Wahlkampf aus dem Keller
Hallo Max, der Präsidentschaftskandidat der Demokraten, Joe Biden, sitzt coronabedingt seit Monaten nur in seinem Keller. Trotzdem stieg seine Umfragemehrheit zuletzt. Läuft das perfekt für ihn, weil er sich daheim nicht mehr so verhaspelt wie sonst bei bei seinen Wahlkampfauftritten?
Perfekt wäre es erst, wenn er gar nichts mehr sagen müsste. Er leistet sich immer noch grobe Schnitzer. Der letzte kam vor einer Woche, als er sagte: »Wenn Sie sich nicht darüber klar werden können, ob Sie für mich oder für Trump sind, dann sind sie nicht schwarz.« Den Satz haben viele zu Recht als herablassend und rassistisch empfunden, und Trump griff ihn prompt in einem TV-Clip auf. Kurz darauf entschuldigte sich Biden. In den Umfragen liegt er aber weiter vorn. Es stört also eher Donald Trump, dass die großen Reden ausfallen?
Es wird ja immer noch jeder Satz und jeder Tweet von ihm vermeldet. Er spielt weiter sein Spiel mit den Medien, indem er provoziert, droht und beleidigt. Irgendwann wurden seine Pressekonferenzen aber zum PR-Desaster. Der Höhepunkt war der Satz, man solle sich doch Desinfektionsmittel spritzen. Das machte auch auf seine Anhänger keinen guten Eindruck. Wenn Trump jetzt auch noch sagt, dass bei einer zweiten Infektionswelle kein Shutdown folgen würde, hört sich das so an, als würde er die Menschen lieber krank werden lassen, statt Arbeitslosengeld zu zahlen. Zudem stieg die Zahl der Toten in den USA nun auf über 100 000. Und was macht Trump? Er geht Golf spielen. Da muss Biden gar nicht mehr tun, als im Keller zu sitzen und abzuwarten. Trotzdem will der ja auch ins Fernsehen. Wie gelingt ihm das?
In den Medien ist Joe Biden fast abwesend. Über einen anderen Weg schaffte er es dennoch: mit der Suche nach einer Vizepräsidentschaftskandidatin. Es wird fleißig spekuliert, wer es wird. Biden hat sich früh festgelegt: Es wird eine Frau. Ein politisch kluger Schachzug? Immerhin war bei Hillary Clintons Niederlage 2016 auch viel Sexismus mit im Spiel.
In welchem Ausmaß das eine Rolle spielte, ist unklar. Und 2008 fragte man auch, ob es klug wäre, bei all dem Rassismus Barack Obama aufzustellen. Und der gewann dann haushoch.
Zuletzt wurden die Namen von Stacey Abrams, Kamala Harris und Elizabeth Warren hoch gehandelt. Mit wem ist denn noch zu rechnen? Da wäre die Senatorin aus Nevada, Catherine Cortez Masto. Sie hat lateinamerikanische Wurzeln und könnte Biden bei diesen Wählern helfen. Latinos waren zuletzt eine seiner Schwachstellen. Welche Eigenschaften spielen eine Rolle bei der Auswahl?
Die Kriterien sind zahlreich. Da wäre die politische Vergangenheit; wunde Punkte, die Trump ausschlachten könnte. Aber auch der Parteiflügel, den die Kandidatin vertritt, kann wichtig werden. Biden muss auch bedenken, dass die Demokraten Posten verlieren können, wenn zum Beispiel eine wichtige Stimme im Senat fehlt, weil Amy Klobuchar, Warren oder Harris plötzlich Vizepräsidentin sind. Hautfarbe und Herkunft sind weitere Faktoren. Die Aussicht auf eine schwarze Vizepräsidentin wie Harris oder Abrams würde zum Beispiel mehr Afroamerikaner mobilisieren. Natürlich muss die Person aber auch Regierungserfahrung mitbringen. Biden ist schließlich schon 77 Jahre alt. Sollte er im Amt sterben, hätten wir ganz automatisch die erste US-Präsidentin. Das wird alles heiß diskutiert. Muss sich Biden nicht bald mal entscheiden? Normalerweise erfolgt die Auswahl kurz vor dem Parteitag, auf dem das Duo dann gekürt wird. Aber in der Coronakrise ist nichts normal. Wir wissen nicht einmal, ob es im August Parteitage geben wird.
Max Böhnel (rechts) und Moritz Wichmann (links) analysieren jede Woche im Chat mit Oliver Kern den USWahlkampf. Diesmal ist Max dran. Der US-Korrespondent des »nd« und mehrerer Radiosender in Deutschland, Österreich und der Schweiz lebt seit 1998 in New York.