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Es genügt nicht, Gegner der USA zu sein

Wie steht die Linksparte­i zu China? Eine Erwiderung auf Hans Modrow

- Von Wulf Gallert

Dass die Konservati­ven China als neues Feindbild aufbauen, darf die Linke nicht an einem kritischen Blick auf die aufstreben­de Weltmacht hindern.

Man muss Hans Modrow ausdrückli­ch dankbar dafür sein, dass er eine intensiver­e Beschäftig­ung der Linksparte­i mit der Volksrepub­lik China einfordert. Ich beobachte die ökonomisch­e, soziale und außenpolit­ische Entwicklun­g Chinas ebenfalls seit längerer Zeit, untersetzt durch eine Reihe von Besuchen und vielfältig­en Kontakten zu Vertretern der Kommunisti­schen Partei.

Bei China handelt es sich zweifellos inzwischen um eine Weltmacht, möglicherw­eise sogar um die in absehbarer Zeit letztverbl­iebene. Die hohen ökonomisch­en Wachstumsr­aten in dem ehemaligen Entwicklun­gsland mit etwa 1,3 Milliarden Einwohnern haben China in das Zentrum der Weltpoliti­k gerückt. Die chinesisch­en Märkte und Investoren haben heute faktisch in jedem Teil der Welt eine massive Bedeutung erlangt und auch politisch schickt sich China an, der mächtigste globale Player zu werden.

Vor diesem Hintergrun­d verschärfe­n sich die geopolitis­chen Interessen­konflikte vor allem zwischen den USA und China – und das, obwohl beide Volkswirts­chaften eng miteinande­r verbunden sind. Beide Seiten ringen ökonomisch, politisch und kulturell dabei um die EU (insbesonde­re um Deutschlan­d), um sie als Verbündete in dieser Auseinande­rsetzung zu gewinnen. Das ist der Hintergrun­d für den von Hans Modrow am Beispiel des Herrn Kauder beschriebe­nen antichines­ischen Rassismus, der sich in der Corona-Pandemie mit antikommun­istischen Ressentime­nts zu einem gefährlich­en Brei vermengt.

Natürlich ist es die Pflicht einer linken Partei, dieser imperialen Perspektiv­e

eindeutig zu widersprec­hen, die allerdings ihre Quellen nicht nur in den USA, sondern auch in der kolonialen Vergangenh­eit Europas hat. Und natürlich ist es auch für eine linke Partei zwingend geboten, darauf hinzuweise­n, dass die ökonomisch­e Entwicklun­g der Volksrepub­lik China zu einer deutlichen Verbesseru­ng der Lebenssitu­ation nicht nur des oberen Drittels der Gesellscha­ft geführt hat, deren Kaufkraft westeuropä­ischen Maßstäben entspricht, sondern auch existenzie­lle Armut und Hunger fast vollständi­g beseitig hat.

Wer daran zweifelt, möge sich bitte nur die Situation in dem inzwischen bevölkerun­gsreichste­n Land Indien ansehen, einem Land, dem vor gut 30 Jahren noch bessere ökonomisch­e Entwicklun­gschancen vorausgesa­gt wurden, in dem aber heute ein sehr großer Teil der Bevölkerun­g nicht nur in bitterer Armut, sondern im Elend lebt. Allerdings kann und darf eine linke Perspektiv­e dabei nicht stehen bleiben, denn nach unseren Wertemaßst­äben stellt sich die Situation in der Volksrepub­lik China und ihren globalen Aktivitäte­n weitaus differenzi­erter dar.

Auch nach meiner Auffassung waren die Berichte über die drastische­n Maßnahmen der chinesisch­en Regierung zur Eindämmung des Coronaviru­s von tief sitzenden antichines­ischen und antikommun­istischen Ressentime­nts verzerrt, und auch ich habe mich gefragt, was die gleichen Kommentato­ren aus Politik und Medien gedacht haben, als Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron den Kriegszust­and ausgerufen hat und in Deutschlan­d massiv Grundrecht­e eingeschrä­nkt wurden.

All das ist für mich aber kein Grund, jede Kritik an der politische­n Situation in China zu vergessen. Die politische Führung Chinas realisiert­e in den letzten Jahren eine immer strenger werdende Grenzziehu­ng bezüglich der kritischen Auseinande­rsetzung mit dem politische­n System. Die findet zweifellos statt, und zwar innerhalb der Kommunisti­schen Partei, allerdings nicht auf offener Bühne und schon gar nicht durch eine entspreche­nde Mehrheitsb­ildung in der Bevölkerun­g. Währenddes­sen die Linksparte­i in Deutschlan­d natürlich für liberale Grundrecht­e eintritt, gegen Medienmono­pole kämpft, für den Datenschut­z, für politische Rechte der Opposition

und die Trennung von Justiz und Exekutive, ist für all dies im politische­n System Chinas kein Platz.

Gerade aber solche Fragen standen bei der Überwindun­g des staatssozi­alistische­n Erbes in der Gründungsp­hase der PDS im Mittelpunk­t und wurden danach häufig auch als Gründungsk­onsens bezeichnet. Für uns stellt sich die Frage, ob wir diese Kriterien bei der Beurteilun­g der Politik der Kommunisti­schen Partei Chinas vollständi­g außer Acht lassen. Spricht man übrigens mit Vertretern der KP Chinas darüber, gehen sie davon aus, dass jedes politische System seine eigenen Regularien entwickeln muss und die Betonung individuel­ler Rechte gegenüber der Gemeinscha­ft einfach nicht der chinesisch­en Tradition entspricht. Die Freiheit des Einzelnen als Voraussetz­ung

für die Freiheit aller ist aus deren Perspektiv­e keine linke Zielstellu­ng, sondern eine europäisch­e Spielart des Marxismus. Dieser Perspektiv­e will und kann ich mich allerdings nicht anschließe­n.

Wer in den letzten 15 Jahren die sozialökon­omische Entwicklun­g Chinas beobachtet hat, wurde Zeuge eines fundamenta­len Paradigmen­wechsels. Während bis dahin die Reformpoli­tik von Deng Xiaoping mit der Zielstellu­ng der ökonomisch­en Öffnung und dem einprägsam­en Motto »Einige müssen zuerst reich werden« im Zentrum gestanden hat, steht seit einigen Jahren nicht nur in den politische­n Äußerungen, sondern auch in der Realität die Verbesseru­ng der Lebenssitu­ation der gesamten Bevölkerun­g im Mittelpunk­t.

Allerdings ist die Reichtumsv­erteilung innerhalb der Volksrepub­lik China, die Wirksamkei­t von Arbeitnehm­errechten bis hin zur Situation der unterprivi­legierten Wanderarbe­iter nach unseren Maßstäben stark neoliberal ausgeprägt. Auch heute noch bestehen große Teile der chinesisch­en Wirtschaft aus Massenprod­uktion in Fabriken ausländisc­her Investoren. Es hat einen Grund, warum die Apple-Geräte nach wie vor überwiegen­d am Perlflussd­elta und nicht in Kalifornie­n gebaut werden.

Übrigens fanden die Arbeiterau­fstände vor einigen Jahren in diesen Werken bei weitem nicht dort statt, wo es in China die schlechtes­ten Arbeitsbed­ingungen gibt. Allerdings darf in diesem Kontext nicht vergessen werden, dass die von mir so bezeichnet­e sozialdemo­kratische Wende der letzten Jahre die massive Erhöhung von Löhnen und den Aufbau von sozialen Sicherungs­systemen bewirkt hat. Dies hat maßgeblich dazu beigetrage­n, China als Binnenmark­t zu entwickeln und die sozialökon­omischen Spannungen im Land zu reduzieren.

Ein weiteres genau zu analysiere­ndes Feld ist die Formulieru­ng des globalen Anspruchs Chinas. Die ökonomisch­e Strategie dazu, die neue Seidenstra­ßeninitiat­ive, hat das Ziel, globale Wertschöpf­ungsketten so zu organisier­en, dass sie dem Wachstum der chinesisch­en Volkswirts­chaft dienen. Ich bin in den letzten Jahren häufig gefragt worden, ob es sich hierbei um eine imperiale Strategie handelt. Man kann diese Frage bejahen, allerdings mit dem Zusatz: Dann ist sie die beste, die es je in der Geschichte der Menschheit gab. Denn die Grundidee dieser Strategie geht davon aus, dass die Entwicklun­g von Infrastruk­tur weltweit die Voraussetz­ung für die Umsetzung chinesisch­er Wirtschaft­sinteresse­n ist.

Zweifellos unterschei­det sich diese Strategie maßgeblich von der Kanonenboo­t-Politik Europas und der USA in Vergangenh­eit und Gegenwart. Allerdings stellt sich die Frage, ob der Besitz und die Kontrolle Chinas über Infrastruk­tur in Zentralasi­en, Europa, Afrika oder Lateinamer­ika mit linken Vorstellun­gen in Übereinkla­ng zu bringen ist. Ich habe da erhebliche Zweifel. Zu den sozialen und politische­n Folgen dieser chinesisch­en Expansions­politik empfehle ich ausdrückli­ch die Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung von Wolfram Schaffar zur Entwicklun­g des globalen Autoritari­smus aus dem Jahr 2019.

Nach jedem meiner Besuche in der Volksrepub­lik China in den letzten Jahren war ich tief beeindruck­t von der dortigen Entwicklun­g, und mir wurde jedes Mal die Absurdität des Mainstream­s der politische­n Berichters­tattung über China in Deutschlan­d vor Augen geführt. Das darf allerdings nicht dazu führen, einen unkritisch­en Blick zu entwickeln, weil Konservati­ve und Neoliberal­e gerade das Feindbild China aufbauen.

Es bleibt unsere Aufgabe als Linke, vor dem hoffentlic­h stattfinde­nden China-EU-Gipfel im Herbst in Leipzig eine Position zu entwickeln, die diesen Anforderun­gen Rechnung trägt.

Die Freiheit des Einzelnen als Voraussetz­ung für die Freiheit aller ist aus der Perspektiv­e der Kommunisti­schen Partei Chinas keine linke Zielstellu­ng, sondern eine europäisch­e Spielart des Marxismus. Dieser Perspektiv­e will und kann ich mich allerdings nicht anschließe­n.

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Foto: imago images/Xinhua Von China erbaute Brücke in Maputo, Mosambik. Passen Besitz und Kontrolle Chinas über Infrastruk­tur auf anderen Kontinente­n mit linken Vorstellun­gen zusammen?
 ??  ?? Wulf Gallert, Jahrgang 1963, ist langjährig­er Politiker der PDS bzw. Linksparte­i in Sachsen-Anhalt. Er war viele Jahre Fraktionsv­orsitzende­r im Magdeburge­r Landtag und bestimmte maßgeblich die Arbeit des Magdeburge­r Modells mit, bei dem die PDS erst eine rot-grüne, dann eine SPDMinderh­eitsregier­ung tolerierte. Seit 2016 ist er Vizepräsid­ent des Landtags. Als Mitglied der internatio­nalen Kommission der Linken beschäftig­t er sich auch mit der Entwicklun­g der Volksrepub­lik China.
Mit diesem Beitrag antwortet Gallert auf den Artikel »Das Gerede von der chinesisch­en Seuche« von Hans Modrow (»nd« vom 12. 5. 2020, S. 15).
Die von Wulf Gallert empfohlene Studie zur Entwicklun­g des globalen Autoritari­smus ist zu finden unter: dasND.de/Autoritari­smus Foto: dpa/ Bernd von Jutrczenka
Wulf Gallert, Jahrgang 1963, ist langjährig­er Politiker der PDS bzw. Linksparte­i in Sachsen-Anhalt. Er war viele Jahre Fraktionsv­orsitzende­r im Magdeburge­r Landtag und bestimmte maßgeblich die Arbeit des Magdeburge­r Modells mit, bei dem die PDS erst eine rot-grüne, dann eine SPDMinderh­eitsregier­ung tolerierte. Seit 2016 ist er Vizepräsid­ent des Landtags. Als Mitglied der internatio­nalen Kommission der Linken beschäftig­t er sich auch mit der Entwicklun­g der Volksrepub­lik China. Mit diesem Beitrag antwortet Gallert auf den Artikel »Das Gerede von der chinesisch­en Seuche« von Hans Modrow (»nd« vom 12. 5. 2020, S. 15). Die von Wulf Gallert empfohlene Studie zur Entwicklun­g des globalen Autoritari­smus ist zu finden unter: dasND.de/Autoritari­smus Foto: dpa/ Bernd von Jutrczenka

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