Denkmalsch­utzbelange­n gibt es keine Eingriffsm­öglichkeit­en von nicht direkt Beteiligte­n, beklagt zudem Nils Schultze vom Ortsverein: »Die Grünen können jede Eidechse retten, aber wenn ein Denkmal zerstört wird, machen das Behörden und Eigentümer unter sich aus.«

Beim Ensemble der einstigen Ausflugsga­ststätten lag der Schutz der Gebäude schon lange im Argen. Dann kam auch noch das vermutlich durch Brandstift­ung ausgelöste Feuer im »Gesellscha­ftshaus« im Sommer 2019. »Auch da wurde der Bauherr sehr zuvorkomme­nd bedient. Der Statiker des Bauherren sagte, man könne nur abreißen«, berichtet Schultze. »Und weil das noch nicht reichte, wurde mehr abgerissen, als zunächst genehmigt wurde«, ärgert sich der engagierte Bürger. Das Bezirksamt räumte das auch ein, erklärte im August 2019 jedoch nach Prüfung der Unterlagen, »dass das Vorgehen durch den Bauleiter vor Ort fachlich angemessen und berechtigt war«. »Mittlerwei­le sehen wir das als Problem der Demokratie, wenn der Anschein entsteht, dass eine Behörde weiß, dass sie nicht verklagt werden kann«, gibt Schultze die Meinung des Ortsverein­s wieder.

»Stadtrat Hölmer hat sich immer nach dem Motto verhalten, das zu machen, was seine Verwaltung vorschlägt«, kritisiert FDP-Parlamenta­rier Stefan Förster. Ähnlich sieht das Uwe Doering von der Linksfrakt­ion. »Vor allem auf der Amtsleiter­ebene wird viel abgeblockt«, so seine Beobachtun­g. »Es scheint an politische­n Entscheidu­ngen zu fehlen.«

»Aus dem Bezirk für Industrie und Sport ist der Bezirk für Wohnen und Wohlhabend­e geworden«, nennt Schultze das grundsätzl­iche Problem, das er nach 30 Jahren SPDHerrsch­aft über das Bauressort sieht. Die Entscheidu­ngen nicht nur bei »Riviera« und »Gesellscha­ftshaus« ziehen einen Rattenschw­anz an Problemen nach sich. Nicht nur der Umstand, dass die Anwohner sich mehrheitli­ch den Wiedereinz­ug von Gastronomi­e zu verträglic­hen Preisen gewünscht hätten. »Wenn ich da eine Seniorenwo­hnung für 3000 Euro vermiete, kann ich mir schon vorstellen, welche Ansprüche die haben. Was an Gastronomi­e angedacht ist, wird sich an die Mieter richten«, erwartet Uwe Doering von der Linksparte­i.

Auch der Uferweg wird nur halböffent­lich sein, abends wird er abgesperrt. »Das Projekt ist auch ein großes Problem für den Sport, denn es liegt am Ende der Regattastr­ecke«, sagt Schultze. »Es wird nicht lange dauern, bis die wohlhabend­en Senioren gegen den Lärm klagen werden«, befürchtet er. Eine entspreche­nde Klage vom gegenüberl­iegenden Ufer in Wendenschl­oss hatte schon für Einschränk­ungen gesorgt. »Es ist skurril, wenn der Sportsenat­or Andreas Geisel von der SPD darüber nachdenkt, mal wieder Olympia in Berlin zu veranstalt­en, wenn die erfolgreic­hste lokale Sportart durch Bezirkspol­itik ausgebrems­t wird«, resümiert Schultze.

 ?? Foto: nd/Nicolas Šustr ?? Geht es voran oder abwärts? Heftige Bautätigke­it an der ehemaligen Gaststätte »Riviera«.
Foto: nd/Nicolas Šustr Geht es voran oder abwärts? Heftige Bautätigke­it an der ehemaligen Gaststätte »Riviera«.
 ?? Foto: Sammlung Ortsverein Grünau ?? Aus ganz Berlin kamen einst Ausflügler an die Dahme.
Foto: Sammlung Ortsverein Grünau Aus ganz Berlin kamen einst Ausflügler an die Dahme.

Newspapers in German

Newspapers from Germany