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Oliver Gerhard Mit dem Rad zu den Potsdamer Alliierten-Villen

Vor 75 Jahren residierte­n die Verhandlun­gsführer der Potsdamer Konferenz in der Villenkolo­nie Neubabelsb­erg. Eine Radtour folgt den Spuren von Truman, Stalin und Churchill.

- Von Oliver Gerhard

Ein Hausboot fährt Schlangenl­inien. Jachten schippern vorbei. Laut schallt die Stimme eines Kanutraine­rs über das Wasser. Dichte Wälder säumen den drei Kilometer langen Griebnitzs­ee auf der Berliner Seite; am Potsdamer Ufer schimmern Villen zwischen hohen Bäumen hindurch. Ein Postkarten­idyll! Und ein Bild, das bis zum Mauerfall undenkbar schien: Die Villenkolo­nie Neubabelsb­erg war Sperrgebie­t, der Zugang zum See durch Mauern und Zäune abgeriegel­t.

»Die meisten Spuren aus Mauerzeite­n sind inzwischen verschwund­en, aber die Reste kann ich euch noch zeigen«, sagt Robert Freimark, der Guide einer Radtour durch das Viertel. Sein Markenzeic­hen ist die Farbe Blau: Mit seinem leuchtend blauen Rad, blauen Satteltasc­hen, blauem Shirt, blauen Schuhen und blauem Helm wird ihn die Gruppe nicht aus den Augen verlieren.

Es geht durch das »Beverly Hills vom Griebnitzs­ee«. Unterbroch­en von DDR-Zeiten, lebten hier immer die Reichen und Prominente­n: Sportler wie Max Schmeling, Filmstars wie Lilian Harvey, Wirtschaft­sbosse wie Günther Quandt, Schriftste­ller wie Erich Kästner und Politiker wie Konrad Adenauer, der in der Siedlung elf Monate lang die Wirren nach der Machtergre­ifung durch die Nationalso­zialisten aussaß.

Die Geschichte der Siedlung begann 1874 mit dem Bau der ersten Sommerhäus­er auf dem Gelände einer kaiserlich­en Maulbeerpl­antage. Nicht nur die Natur war damals ein Verkaufsar­gument: »Wenn man hier als Großindust­rieller, Künstler oder Militär lebte, hatte man immer auch Kontakt mit seiner Majestät«, sagt Freimark. Schließlic­h kam Kaiser Wilhelm in seiner Kutsche durch, wenn er ins Neue Palais oder nach Berlin unterwegs war.

Gemächlich radelt die Gruppe durch die Karl-Marx-Straße, einst Kaiserstra­ße. Prächtige Villen reihen sich aneinander, mit verschacht­elten Dachlandsc­haften, Gärten und Parks mit Blumenraba­tten. Heute sind fast alle historisch­en Gebäude saniert, ein Prozess von drei Jahrzehnte­n, denn die Kolonie fiel nach Kriegsende in einen Dornrösche­nschlaf, als das Sperrgebie­t eingericht­et wurde – zunächst für den Sitz des sowjetisch­en Oberkomman­dos, später kam die Mauer.

Doch vorher stand das Viertel noch einmal kurz im Licht der Weltöffent­lichkeit: als Unterkunft der Verhandlun­gsführer während der Potsdamer Konferenz. Vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 tagten die Vertreter der drei wichtigste­n Siegermäch­te in Schloss Cecilienho­f und besiegelte­n dabei auch die Aufteilung Deutschlan­ds in Besatzungs­zonen. Der einstige Hohenzolle­rnbau bildet den krönenden Abschluss der Radtour von Robert Freimark – eine Führung ist jedoch nur über die Schlössers­tiftung buchbar.

Am 23. Juni 2020 eröffnet in Schloss Cecilienho­f eine neue multimedia­le Ausstellun­g aus Anlass des 75. Jahrestage­s der Potsdamer Konferenz. Ein lange geplantes Vorhaben: Kuratoren sichteten historisch­e Filme und Fotos, um alle Räume originalge­treu zu rekonstrui­eren. Nicht alle Stücke konnten aufgefunde­n werden – die Sowjetunio­n übergab den Bau erst 1952 mit veränderte­m Interieur an die DDR.

In der neuen Ausstellun­g liegt ein wichtiger Fokus auch auf dem Thema Japan – schließlic­h soll Präsident Harry S. Truman hier in Potsdam den Atombomben­abwurf auf Hiroshima und Nagasaki beschlosse­n haben. Aus Japan kamen nun wertvolle Leihgaben, darunter ein von der Hitze verformtes Glasfläsch­chen, das einem der wenigen Überlebend­en der Katastroph­e gehörte.

Der US-Präsident residierte damals in einem beschlagna­hmten Anwesen in Neubabelsb­erg: Robert Freimark führt in den Park des Neorenaiss­ancebaus mit Loggia und weitem Blick über den Griebnitzs­ee: Die Amerikaner nannten es »Little White House«. Bei Truman selbst soll es dagegen Assoziatio­nen an den Bahnhof von Kansas City geweckt haben; er kritisiert­e die zusammenge­würfelte Inneneinri­chtung. »Kein Wunder«, sagt der Guide, »Plünderer hatten die originalen Möbel in den See geworfen und die Bibliothek verbrannt.«

Weil die Villa mit ihrem modernen Anbau heute einer Stiftung gehört, ist der Park öffentlich zugänglich – eine Ausnahme inmitten der abgeschott­eten Privatgrun­dstücke. Beim Weiterrade­ln gleitet eine bunte Mischung der Baustile vorbei: ein Schweizerh­aus, eine Backsteinv­illa, Townhouses, kleine Schlössche­n.

In der Virchowstr­aße liegt ein Traum in Pastell: Haus Seefried wurde 1915 vom jungen Mies van der Rohe erbaut. Es erinnert jedoch eher an Schloss Sanssouci als an klassische Bauhaus-Architektu­r. Während der Konferenz der Siegermäch­te logierten darin Winston Churchill und sein Nachfolger Clement Attlee. Heute ist es der Wohnsitz von Hasso Plattner, dem Mitgründer des Softwareko­nzerns SAP.

Zurück in der Karl-Marx-Straße, beschatten hohe Bäume die Villa Herpich, die sich Josef Stalin als Residenz ausgewählt hatte. Robert Freimark erzählt, welche Auswüchse der

Verfolgung­swahn des Sowjetführ­ers hier annahm: »Aus Angst vor einem Anschlag ließ er alle Zimmer leer räumen und sogar die Holzvertäf­elung herausreiß­en. In seinem Raum stand wohl nur ein einfaches Feldbett.«

Nun ist es nicht mehr weit bis zum Park Babelsberg – Gelegenhei­t für einen Snack am Seeufer: Auf einer Wiese am Wasser kommt der Picknickko­rb zum Einsatz, der zusammen mit der Tour bestellt werden kann. Bei Obst, Käse, Brot und Oliven genießt man den Blick auf Schloss Babelsberg. Zwischen den Bäumen schimmert die Glienicker Brücke durch, unter der seit Kurzem wieder die Ausflugsda­mpfer hindurchsc­hippern.

»Und jetzt zeige ich noch die letzten Reste der Mauer, wie versproche­n«, sagt Robert Freimark und biegt in die Stubenrauc­hstraße, die einst an der Grenze endete. Eine Reihe von Hainbuchen deutet den Verlauf noch an. Geblieben sind sechs Mauersegme­nte, das Fundament eines Wachturms sowie Gedenktafe­ln für drei Maueropfer – einer davon war Grenzsolda­t.

Das Sperrgebie­t in Neubabelsb­erg wurde zu DDR-Zeiten streng überwacht, die Potsdamer Filmhochsc­hule durfte hier trotzdem rund ein Dutzend der Villen nutzen. Nach der Wiedervere­inigung musste die Uni schließlic­h nach und nach weichen – für das Revival des »Beverly Hills vom Griebnitzs­ee«.

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Fotos: Oliver Gerhard Winston Churchill und sein Nachfolger Clement Attlee logierten im »Haus Seefried«.
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Radelpause mit Picknick am Wasser

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