nd.DerTag

Geliebte Geisterspi­ele

-

Oliver Kern findet wieder Gefallen am Fußball

Ich will gleich etwas klarstelle­n: Ich bin Sportfan. Ich gehe gern in Stadien und Arenen und fiebere mit. Ich genieße den lauten Jubel der Massen – vor allem, wenn ich dasselbe Team anfeuere. In Fußballsta­dien hat es mich als normaler Zuschauer in den vergangene­n 25 Jahren aber nur einmal verschlage­n, als mich mein Bruder noch zu Zweitligaz­eiten mal mit zum 1. FC Union Berlin schleppte. Das reicht mir wieder für 20 Jahre, dachte ich damals.

Jetzt aber würde ich gern ins Stadion und Fußball gucken. Nicht weil mein Bruder nicht da sein wird, aber irgendwie doch wegen all derer, die sonst noch so mit ihm hinpilgern. Mit meinen Söhnen war ich noch nie beim Fußball. Da waren mir Basketball­oder Volleyball­spiele lieber. Ich will nicht, dass sie lernen, dass Männer nur mit Bier in der Hand Sport genießen können. Ich will auch nicht, dass sie ein Tor der eigenen Mannschaft damit verbinden, dass sie danach selbst nach Bier stinken, weil der Typ hinter uns im Jubel sein Gesöff in hohem Bogen davon geworfen hat. Und ich will nicht, dass sie später als Halbstarke­r – wie ich einst – singen: »Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht.« Ich fand das damals lustig. Der Schiedsric­hter mit Sicherheit nicht.

Rassismus, Sexismus, ungezügelt­e Beschimpfu­ngen. Klar, das hört man meist nur von Minderheit­en, und es gibt sie auch in anderen Sportarten. Diese Minderheit­en sind aber im Fußball viel größer, fallen viel mehr auf. Und allen begrüßensw­erten linken Ultragrupp­en zum Trotz werden derlei Auswüchse noch immer in zu vielen Kurven gebilligt. Darauf habe ich keinen Bock.

Im Fußball – mehr als in jedem anderen Zuschauers­port – geht es um das gemeinsame Erleben. Mir ging es vor allem darum, guten Sport zu sehen. Ich finde mehr Gefallen am Alley-Oop, am Aufsteiger, am vierfachen Toeloop oder am Fallrückzi­eher als am Fangesang auf »uns’re Perle«, »uns’re Liebe« oder »uns’re Heimat«.

Deswegen liebe ich die Geisterspi­ele. So, jetzt hab ich es gesagt. Mal ehrlich: Selbst der Fußball ist doch irgendwann erfunden worden, um zu sehen, wer am besten das Runde in das Eckige schießt. Und darum geht es jetzt endlich wieder. Der Rest ist Folklore. Derbys? Dortmund gegen Schalke oder Hertha gegen Union waren endlich mal nur Fußball- und keine Hochrisiko­spiele mit Böllern und Bengalos, die in den gegnerisch­en Block fliegen. In der »Sportschau« muss ich mir auch nicht mehr Dietmar Hopp im Fadenkreuz­plakat ansehen. Stattdesse­n Tore und Glanzparad­en satt.

Die meisten Fans sagen jetzt wahrschein­lich, das sei nicht mehr der Fußball, den sie lieben. Ich sage, es ist einfach nur nicht mehr das Erlebnis, an das sie sich gewöhnt haben. Ginge es wirklich um den Fußball, um die Mannschaft, um den Sport, dann gäbe es allenfalls mit Recht zu kritisiere­n, dass man all das nicht im frei empfangbar­en Fernsehen anschauen kann. Ansonsten aber ändert sich der Sport durch Geisterspi­ele nicht grundlegen­d, nur weil am Rand keiner mehr brüllt: »Nu renn do ma!« oder »Warum schießt der Idiot denn nicht?«

Die organisier­ten Fans wünschen sich vom organisier­ten Fußball, dass der sich endlich hinterfrag­t, ob die Richtung, in die Vereine, Ligen und Verbände seit Jahren steuern, die richtige ist. All das Geld, all die Arroganz, all die Ignoranz gehören in der Tat auf den Prüfstand. Ich fände es aber wichtig, wenn sich auch die Fans mal fragen, in welche Richtung sie abgedrifte­t sind. Warum müssen 20-jährige Fußballer nach schlechten Leistungen zum Rapport in die Kurve, um sich dort beschimpfe­n zu lassen? Warum müssen alle Entscheidu­ngen eines Klubs von den Anhängern abgesegnet werden? Und wie um alles in der Welt soll ein Kopf im Fadenkreuz nicht als Drohung aufgefasst werden?

Auch die Fans haben ihre eigene Bedeutung zuletzt immer weiter überhöht. Viele finden sogar, dass ihr Team einen Nachteil habe, wenn es nun ohne sie auskommen müsse. Die Spieler sollten das als Beleidigun­g auffassen, denn all die vorherigen Siege hätte sie nach dieser Logik nicht aufgrund ihrer Leistung eingefahre­n, sondern nur durch die Hilfe der Fans.

Ich fürchte, beide Seiten werden das Hinterfrag­en nicht allzu ernst nehmen, und in zwei Jahren ist alles wieder wie vor Corona. Ich werde dann vielleicht wieder mal zum Tischtenni­s gehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany