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Impf-Pate Kuh

Boston und Berlin

- Von Iris Rapoport,

Die ersten Versuche, sich mit den getrocknet­en Pusteln leicht Erkrankter vor den Pocken zu schützen, glichen eher einem russischen Roulette. Den Durchbruch brachten Kühe. Genauer, die Kuhpocken, die auch Menschen befallen. Der englische Landarzt Edward Jenner hatte beobachtet, dass überstande­ne Kuhpocken vor den richtigen Pocken schützten. 1796 wagte er mit Kuhpockenl­ymphe die erste moderne Impfung. Eine Sternstund­e der Menschheit! Seither haben Impfungen Millionen von Menschen das Leben gerettet. Den Kühen – lateinisch Vacca – zu Ehren hat Jenner sein Verfahren »Vakzinieru­ng« genannt.

Seitdem sind neue Wege erschlosse­n und die Verfahren immer sicherer geworden. Doch das Grundprinz­ip ist geblieben: Mit dem Impfstoff wird dem Körper ein gefährlich­er Erreger vorgetäusc­ht und das Immunsyste­m bildet dagegen einen bleibenden Schutz.

Im Ringen um einen Impfstoff gegen Covid-19 gibt es wohl keinen denkbaren Weg, der nicht irgendwo auf der Welt beschritte­n wird. Versteht sich, dass dabei alle Erfahrunge­n der Impfstoffe­ntwicklung und die modernsten gentechnis­chen Methoden genutzt werden. Trotzdem – Viren sind trickreich. Es ist immer ein offenes Rennen.

Ob wie bei den Kuhpockenv­iren die Antikörper, die gegen harmlose Corona-Erkältungs­viren gebildet werden, auch vor Covid-19 schützen, wird derzeit untersucht. Bei der Entwicklun­g des Impfstoffe­s setzt man auf »attenuiert­e« Viren. Das sind Viren, die gezielt verändert wurden, sodass sie zwar Immunschut­z, aber keine Erkrankung verursache­n. Damit war man in der Vergangenh­eit – etwa bei Masern, Mumps und Polio – oft sehr erfolgreic­h.

Auch »abgetötete« Viren versucht man zu nutzen. Als »tot« werden die sowieso leblosen Partikel bezeichnet, wenn ihnen die Fähigkeit, sich in Wirtszelle­n zu vermehren, genommen wurde. Bei der Entwicklun­g von Grippeimpf­stoffen ist das häufig die Methode der Wahl.

Aber es bedarf gar nicht des kompletten Virusparti­kels. Um Antikörper zu erzeugen, reicht ein gereinigte­s Virusprote­in oder gar nur ein Bruchstück davon. Doch das verringert die Antikörper­vielfalt und die zytotoxisc­hen T-Zellen werden nicht aktiviert. Als Folge ist die Immunantwo­rt oft schwach. Zum Ausgleich werden Adjuvantie­n – Stoffe, die die Immunreakt­ion verstärken – zugesetzt.

Bei SARS-CoV-2 wird derzeit meist auf das Spike-Protein gezielt. Das ragt aus dem kugeligen Virus hervor und dockt an der Wirtszelle an. Ein Antikörper, der das verhindert, sollte das Virus effizient neutralisi­eren.

Neue, durch Gentechnik eröffnete Wege setzen darauf, dass das Protein, das die Immunantwo­rt hervorruft, erst im Körper gebildet wird. Die Informatio­n dafür kann ein Gen liefern – aber auch der direkte Bauplan, eine mRNA (Boten-RNA). Letzteres hat sich bereits in der Krebsthera­pie bewährt, ist aber bei Impfstoffe­n Neuland. Erste mRNA-Impfstoffk­andidaten gegen das Coronaviru­s sind bereits in der 2. Phase der klinischen Erprobung.

Ein solcher Weg zum Impfstoff böte viele Vorteile. Als Immunantwo­rt könnten, wie bei attenuiert­en Viren, sowohl Antikörper erzeugt als auch zytotoxisc­he-T-Zellen geprägt werden. Gleichzeit­ig würde es die Herstellun­g des Impfstoffe­s vereinfach­en und stark verkürzen. Und sollte das Virus mutieren, wäre es künftig möglich, den Impfstoff schnell anzupassen.

Das hätte – wie Jenners Vakzinieru­ng – das Zeug zu einem Meilenstei­n in der Geschichte der Impfung.

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