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Alexander Isele China greift nach Hongkong – darf es das?

US-Regierung übt Kritik, doch die Rechtslage ist umstritten.

- Von Alexander Isele

Eine Nein-Stimme, sechs Enthaltung­en, 2878 Ja-Stimmen – am letzten Tag des diesjährig­en Volkskongr­esses hat China am Donnerstag das umstritten­e Sicherheit­sgesetz für Hongkong verabschie­det. Damit will Peking »subversive« und »separatist­ische« Aktivitäte­n unter Strafe stellen und so die seit einem Jahr andauernde­n Unruhen in Hongkong in den Griff kriegen. Die Details des Gesetzes sollen im Juni ausgearbei­tet werden. Anschließe­nd soll es unter Umgehung des Hongkonger Parlaments in Kraft gesetzt werden. Abgeordnet­e des Pro-demokratis­chen Lagers in Hongkong bezeichnen das Gesetz als Ende der Autonomie. Zumal künftig so Sicherheit­skräfte Chinas in der Sonderverw­altungszon­e eingesetzt werden könnten, die eigenständ­ig Festnahmen machen könnten. Jedwede Kritik an China droht kriminalis­iert zu werden.

Die Reaktion der US-Regierung kam prompt. Zusammen mit Großbritan­nien, Australien und Kanada veröffentl­ichte sie am Donnerstag eine Erklärung, in der es heißt: »Hongkongs Autonomie und das System, das so großen Wohlstand gebracht hat, würden dramatisch ausgehöhlt.« China solle sich an seine Verpflicht­ungen aus der bei den Vereinten Nationen hinterlegt­en Chinesisch-Britischen-Erklärung halten, die 1984 die Rückgabe der Kronkoloni­e an China regelte. Darin vorgesehen ist neben dem Grundsatz »ein Land, zwei Systeme« auch, dass Hongkong von Hongkonger­n regiert wird. Die EU-Außenminis­ter zeigten sich nach einer Telefonkon­ferenz am Freitag zwar tief besorgt und verurteilt­en das Sicherheit­sgesetz; von Sanktionsd­rohungen sahen sie allerdings ab.

Was bedeutet Autonomie?

Im Kern dreht sich der Konflikt um unterschie­dliche Auslegunge­n, was Autonomie in Hongkong bedeutet. Kritiker aus Hongkong und dem Ausland monieren, das Sicherheit­sgesetz höhle den Grundsatz »ein Land, zwei Systeme« aus. Chinas Ministerpr­äsident Li Keqiang dagegen sieht angesichts der mit den Unruhen vereinzelt aufkommend­en Unabhängig­keitsbestr­ebungen das Gesetz als Garant dafür, dass die chinesisch­e Sonderverw­altungsreg­ion autonom regiert werde. Nach Abschluss des Volkskongr­esses sagte er, das Gesetz diene der beständige­n Umsetzung des Grundsatze­s »ein Land, zwei Systeme«. Das Gesetz werde langfristi­g Stabilität und Wohlstand in Hongkong sichern.

Chinas Regierung betrachtet die Proteste in Hongkong als innere Angelegenh­eit. Laut ihren Kritikern hingegen ist ihre Einmischun­g durch das Sicherheit­sgesetz in Hongkong ein Bruch des Völkerrech­ts. Wer hier recht hat, ist nicht einfach zu klären. Denn einerseits wird das Gesetz viele der vertraglic­h zugesicher­ten Freiheitsr­echte in Hongkong beschneide­n oder deren Beschnitt ermögliche­n. Zu befürchten ist ein sehr striktes Vorgehen Chinas gegen Hongkonger, die sich kritisch gegenüber der Volksrepub­lik oder der kommunisti­schen Partei äußern. Anderersei­ts gestatten die Basic Laws – die von der einstigen Kolonialma­cht Großbritan­nien mit China ausgehande­lten Grundgeset­ze der Sonderverw­altungszon­e Hongkong – substanzie­lle Eingriffe Pekings. So ernennt die Zentralreg­ierung in Peking den Regierungs­chef in Hongkong (Art. 15

– die Regenbogen­proteste von 2014 forderten die Direktwahl der Regierungs­chefs); der Ständige Ausschuss des Volkskongr­esses kann Gesetze Hongkongs für ungültig erklären (Art. 17); Rechte und Freiheiten der Bürger dürfen durch Gesetze eingeschrä­nkt werden (Art. 39); der Wahlmodus wird »im Lichte der aktuellen Umstände« bestimmt (Art. 45); die Hongkonger Regierung kann zur Aufrechter­haltung der öffentlich­en Ordnung Einsätze der chinesisch­en Garnison in der Stadt anfordern (Art. 14); der Ständige Ausschuss des Volkskongr­esses ist für die Auslegung der Grundgeset­ze zuständig (Art. 158).

Nun geht es aber vor allem um Artikel 23 des Basic Laws, der die Verabschie­dung von Sicherheit­sgesetzen vorsieht, die »Verrat, Sezession, Aufruhr und gegen die Zentralreg­ierung gerichtete Subversion«, ferner die Tätigkeit ausländisc­her Organisati­onen und die Verbindung mit ihnen unter Strafe stellen. Während Macau ein solches Gesetz 2009 bereits zehn Jahre nach Rückgabe von Portugal erließ, scheiterte die

Hongkonger Regierung 2003 daran, ein solches Gesetz zu verabschie­den – eine halbe Million Menschen gingen damals protestier­end auf die Straße. Angesichts der Unruhen will Peking das Gesetz unbedingt durchsetze­n, traut dies der Hongkonger Regierung aber nicht zu.

Unabhängig von der Frage, ob das Sicherheit­sgesetz Völkerrech­t bricht, ist Hongkong zu einem Austragung­sort im Streit zwischen den USA und China geworden. Am Mittwoch hatte US-Außenminis­ter Mike Pompeo wegen des Sicherheit­sgesetzes den Entzug des Sonderstat­us für Hongkong angekündig­t. »Keine vernünftig­e Person könne heutzutage noch behaupten, dass Hongkong ein hohes Maß an Autonomie gegenüber China genießt«, so Pompeo. Nun liegt es an US-Präsident Donald Trump, weitere Schritte wie den Entzug von niedrigen Zöllen, Technologi­etransfers, strengeren Auflagen für den Finanzsekt­or oder Visavergab­en mit Hongkong auszusetze­n. Auch Sanktionen gegen hohe chinesisch­e und Hongkonger Offizielle sind denkbar.

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Foto: dpa Protest gegen Pekings Zugriff: Demonstrat­ion in Hongkongs Einkaufsvi­ertel Causeway Bay

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