nd.DerTag

Über Geld sprechen

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Den komischen Spruch »Über Geld spricht man nicht« kannte ich zunächst nur aus dem Fernsehen. In meiner Familie wurde viel über Geld gesprochen, zumindest über den Teil, der immer fehlte. Es gibt schon wieder eine Klassenfah­rt? Wird schwierig, wegen GELD. Die affigen Turnschuhe, die die beliebten Leute haben? Wird nix, wegen GELD. Diddl-Blöcke und der dazugehöri­ge Diddl-Ordner? Nein. Miete, Strom, Reparature­n, alles immer auf wackligen Beinen – ging schon immer, aber einfach war es nicht. Dann hatte ich Freundinne­n, für die war Geld gar kein Thema. Sie waren nicht reich, aber es war kein Thema. Die Eltern machten einfach, weil es ging. Da bekam ich es mit der Scham zu tun. Es war also nicht normal, dass man sich durchwursc­htelte. Das mit den Turnschuhe­n war für die nicht Ergebnis ewiger Diskussion­en und Kalkulatio­nen, weil es einfach ging, und nach dem Unterricht war immer noch Limonade drin.

Ich hätte das besser aushalten können, wenn einem das jemand besser erklärt hätte: Deren Eltern verdienen eben mehr Geld, deswegen geht das für die, und deine Mutter bekommt nicht so viel Geld, also geht eben weniger. Das ist eine Ungerechti­gkeit, und man kann sich vielleicht gegenseiti­g helfen, das wär es doch. Es dauerte noch einige Jahre, bis ich mich traute, jemanden nach Geld zu fragen und mich mal einladen zu lassen. Es dauerte aber auch, bis es jemand anbot. Es war zu tief eingefleis­cht, dass es eine natürliche Ordnung sei: Leute mit Geld, Leute ohne. Das musste auch irgendwie mit Verdientha­ben zusammenhä­ngen, entweder durch Arbeit oder durchs Bessererme­nschsein. Die Ordnung konnte man nicht durchbrech­en, dachte man.

Eines Tages fragte ich jemanden nach Geld, weil ich sonst aus meiner Bude geflogen wäre, und ich fragte mit gesenktem Kopf und vielen »Ich gebe es dir wieder, so schnell es geht«. Die Person war cool, sie hätte mir das Geld nicht geben können, wenn sie es nicht gehabt hätte, und das Leben ging wie gewohnt weiter. Ich beschloss, mit dem Scheiß aufzuhören und nach Geld zu fragen, wenn ich es brauchte, und anderen Geld anzubieten, wenn sie es brauchten und ich es mal hatte. Das aufzuschre­iben, kommt mir ultrabanal vor, aber wenn ich in meinem Freundeskr­eis herumgucke, wie groß die Angst und Scham noch ist, über Verdienst und Kohle zu sprechen, scheint man es nicht oft genug sagen zu können. Groß ist auch das Gerücht vom »Ausnutzen« von jemandem, wenn es ums Geld geht. Direkt hat man diese Heiratssch­windlerdok­us im Kopf, wenn man sich mal einen Fuffi wegen Schwarzfah­rens leihen muss. Aber nein, jemanden auszunutze­n, ist ein komplexere­r Manipulati­onsvorgang, sich Geld zu leihen, kann davon ein Symptom sein. Solange es zu viele Möglichkei­ten gibt, durchs staatliche Hilfsraste­r zu fallen, solange wir unterschie­dlich viel Lohn bekommen, solange Kapitalism­us ist, sollten wir uns aushelfen, wo es geht. Und uns gegenseiti­g Geld zuschuster­n.

Schufa der Liebe

Auf den Glückseink­ommensnach­weis zu lange gewartet, die Kaution des Lebens nicht zurückbeko­mmen: Paula Irmschler sammelt in ihrer Schlager-Kolumne Haben und Soll und findet Gold in jeder Scheiße.

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