nd.DerTag

Die wahren Verfassung­sfeinde

Aert van Riel zur Debatte über die linke Verfassung­srichterin Barbara Borchardt

-

Was nach der Wahl der Linke-Politikeri­n Barbara Borchardt zur Verfassung­srichterin in Mecklenbur­g-Vorpommern veranstalt­et wird, ist eine Kampagne, die ihresgleic­hen sucht. Gefahren wird sie unter anderem von Politikern der FDP, AfD, Teilen der SPD und CDU sowie diversen Medien – vor allem der Springerpr­esse. Sie verbreiten, dass Borchardt nicht geeignet für das Amt sei, weil sie der Strömung Antikapita­listische Linke (AKL) angehört, die vom Inlandsgeh­eimdienst überwacht wird. Es ist absurd, dass das Bundesamt für Verfassung­sschutz, das zahlreiche Skandale produziert hat, und weitere dubiose Landesämte­r von vielen Politikern und Journalist­en noch immer als seriöse Quellen genannt werden. Dagegen konnte Borchardt bei ihrer Wahl sowohl Linksparte­i als auch Sozial- und Christdemo­kraten hinter sich bringen.

Die Behauptung, dass die AKL nicht auf dem Boden des Grundgeset­zes stehe, kann leicht entkräftet werden. Denn die Verfassung lässt Möglichkei­ten offen, um den Kapitalism­us zu bändigen. Laut Artikel 15 können Grund und Boden, Naturschät­ze und Produktion­smittel zum Zwecke der Vergesells­chaftung in Gemeineige­ntum überführt werden.

Um Borchardt zu diskrediti­eren, werden auch alte Äußerungen von ihr herangezog­en. Sie hatte den Bau der Mauer als »alternativ­los« bezeichnet. Ob das klug war, sei dahingeste­llt. Borchardt hat die Sichtweise der damaligen Führungen von DDR und Sowjetunio­n im Kalten Krieg wiedergege­ben. Alternativ­en gibt es immer, aber Geschichte lässt sich nicht ändern. Das Gedenken an die Mauertoten ist richtig, darf aber nicht dazu führen, dass gleichzeit­ig die alte Bundesrepu­blik als Staat mit weißer Weste dargestell­t wird. Man denke nur an die westdeutsc­he Zusammenar­beit mit Militärdik­taturen wie in Brasilien und das brutale Vorgehen der Polizei unter anderem gegen Studentend­emonstrati­onen.

Die Verantwort­lichen hierfür waren die wahren Feinde von Grundgeset­z und Menschenre­chten in Westdeutsc­hland. Sie haben ihre würdigen Nachfolger in der bundesdeut­schen Politik gefunden. Für die Beteiligun­g am völkerrech­tswidrigen Nato-Krieg gegen Jugoslawie­n, die nicht mit der Verfassung konformen Regelungen zur Vorratsdat­enspeicher­ung und Armuts-Hartz-Gesetzen fanden sich Mehrheiten im Parlament. Selbst das nicht als sonderlich links geltende Bundesverf­assungsger­icht gab den Kritikern dieser Politik mit seinen Urteilen immer wieder recht.

Das Vorgehen gegen prominente linke Juristen hat in der Bundesrepu­blik Tradition. Der Publizist, Bürgerrech­tler und frühere Bremer Verfassung­srichter Rolf Gössner wurde 38 Jahre vom Verfassung­sschutz observiert. Wegen seiner Kontakte zu Organisati­onen wie der DKP und der Roten Hilfe wurde eine »Kontaktsch­uld« konstruier­t. Sein Fall und die Debatten um Borchardt sind nur zwei Beispiele dafür, dass Antikommun­ismus in Deutschlan­d Teil der Staatsräso­n ist und nach wie vor wahnhafte Züge annimmt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany