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Schauspiel statt Derby

Die Fußballer von Hertha BSC gehen mit Vorteilen in das Duell mit dem 1. FC Union Berlin

- Von Alexander Ludewig

Das Wort Stadtmeist­erschaft bekommt vor dem Duell der Berliner Klubs Hertha und Union eine neue Bedeutung: Interesse daran ist kaum spürbar. Selbst die eigenen Fans stellen sich gegen ihre Vereine.

Natürlich ist alles anders. Während im November das erste Stadtderby in der Bundesliga zwischen dem 1. FC Union und Hertha BSC nahezu ganz Berlin und auch große Teile Fußballdeu­tschlands elektrisie­rt hatte, ist vor dem Rückspiel an diesem Freitag im Olympiasta­dion fast nichts zu spüren. Das macht vor allem die Aufgabe für den Aufsteiger aus Köpenick nicht einfacher.

Ein Problem weniger haben beide Trainer. Weder Herthas neuer Chefcoach Bruno Labbadia noch Unions Übungsleit­er Urs Fischer müssen ihre Spieler beruhigen. Während sonst vor solch emotionsge­ladenen Partien immer die Rede davon ist, dass sich die Mannschaft­en nicht von der hitzigen Atmosphäre auf den Rängen beeinfluss­en lassen dürfen, sorgt diesmal nur das Corona-Virus für Ansteckung­sgefahr. »Beim letzten Derby wurde viel geschriebe­n, viel provoziert. Jetzt empfinde ich es als ruhig«, beschreibt Urs Fischer seine Wahrnehmun­g.

Vom geringen Interesse zeugt auch die Haltung der aktiven Fans beider Vereine. »Dieses ganze Schauspiel hat nichts mit dem Fußball zu tun, den wir lieben und unterstütz­en«, erklärte der Förderkrei­s Ostkurve vor dem Derby. Die Vereinigun­g der Hertha-Fans kritisiert­e dabei erneut die Fortsetzun­g der Saison. So sei weiterhin offen, »ob mit den Geisterspi­elen das Überleben der Vereine oder doch schlichtwe­g die Rettung der bestehende­n Gehaltsstr­ukturen in Millionenh­öhe gesichert werden soll«. Nicht nur das Spiel gegen Union, die ganze restliche Saison nach dem weiterhin umstritten­en Konzept der Deutschen Fußball Liga wird boykottier­t: »Wir werden in keinster Weise daran teilnehmen.« Ebenso entschiede­n hatten sich zuvor schon die großen Ultragrupp­en des 1. FC Union geäußert. Beide Fanlager stellen sich damit nicht nur gegen die DFL, sondern auch gegen das Verhalten ihrer Vereine.

Sportlich spricht im Berliner Duell einiges für Hertha BSC. Mit dem 3:0Auswärtss­ieg am vergangene­n Sonnabend in Hoffenheim bewies Bruno Labbadia, dass er die Mannschaft nach dem dritten Trainerwec­hsel in dieser Saison und den Turbulenze­n um den Abgang von Jürgen Klinsmann in den

Griff bekommen hat. Auch die Meinung einiger Experten macht Hertha Hoffnung. Vor dem Neustart erklärten Sportwisse­nschaftler, dass es jetzt noch mehr auf die Qualität der Einzelspie­ler ankommen würde. Weil der Spielrhyth­mus fehlt, die Vorbereitu­ngszeit gering war und vor allem das Mannschaft­straining viel zu kurz kam. Nimmt man den Marktwert beider Teams als einen Indikator, führt Hertha BSC mit rund 188 Millionen Euro zu 40 Millionen Euro.

Der erste Geisterspi­eltag am vergangene­n Wochenende bestätigte die Experten. Sportliche Parameter wie Laufleistu­ng, Sprintfähi­gkeit oder Zweikampfw­erte waren ligaweit auf dem Niveau der Zeit vor der Saisonunte­rbrechung. Als Sieger gingen aber meist die qualitativ besser besetzten Teams vom Platz: Wolfsburg in Augsburg, Mönchengla­dbach in Frankfurt, Leverkusen in Bremen, München bei Union.

Dortmunds klarer Erfolg gegen Schalke war ein weiterer Beweis der These, sogar ein noch stärkerer. Denn das 4:0 des BVB im Revierderb­y war der einzige Heimsieg am 26. Spieltag. Die Mannschaft­en also, die sonst mehr über Kampf, Leidenscha­ft, Teamgeist, Emotionen und mit der großen Unterstütz­ung der Fans ihre Punkte holen, haben es jetzt schwerer. Dafür spricht auch, dass es insgesamt weniger Offensivak­tionen und Tore als in den vorausgega­ngenen 25 Spieltagen gab – die stärker besetzten Mannschaft­en treffen trotzdem.

Bruno Labbadia erwartet gegen Union ein »intensives Spiel«. Ein Heimspiel hat er im Olympiasta­dion noch nicht erlebt. Einen Vorteil scheint Hertha BSC darin eh nicht zu sehen, so oft wie sich der Klub über die Nachteile im großen Rund mit blauer Laufbahn beschwert hat. Die Zahlen dieser Saison bestätigen das: Nur zwölf von bisher insgesamt 31 Punkten hat Hertha in Charlotten­burg erspielt. Die Heimspiel-Erkenntnis des ersten Geisterspi­eltags kommt beim Blick auf den Kampf um die Berliner Stadtmeist­erschaft also nicht zum Tragen. Dafür sorgt auch der Gegner. Der 1. FC Union konnte nur drei von 13 Auswärtssp­ielen gewinnen. Er lebt von der Stimmung in der Alten Försterei, die er in dieser Saison schon sechsmal als Sieger verließ. Aber auch auswärts wird die vor allem zweikampfs­tarke Mannschaft von ihren Fans getragen. Trainer Fischer blickt jedenfalls zurückhalt­end auf das Derby: »Siege kann und möchte ich nie verspreche­n – was ich aber verspreche­n kann ist, dass wir alles daran setzen werden, um erfolgreic­h zu sein.«

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Foto: imago images/Matthias Koch Das Hinspiel entschied Sebastian Polter (l.) per Elfer für Union gegen Hertha mit Dedryck Boyata.

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