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Geschmacks­terrorist

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Am besten ist immer noch die Szene, in der er Claus Peymann dabei beobachtet, wie der sich am Ku’damm in Berlin eine Hose kaufen will. Harald Schmidt machte daraus in seiner Late-Night-Show ein Dramolett mit dem Titel »Claus Peymann kauft sich keine Hose, geht aber mit essen«. Die Sendung wurde später für den Grimme-Preis nominiert. Er hat ein Talent dafür, Situatione­n in ihrer Absurdität zu sezieren und daraus unverschäm­te, entlarvend­e Reportagen zu machen. Seine Texte erscheinen in »FAZ«, »Stern« oder »Welt am Sonntag«. Berühmt gemacht hat ihn allerdings sein erster Roman. Das Feuilleton denkt sich extra für ihn und seine jungen Schriftste­llerkolleg­en (alles Männer) eine neue Genrebezei­chnung aus, die er fortan nicht mehr loswird.

Das Echo auf den 1998 veröffentl­ichten Erstling ist immens. »Der Meinungsmi­ssionar«, schreibt der »Spiegel« über ihn und das Buch. Wie seine ganze literarisc­he Karriere basiert auch dieses Werk auf dem System, Markenname­n, Bands, das Gut- oder Schlechtfi­nden bestimmter Berühmthei­ten als Charaktere­igenschaft herauszust­ellen, um sich so vom banalen Rest abzugrenze­n. Wer die Band »Faith No More« mag, ist ein »langhaarig­er Volldepp«, Jörg-Fauser-Gedichte muss man gut, Hippies und Ökos hingegen scheiße finden. Einen Geschmacks­terroriste­n muss man ihn wohl nennen.

Aufgewachs­en ist er als jüngstes von vier Kindern einer Pastorenfa­milie Ende der 1970er Jahre in einem Kaff zwischen Bremen und Hamburg. Seine Familie, ausgerechn­et besagte Ökos und Hippies, die nach »Gemüserülp­s« riechen und permanent »voll faschomäßi­g« sagen. Seine Mutter zwingt ihn dazu, Geige zu lernen, was grandios scheitert. Er selbst hätte gerne Schlagzeug gespielt, landet auf Anraten seiner Mutter aber irgendwann bei der C-Blockflöte. Nach dem Abitur in Göttingen geht er nach Hamburg, um dort diverse Praktika, unter anderem bei der »taz« und beim NDR, zu absolviere­n. 1995 wird er fester Redakteur beim deutschen Ableger des »Rolling Stone« und Ende der 1990er Gagschreib­er für die »Harald-Schmidt-Show«. Seinen Mentor nennt er Jahre später in einem Interview »herzlos«.

Der Erfolg seines Debütroman­s und die darauf folgende enorme Aufmerksam­keit bringen ihre Schattense­iten mit sich. Das zweite und das dritte Buch erscheinen noch im selben Jahr (1999). Anfang der 2000er manifestie­rt sich bei ihm eine Essstörung, es folgen harte Alkohol- und Drogenprob­leme. 2004 dreht die Fotografin und Filmemache­rin Herlinde Koelbl eine bemerkensw­erte Dokumentat­ion über ihn. Sie darf live bei seinem Verfall und absoluten Absturz dabei sein. 2016 schreibt er, endlich nüchtern und clean, einen lange erwarteten Roman über diese Zeit, aus dem Buch wird später ein Theaterstü­ck. Heute lebt er in Berlin, war mal verheirate­t und ist Vater eines Sohnes. Wer ist’s?

Rätselantw­orten per Post an: neues deutschlan­d, Steckbrief, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin oder per E-Mail an: steckbrief@nd-online.de

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