nd.DerTag

Die EU mobilisier­t Milliarden, um das Wirtschaft­swachstum zu fördern. Das ist leichter geplant als getan.

Die Beträge sind schwindele­rregend: Mit Billionens­ummen wollen alle Industries­taaten das Wirtschaft­swachstum fördern. Doch die Bedingunge­n dafür sind schlecht.

- Von Stephan Kaufmann

Die EU hat nachgelegt: 750 Milliarden Euro will sich Brüssel leihen, um die europäisch­e Wirtschaft aus der Krise zu hieven. Die Summe addiert sich zu den bereits beschlosse­nen Maßnahmen und zu den Rettungsak­tionen der einzelnen EU-Mitgliedst­aaten – die Bundesregi­erung wird am Dienstag ein weiteres Konjunktur­programm vorstellen. Die Europäer folgen damit den USA und Japan, die ihre Ausgaben um Billionen erhöhen. Angesichts der dadurch steigenden Schulden geht es den Regierunge­n nicht nur darum, die Wirtschaft zu stützen. Vor allem soll langfristi­g höheres Wachstum erzielt werden, um aus den Schulden herauszuwa­chsen. Der Haken: Ungenügend­es Wachstum war bereits vor der Coronakris­e das zentrale Problem.

Die großen Industries­taaten reizen derzeit ihre Kreditwürd­igkeit aus, die Summen sind schwindele­rregend: Im US-Staatshaus­halt klafft dieses Jahr ein Loch von 4000 Milliarden Dollar, die Demokraten fordern weitere 3000 Milliarden gegen die Krise. Japan hat diese Woche seine Anti-Krisen-Maßnahmen auf umgerechne­t 2000 Milliarden Euro aufgestock­t. Die EU-Kommission legt nun zusätzlich zu ihrem 1100-Milliarden-Haushalt und den bereits beschlosse­nen Stützungsp­rogrammen über 540 Milliarden weitere 750 Milliarden auf den Tisch. Die Haushaltsd­efizite der EU-Staaten werden dieses Jahr auf zehn Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es (BIP) und die Schulden über 100 Prozent des BIP steigen.

Finanzieru­ng kein Problem

Die Finanzieru­ng dieser Kredite ist derzeit kein Problem, denn die Zinsen sind extrem niedrig. Dennoch stehen die Standorte vor der Frage, wie sie ihre Schuldenbe­rge dauerhaft solide machen. Steuererhö­hungen werden derzeit von allen Regierunge­n ausgeschlo­ssen, ebenso deutliche Ausgabense­nkungen, da dies die Konjunktur schwächen würde. Und auf die kommt es an: »Der ideale Weg, um für die Krisenkost­en zu zahlen, wäre mehr Wachstum zu generieren«, sagte James Athey vom Investment­haus Aberdeen Standard. »Unglücklic­herweise aber wird das wohl sehr schwierig.« Denn die Bedingunge­n sind denkbar schlecht.

Die Coronakris­e drückt keine Delle in einen laufenden Wirtschaft­sboom. Bereits in ihrem Vorfeld war es bergab gegangen. 2019 neigte sich ein jahrelange­r Aufschwung seinem Ende zu, die globale Industriep­roduktion sank, zu Beginn dieses Jahres war vor einer möglichen Rezession die Rede. Angesichts hoher Staatsschu­lden hatten Warnungen vor einer neuen Finanzkris­e Konjunktur. Das globale Wirtschaft­swachstum hing an den großen Zentralban­ken, die mit Billionen-Anleihekäu­fen die Zinsen niedrig und die Schulden finanzierb­ar hielten.

Die Coronakris­e verschärft die Situation: In Japan und den USA wird die Wirtschaft­sleistung

dieses Jahr – trotz billionens­chwerer Stützungsa­ktionen – um sechs Prozent einbrechen, in der EU wohl um zehn Prozent. Um gegenzuste­uern, wollen die Staaten nun das schaffen, was ihnen zuvor bereits gefehlt hat: mehr Wachstum. »Der einzige vernünftig­e Weg aus hohen Schulden oder aus der Überschuld­ung ist mehr wirtschaft­liche Dynamik«, sagte Marcel Fratzscher, Chef des Wirtschaft­sforschung­sinstituts DIW. »Das ist die Lehre aus der globalen Finanzkris­e.« Damit wird zugestande­n, dass die staatliche­n Hilfen nicht bloß die Unternehme­n über eine vorübergeh­ende Coronakris­e hinüberret­ten, nach der dann alles wieder gut wird. Sondern dass nach der Krise der Kampf um das Wachstum erst so richtig beginnt.

Ökonomen verweisen darauf, dass dieser Kampf gewonnen werden kann. Denn die hohen Schulden seien aufgrund der niedrigen Zinsen derzeit keine Gefahr. Gleichzeit­ig müssten die Regierunge­n bei ihren Ausgaben darauf achten, ihr Wachstum mit zusätzlich­en Investitio­nen anzukurbel­n.

Das Problem: Zwar sind die niedrigen Zinsen einerseits eine gute Ausgangsbe­dingung, sie sind allerdings selbst eine Folge des schwachen Wachstums. Zudem ist der Erfolg der staatliche­n Investitio­nsoffensiv­e unsicher. Denn die Regierunge­n können bloß die Bedingunge­n des Wachstums gestalten, nicht aber das Wachstum selbst. Das hängt vom Markt und seinen Konjunktur­en ab. So ist zwar derzeit sicher, dass die staatliche Förderung das BIP dieses und nächstes Jahr massiv stützen wird. Ob daraus aber langfristi­g neue Wachstumsp­otenziale entstehen, darauf kann nur spekuliert werden.

Sichtbar wird dieses Problem derzeit am Beispiel der Autoindust­rie. Sie war aufgrund eines überfüllte­n Weltmarkte­s und strengerer Emissionsa­uflagen bereits im vergangene­n Jahr in der Krise. Der chinesisch­e Markt, lange der Wachstumsm­otor der Welt, schrumpfte und wird dies auch 2020 tun. Die Regierunge­n begeben sich nun in einen Subvention­swettlauf um den Markt der Zukunft: Elektroaut­os. Frankreich hat diese Woche seinen Autoherste­llern ein Förderprog­ramm über acht Milliarden Euro spendiert, Italien unterstütz­t Fiat-Chrysler mit einem Milliarden­kredit, Deutschlan­d wird vielleicht nächste Woche sein eigenes Programm vorstellen. Daneben schaffen die Staaten über die Förderung von Batteriepr­oduktion und Ladeinfras­truktur die Voraussetz­ungen für den erwarteten E-Autoboom.

Spekulatio­n auf den Aufschwung

Doch bleibt unklar, wie schnell sich das E-Auto überhaupt durchsetze­n wird – der niedrige Ölpreis macht Verbrenner derzeit preiswerte­r. Setzt sich das E-Auto durch, bleibt immer noch fraglich, ob es die Umsatzrück­gänge bei den Verbrenner­n kompensier­en oder sogar überkompen­sieren kann. Offen ist auch, welche Hersteller sich am Ende auf dem Markt durchsetze­n können und wo die Profite aus dem E-Autoverkau­f anfallen – bei den Autobauern oder bei den Batteriehe­rstellern? All diese Fragen wird erst die Konkurrenz auf dem Weltmarkt entscheide­n.

Den Regierunge­n bleibt bei aller Unsicherhe­it allerdings nichts weiter übrig, als ihre finanziell­en Möglichkei­ten auszuschöp­fen, um den Unternehme­n an ihren Standorten möglichst gute Bedingunge­n zu bieten: Mit ihren Schulden ziehen sie einen gigantisch­en Kredit auf künftiges Wachstum. Hier gehen alle aufs Ganze: US-Präsident Donald Trump rechtferti­gt die Milliarden­hilfen für die Wirtschaft damit, »amerikanis­che Jobs zu sichern«. Und Frankreich­s Finanzmini­ster Bruno Le Maire sagt: »Angesichts eines China unter Xi Jinping und den USA von Trump dürfen wir nicht zögern.«

Entscheide­nde Waffe in dieser Konkurrenz bleibt für die Regierunge­n vorerst ihre Kreditwürd­igkeit, für die ihre Zentralban­ken garantiere­n, indem sie staatliche Schuldsche­ine aufkaufen. Die Bank of Japan kündigte an, notfalls noch mehr japanische Staatsanle­ihen erwerben zu wollen, obwohl sie bereits rund die Hälfte aller Anleihen ihrer Regierung hält. Die US-Zentralban­k hat bei ihrem Kaufprogra­mm für Schuldsche­ine Washington­s ohnehin keine Obergrenze mehr gesetzt. Und die Europäisch­e Zentralban­k wird in der kommenden Woche voraussich­tlich beschließe­n, ihr Kaufprogra­mm für Staatsanle­ihen der Euro-Länder deutlich aufzustock­en. Wesentlich sei weniger, wo das Geld für die Hilfsprogr­amme herkomme, sagte EZB-Chefin Christine Lagarde. »Entscheide­nd ist, wofür es ausgegeben wird.«

»Der einzige vernünftig­e Weg aus hohen Schulden oder aus der Überschuld­ung ist mehr wirtschaft­liche Dynamik.«

Marcel Fratzscher, Deutsches Institut für Wirtschaft­sforschung

 ??  ??
 ?? Foto: ddp/Monasse ?? Kredit nehmen und geben: EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen (links) und Christine Lagarde, Chefin der Europäisch­en Zentralban­k
Foto: ddp/Monasse Kredit nehmen und geben: EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen (links) und Christine Lagarde, Chefin der Europäisch­en Zentralban­k

Newspapers in German

Newspapers from Germany