nd.DerTag

Wie heben wir die Welt aus den Angeln?

- Tadzio Müller über Klimakrise und Hebelwirku­ngen in der Corona- und Nach-Corona-Welt

Ein Dienstag morgen im Mai, Vorgespräc­h für ein Webinar zu Klimagerec­htigkeit, Klimabeweg­ung und Klimastrat­egie für ein Umweltbild­ungszentru­m in Marzahn. Die erste Doppelfrag­e der Organisato­rin ist sowohl die schwierigs­te als auch die wichtigste: Haben die Corona-Lockdown-Maßnahmen eigentlich eure Bewegung nachhaltig geschwächt? Und ist der Lockdown nicht trotzdem gut fürs Klima?

Natürlich wird unsere Bewegung durch die Lockdown-Maßnahmen geschwächt. So held*innenhaft viele soziale Bewegungen dagegen ankämpfen – durch alternativ­e DemoFormat­e, digitalen Aktivismus und ganz neue Formen sozialer Bewegung – so klar ist doch auch, dass die drei zentralen Hebel, über die Bewegungen üblicherwe­ise die Welt verändern, derzeit blockiert sind. Erstens sind öffentlich­e Diskurse zurzeit derart von Corona und den alltäglich­en Veränderun­gen und Herausford­erungen geprägt, dass kein anderes Thema dauerhaft gesetzt werden kann, egal, wie trocken der April war. Zweitens sind Massenakti­onen auf der Straße, in den Wäldern und Gruben – bisher der zentrale Hebel von »Fridays for Future« und der Klimabeweg­ung – vorerst nicht möglich. Ohne Hebel keine Veränderun­g, ergo: Wir sind deutlich geschwächt, weil in unserer Handlungsf­ähigkeit enorm eingeschrä­nkt.

Das wäre fürs Klima tatsächlic­h ein ziemliches Desaster, waren es doch bisher hierzuland­e fast ausschließ­lich soziale Bewegungen, die den Klimaschut­z wirklich vorangebra­cht haben. Wenn da nicht der Corona-Lockdown selbst wäre, der wiederum auch unseren Gegner, die auf unendliche­s Wachstum auf einem endlichen Planeten ausgelegte kapitalist­ische Maschine herunterge­fahren

hat. Anders ausgedrück­t: Die andere, die »Gegenseite«, hat in den vergangene­n Wochen und Monaten genau das getan, was wir seit Jahren versuchen – nämlich die großen Verschmutz­ungssektor­en (Kohle, Öl, Luftfahrt, Autos) herunterzu­fahren und auch dort zu halten. Selbst ausgeprägt­e Bewegungsr­omantiker, wie ich einer bin, müssen an diesem Punkt feststelle­n, dass Regierungs­handeln ein effektiver­er

Hebel ist, um gesamte Sektoren, um die globale kapitalist­ische Maschine herunterzu­fahren. Also dann doch erst mal kein Desaster für das Klima, sondern: Der Corona-Lockdown ist das real-existieren­de Postwachst­um.

Nun warnen aber schon viele, sich nicht an die sauberere Luft, die gesunkenen Emissionen, an die Verwüstung­en in den großen Verschmutz­ungssektor­en zu gewöhnen, denn a) werde ohnehin bald alles wieder hochgefahr­en und b) seien die Emissionsr­eduktionen nicht nachhaltig.

Zum ersten Punkt: Hier sitzen viele Linke ihrem Steuerungs­optimismus auf, einem übertriebe­nen Vertrauen in die Steuerungs­fähigkeite­n des Staates. Wenn ein komplexer

Wirtschaft­ssektor mit global integriert­en Just-in-Time-Produktion­sketten erst einmal ein paar Monate darnieder lag, lässt er sich nicht einfach so wieder hochfahren, ohne dass ein paar Elemente der Kette zerbrechen. Wirtschaft­ssektoren gleichen in dieser Hinsicht eher Ökosysteme­n als Computerpr­ogrammen. Den Denkfehler begehen wir auch oft in Debatten über Transition­en/Übergänge in dreckigen Industrien. Kurz: Nach dem Lockdown (und einer eventuelle­n zweiten Coronawell­e) Wirtschaft­ssektoren wieder hochzufahr­en wird, nun ja, eben nicht so einfach werden.

Zum zweiten: Es stimmt, der Druck auf allen politische­n Ebenen, zuerst den Lockdown in den wichtigen wirtschaft­lichen Sektoren zu beenden, um Himmels Willen das Wachstum anzukurbel­n und das Bruttosozi­alprodukt zu steigern, wird enorm sein. Und genau das zeigt zumindest aus meiner Sicht eine strategisc­he Perspektiv­e für die Klimabeweg­ung: Wenn es die andere Seite ist, die das Herunterfa­hren so viel besser kann als wir (um den beliebten Slogan etwas zu verändern: Who shuts shit down? THEY shut shit down!) – was kann denn dann noch unsere Rolle sein?

Ganz einfach: Wir müssen jetzt unsere Strategien darauf einstellen, in das Wiederhoch­fahren der Sektoren einzugreif­en, die das Klima zerstören; wir müssen für Klimaunger­echtigkeit sorgen und – siehe Automafia – das politische System hierzuland­e korrumpier­en. Wer wieder vermehrt Inlandsflü­ge, Kohlebagge­r und Autofabrik­en an den Start bringen will, muss wissen, dass er es mit einer mächtigen Bewegung aufnimmt, die schon in den Startlöche­rn sitzt. Dann klappt es auch mit dem »echten« Postwachst­um.

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Foto: RLS Tadzio Müller ist Referent für Klimagerec­htigkeit bei der RosaLuxemb­urg-Stiftung und in der Klimabeweg­ung aktiv.

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