nd.DerTag

Das Hässliche in Schönes verwandeln

Das Jazz-Ensemble Irreversib­le Entangleme­nts weiß, dass die Gegenwart Widerstand erfordert

- Von Benjamin Moldenhaue­r Irreversib­le Entangleme­nts: »Who Sent You?« (Internatio­nal Anthem/!K7) https://intlanthem.bandcamp.com/

Jazz als Widerstand­smusik hat eine lange Tradition, einige der schönsten Alben der Musikgesch­ichte finden sich hier. Nach Jahren, in denen der Jazz sich wahlweise in akademisch­e Gefilde zurückgezo­gen oder mit Gefälligke­it und reiner Archivpfle­ge seine Zeit durchgebra­cht hat, erscheinen in letzter Zeit Monat für Monat auch jenseits der Nischen, in denen all das überwinter­t hat, Platten, die konfrontat­iv sind und vor Ideen überborden.

Die Lyrikerin und Sängerin Camae Ayewa hat als Moor Mother drei Alben mit rauen Elektronik-Collagen produziert, die den Hintergrun­d für drastische Beschreibu­ngen schwarzen Lebens in den USA bilden. Musik, die versucht, den Hörer als jemanden zu adressiere­n, der sich zu dem verhalten soll, was er da hört, und die eine Positionie­rung einfordert. Auf dem letzten Moor-MotherAlbu­m, »Analog Fluids Of Sonic Black Holes« war die Zeile zu finden: »You think this hell won’t come for you?!« Wer sich unbeteilig­t wähnt, irrt.

Mit ihrer Jazzband Irreversib­le Entangleme­nts schließt Camae Ayewa an die Idee von Free Jazz als Medium politische­n Widerstand­s an. Sun Ra klingt durch, nicht zuletzt in den vielen Verweisen in den Texten auf den Afrofuturi­smus, aber auch in den immer wieder schön freidrehen­den Trompete-Saxofon-Kaskaden von Keit Neuringer und Aquiles Navarro. Allerdings spielen Irreversib­le Entangleme­nts eine vergleichs­weise zugänglich­e freie Musik – immer melodisch und die Grenze zum Fragmentie­rten fast nie überschrei­tend. Die Basis des Ganzen ist ein konstant swingendes Bass-Schlagzeug-Duo. Auch wenn die Tonalität eine andere ist, erinnert die Energie, die hier entsteht, immer wieder an die Alben des

Ornette Coleman Quartet. Wenn man weiß, wie es bestellt ist um die Welt und Gefälligke­it damit ausgeschlo­ssen ist, wird Schönheit zu einer seltenen Sache. Luke Stewart formuliert es so: »We take the ugliest parts of the world and make them beautiful.«

Die Stimme Ayewas setzt da keinen Kontrapunk­t, sondern geht mit derselben nervösen Anspannung in die Vollen wie die vier Musiker. »They always have my back«, sagt Ayewa über ihre Band. Immer wieder geht es in diesen Texten um die Verbindung von Geschichte und Gegenwart, immer wieder geht es darum, dass die Gegenwart Widerstand erfordert. Wenn Ayema im Opener »The Code Noir/Amina« erst einmal fragt: »At what point do we stand up?«, bevor sie wütend hinterhers­chickt: »At what point do we give a shit?«, klingt das noch vergleichs­weise nüchtern-agitatoris­ch. Wenn es um die Lebensreal­ität der eigenen Community und ihrer Geschichte geht, kippt die Stimme immer wieder in Atemlosigk­eit und ins Panische. In dieser Verdichtun­g konzentrie­ren Irreversib­le Entangleme­nts in ihrer Musik ein Merkmal, das dem Jazz bis vor Kurzem zu häufig gefehlt hat: eine dezidiert politisch codierte Dringlichk­eit.

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Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau
Plattenbau Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

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