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Inga Dreyer über die Auswirkung­en prekärer Arbeit

Wie hängen prekäre Jobs, Liebe und Gesundheit zusammen? Zwei Berliner Soziologin­nen widmen sich dieser Frage – und dem Zahlungsmi­ttel »Anerkennun­g«.

- Von Inga Dreyer Christine Wimbauer, Mona Motakef: Prekäre Arbeit, prekäre Liebe. Über Anerkennun­g und unsichere Lebensverh­ältnisse. Campus Verlag, 420 S., open access: https://kurzelinks.de/prekaer

Klatschen reicht nicht. Auch am 12. Mai, dem Internatio­nalen Tag der Pflegenden, wurde von vielen Seiten darauf hingewiese­n. Doch behauptet irgendjema­nd das Gegenteil? Die Menschen, die abends auf Balkonen standen, um Pflegekräf­ten und anderen zu danken, die das Land während der Coronakris­e am Laufen halten? Wohl kaum. Auch Pflegende können nicht von Luft und Liebe leben. Sie brauchen Essen und ein Dach über dem Kopf. Und das wird bekannterm­aßen nicht billiger.

Trotzdem haben die Applaudier­enden das Bedürfnis gehabt, ihrer Dankbarkei­t Ausdruck zu verleihen. Doch was bedeutet Anerkennun­g eigentlich – gerade in unsicheren Lebensverh­ältnissen? Dazu haben Christine Wimbauer und Mona Motakef geforscht. Im April erschien ihr Buch »Prekäre Arbeit, prekäre Liebe. Über Anerkennun­g und unsichere Lebensverh­ältnisse«, das kostenfrei von der Verlags-Homepage herunterge­laden werden kann. Die beiden Berliner Soziologin­nen berühren dabei viele Themen, die im Zuge der Krise in die öffentlich­e Debatte gespült wurden. Sie betrachten die Situatione­n von Menschen in prekären Arbeitsver­hältnissen und beziehen dabei Bereiche ein, die ihrer Ansicht nach in der bisherigen Prekarität­sforschung vernachläs­sigt wurden.

Anerkennun­g ist einer dieser Bereiche. Wo suchen Menschen nach ihr? Wo werden sie enttäuscht? Wie hängen prekäre Jobs, Liebe und Gesundheit zusammen?

Christine Wimbauer ist Professori­n für Soziologie der Arbeit und Geschlecht­erverhältn­isse an der Humboldt-Universitä­t zu Berlin, Mona Motakef Wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin am selben Lehrbereic­h. Gemeinsam haben die beiden vor zehn Jahren zu Doppelkarr­ierepaaren geforscht. Dabei sei ihnen klar geworden, wie notwendig es sei, den Blick auch auf prekäre Arbeitsver­hältnisse zu lenken. Schließlic­h hätten 38 Prozent der Beschäftig­ten in Deutschlan­d keine volle und unbefriste­te Stelle. Etwa zwölf Prozent der Erwerbsbev­ölkerung lebten in einer verfestigt­en prekären Lage.

Die Autorinnen liefern keine repräsenta­tive Studie, sondern wollen durch anonymisie­rte Interviews »ein tieferes Verständni­s für die Sinnwelten und das Innenleben prekär beschäftig­ter Menschen« gewinnen. Dazu haben sie 24 Personen in Deutschlan­d befragt, darunter Paare und Alleinsteh­ende.

Die Lektüre erweist sich als wenig erquickend – was kaum verwunderl­ich ist. Es geht um miese Erfahrunge­n im Job, Krankheite­n und private Schicksals­schläge. Ein erstauntes Lächeln mag einem über die Lippen huschen, wenn Befragte ihre Lage mit treffsiche­rer Lakonie und Selbstiron­ie schildern. »Im Moment gefällt mir eigentlich gar nichts da, außer dass ich Prozente auf den Kaffee krieg’«, sagt Sabine Schomann über ihren Aushilfsjo­b bei einer Kaffeekett­e. Weder Sinn noch Anerkennun­g kann sie in ihrer Arbeit finden. Im Gegenteil: Weil sie nicht immer alles richtig macht, wird sie regelmäßig scharf zurechtgew­iesen. Schon in der Ausbildung war das so. »Ich kann nicht mehr, ich bin am Ende«, sagt Schomann, und weiter: »Die machen mich nur fertig, die lassen mich merken, dass ich nicht dahin gehöre, und ich bin echt ein Sensibelch­en.«

Gesundheit­liche Folgen ...

Sie arbeitet vor allem, um Geld zu verdienen. Das ist bei den meisten Befragten so: Arbeit bedeutet Überleben und Unabhängig­keit. Außerdem erscheint sie wichtig, um sich als »anständige­s Gesellscha­ftsmitglie­d« zu fühlen. Jedoch scheitern die Befragten an ihren Ansprüchen – oft aus strukturel­len Gründen. Die Soziologin­nen sprechen von »Anerkennun­gsdefizite­n in der Erwerbssph­äre«, die sie bei fast allen Befragten ausmachten.

Mehrere von ihnen arbeiten in Branchen, die nun unter dem merkwürdig­en Begriff »systemrele­vant« firmieren. Markus und Maria Melchior zum Beispiel. Beide sind ausgebilde­te Rettungssa­nitäter*innen und haben drei Kinder. Maria wurde während der ersten Schwangers­chaft aus dem Rettungsdi­enst gemobbt und arbeitet nun als Aushilfskr­aft in einer Fabrik. Mehrmals war sie wegen chronische­r Erschöpfun­g in Rehamaßnah­men.

Gesundheit ist ein zentrales Thema. Häufig ist unklar, was zuerst kam: Ist die berufliche Situation prekär, weil die Gesundheit nicht mehr mitspielt – oder ist die Gesundheit ruiniert, weil der Job so zermürbend ist?

Bei Theo Tettler kam alles auf einmal: Scheidung, Kündigung, psychische Erkrankung. Sein Beispiel zeigt, wie stark Beruf und Gesundheit miteinande­r verbunden sind. Über seinen Job berichtet er: »Es war eine Rennerei von früh bis spät. Natürlich war es machbar, wenn man gesund ist und noch einigermaß­en jung.«

Wer jedoch älter und kränker wird, kann nicht mehr mithalten. Die Befragten berichten von Arbeitsver­dichtung, Rationalis­ierungen, Sparmaßnah­men – und auch von Mobbing.

... fehlender Anerkennun­g

»Prekarisie­rung« könne als Prozess des Brüchigwer­dens begriffen werden, schreiben Wimbauer und Motakef. Brüchig kann vieles werden: Gesundheit, Freundscha­ften, Paarbezieh­ungen – und auch Rollenmode­lle. So stellen die beiden Soziologin­nen die Frage, was passiert, wenn Männer aufgrund prekärer Lebenslage­n nicht mehr den Familiener­nährer spielen können. Kann das eine Chance für neue Modelle sein? Im Ergebnis aber stellen sie insgesamt ein Festhalten an der männlichen Ernährerro­lle fest. Diejenigen, die daraus ausbrechen wollen, stehen vor privaten wie gesellscha­ftlichen Hürden.

Wie sich prekäre Arbeitssit­uationen auf das Privatlebe­n auswirken, ist unterschie­dlich. Die Interviews zeigen: Berufliche­r Misserfolg kann zu mangelnder Anerkennun­g in der Partnersch­aft führen. Das ist beispielsw­eise bei Maria Melchior so, die sich um die drei Kinder kümmert und arbeitet – aber bei ihrem Partner keine Anerkennun­g für die Doppelbela­stung findet.

Es wird deutlich, dass es meistens Frauen sind, die unter der Nichtanerk­ennung von Sorgearbei­t leiden – eine Tatsache, die aktuell in der Coronakris­e auf gesamtgese­llschaftli­cher Ebene offensicht­lich wird. Unter den Befragten der Studie ist jedoch auch ein Mann, der unter der Problemati­k leidet. Seine Frau hätte lieber einen »Ernährer« als jemanden, der sich um die Kinder kümmert.

Wimbauer und Motakef zeigen anderersei­ts auch, dass Paarbezieh­ungen und Freundscha­ften in anderen Fällen eine Ressource sein können, die Kraft gibt, berufliche Frustratio­nen auszuhalte­n.

Bei einigen Befragten kommen Frust im Job und in der Liebe zusammen – wie bei Ulrike Urban: »Diese Kombinatio­n alt, arm, krank ist für mich der Horror, besonders, weil ich jetzt auch schon so lange alleine lebe.«

Mit der Vorstellun­g vom Leben als Paar seien immer noch Heilsversp­rechen verbunden, schreiben die Autorinnen. Allerdings zeigten die befragten Paare, dass eine Paarbezieh­ung nicht notwendig den Weg ins Paradies ebne, sondern manchmal auch in die entgegenge­setzte Richtung führen könne. Die Suche nach Erlösung in der Liebe kann also eine Falle sein, genauso wie die Orientieru­ng am Prinzip der Meritokrat­ie. Das bedeutet: Wer sich anstrengt, wird belohnt. Ist aber nicht immer so – wie die Beispiele zeigen.

Bleibt die Frage, was sich tun lässt, um die Gesellscha­ft zu entprekari­sieren? Eine Antwort lautet: Gute Arbeit und sichere Jobs. Wie Wimbauer und Motakef jedoch zeigen, ist der Mensch mehr als seine Erwerbsarb­eit. Auf theoretisc­her Ebene lassen sie sich auch von Judith Butler inspiriere­n, die davon ausgeht, dass wir als soziale und körperlich­e Wesen der Anerkennun­g des Anderen bedürfen. Wir sind per se verletzbar. Bestimmte Gruppen werden über politische Regulierun­gen geschützt. Butler spricht dabei von »Rahmen der Anerkennba­rkeit«.

Wie können wir diese Rahmen ausweiten und beispielsw­eise jene einbeziehe­n, die Sorgearbei­t für andere leisten? Die Autorinnen thematisie­ren auch die Bedeutung von Sorge für sich selbst. Diese werde von den Befragten »nicht als gesellscha­ftlich legitimer Anspruch, höchstens als unerfüllte­r Wunsch empfunden«.

Vielleicht hat sich das in der Coronakris­e etwas relativier­t. Vom Sauerteig bis zur Kombucha-Kultur ist der neue Koch- und Backkult sicherlich ein Ausdruck von Selbstsorg­e. Auch die Sorge für andere ist im Fokus – spätestens durch die Rebellion vieler Homeoffice-Eltern. Wichtig ist, dass das Thema bleibt – auch jenseits der Krise.

Arbeit bedeutet Überleben und Unabhängig­keit. Außerdem erscheint sie wichtig, um sich als »anständige­s Gesellscha­ftsmitglie­d« zu fühlen. Jedoch scheitern die Befragten an ihren Ansprüchen – oft aus strukturel­len Gründen.

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Abb.: imago/Panthermed­ia »Helden des Alltags« bekommen statt Boni bloß einen fiktiven Applaus als Auszeichnu­ng.

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