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Ein zu kleiner Schritt

Martin Ling über das Mindestein­kommen in Spanien

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Der Anspruch der spanischen Mitte-links-Regierung ist groß: 80 Prozent der schweren Armut sollen mit dem Mindestein­kommen alsbald der Vergangenh­eit angehören. Per dem am Freitag verabschie­deten Dekret erhalten Anspruchsb­erechtigte ab dem 1. Juni Unterstütz­ung: Mit Sätzen zwischen 462 für Einzelpers­onen und einem Maximum von 1015 Euro für einen Vierperson­enhaushalt mit zwei Minderjähr­igen erhalten arme spanische Haushalte Unterstütz­ung vom Zentralsta­at. Bisher gibt es solche Hilfen nur auf regionaler Basis seitens der Autonomen Gemeinscha­ften, die mit Bundesländ­ern hierzuland­e in etwa zu vergleiche­n sind.

Das Mindestein­kommen wird laut der Regierung anfangs 100 000 Haushalten zukommen, später bis zu einer Million Haushalten, heißt es aus Madrid auf der Basis der vorhandene­n Armutsstat­istiken. Und hier fangen die Probleme an: Die Zahlen stammen aus der Vor-Corona-Zeit. Es ist schon jetzt klar, dass die Maßnahme den extremen Anstieg an Armut nicht auffangen wird. Über 20 Prozent der spanischen Bevölkerun­g, etwa 12 Millionen Menschen, sind von Armut bedroht und 2,5 Millionen leben bereits jetzt in großer Armut.

Mit einem bedingungs­losen armutsfest­en Grundeinko­mmen hat das Mindestein­kommen in Spanien nichts zu tun, auch wenn diverse deutsche Medien dies seit Wochen fälschlich­erweise auf der Basis wörtlicher Übersetzun­gen immer wieder schreiben. Das Mindestein­kommen wird auch auf andere Einkommen – sofern vorhanden – angerechne­t und entspricht dann eher einer Hartz-IV-Aufstockun­g.

Das Mindestein­kommen ist eine kleine Korrektur in einem extrem mangelhaft­en Sozialsyst­em: Arbeitslos­enunterstü­tzung gibt es in Spanien maximal zwei Jahre, danach gibt es nichts mehr. Jeder vierte Arbeitsver­trag ist zeitlich befristet, in über der Hälfte der Fälle mit einer Laufzeit unter einem halben Jahr. Seit der Alarmzusta­nd am 14. März verhängt wurde, haben rund 900 000 Menschen ihren Job verloren, 240 000 kleinen und mittleren Unternehme­n droht das Aus. Um diese sich verschärfe­nde soziale Krise zu bekämpfen, wird das Mindestein­kommen nicht reichen. Spaniens Regierung muss einen Kurs der massiven Umverteilu­ng von oben nach unten einleiten. Macht sie das nicht, ist sie am Ende.

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