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Bedrohte Lebensweis­e

Die Quilombola­s sollten schon einmal umgesiedel­t werden. Nun droht die erneute Vertreibun­g.

- Von Peter Steiniger

Mit handwerkli­cher Fischerei an der Küste, in den Flüssen und Seen sowie Landwirtsc­haft auf kleinen Parzellen mit fruchtbare­n Böden, der Jagd und dem Sammeln von Früchten sichern sich die Quilombola­s von Maranhão ihr Überleben. Ihre Dorfgemein­schaften sind sich nachbarsch­aftlich eng verbunden, viele Feste und religiöse Rituale werden gemeinsam begangen.

Die Austernsam­mlerin Wesley Santos Ferreira (Foto links) ist in Mamuna zu Hause. 71 Familien bewohnen die Ansiedlung der Nachfahren afrikanisc­her Sklaven, die 35 Kilometer vom Hauptort des Gemeindege­biets entfernt liegt. Die 1648 gegründete Kleinstadt Alcântara mit etwa 4000 Einwohnern hat schon größere Tage gesehen. Heute ist der Reichtum verblasst, den die hiesigen Plantagenb­esitzer durch Sklavenarb­eit im 18. Jahrhunder­t mit Baumwolle und im darauffolg­enden mit Zuckerrohr anhäuften. Eine Fähre verbindet Alcântara mit Maranhãos Hauptstadt São Luís, die einzige feste Straße dorthin führt über hunderte Kilometer um die Bucht Baía de São Marcos herum.

Mit dem Ende des 19. Jahrhunder­ts einsetzend­en ökonomisch­en Niedergang und schließlic­h der Aufhebung der Sklaverei gaben im großflächi­gen Gebiet Alcântara immer mehr Besitzer ihre Güter auf. Sklaven und Freigelass­ene nahmen den Boden gemeinscha­ftlich in Besitz und betrieben darauf Bedarfswir­tschaft. Nach und nach gingen sie dazu über, Mehl und Reis auch für den lokalen Markt zu produziere­n und damit die gesamte Region zu versorgen.

Die Gemeinscha­ft Mamuna steht seit drei Jahrzehnte­n in Konflikt mit dem in ihrer Nachbarsch­aft errichtete­n Raketensta­rtplatz, einem noch unter der Militärdik­tatur (1964–1985) begonnenen nationalen Prestigepr­ojekt.

Es ist die weltweit am dichtesten am Äquator gelegene Einrichtun­g dieser Art. Unter Ausnutzung der Erdrotatio­n lassen sich von hier aus Ladungen mit wenig Treibstoff und dadurch kostengüns­tig in eine Erdumlaufb­ahn befördern. Viel mehr als Ärger hat Alcântara Brasilien bisher nicht gebracht. Es fehlt dem Land weiter am entspreche­nden Know-how. 2003 warf die Explosion einer Satelliten-Trägerrake­te auf dem Startplatz Brasílias Weltraumpl­äne weit zurück. 21 Arbeiter waren bei der Tragödie ums Leben gekommen. Den vereinbart­en Start einer ukrainisch­en Cyclone-4-Rakete ließ Brasilien 2015 platzen, nachdem die Kosten aus dem Ruder gelaufen waren. Die USA wollen für Satelliten­starts Geld zahlen, aber kein technologi­sches Wissen teilen und sich auch in Bezug auf ihre Fracht nicht in die Karten schauen lassen. US-Spezialist­en erhalten Sonderrech­te auf brasiliani­schem Territoriu­m.

Das traditione­lle Leben der Einwohner von Mamuna stand bereits Anfang der 1980er Jahre auf dem Spiel, als ihre Gemeinscha­ft zu denen gehörte, die für die Errichtung der Basis umgesiedel­t werden sollten. Den Familien in Mamuna und elf weiteren Gemeinscha­ften (Baracatati­ua, Brito, Mamuninha, Itapera, Canelatiua, Santa Maria, Quero ver, Peri Açu, Cajubal, Bom Viver und Pacuri) blieb dieses Schicksal damals erspart. Schlechter erging es 32 Quilombos, denen ihr angestammt­es Land genommen wurde. An sieben neuen Orten mussten die Menschen sesshaft werden: Peru, Marudá, Cajueiro, Só Assim, Pepital, Espera und Ponta Seca. Außer Gefahr sind die evangelika­l geprägte Siedlung Vista Alegre und Arenheguau­a mit ihren hohen Juçara-Palmen (Fotos links), in der etwa 80 Familien zu Hause sind. Sie liegen weit genug weg von der Basis und etwa 60 Kilometer entfernt von Alcântara.

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Foto: privat

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