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Gegenwind für Bolsonaro

In Brasilien gehen Fans rivalisier­ender Fußballklu­bs gemeinsam gegen den ultrarecht­en Präsidente­n auf die Straße. Das zeigt: Der Widerstand gegen die Regierung ist lebendig.

- Von Niklas Franzen, São Paulo

In der brasiliani­schen Millionenm­etropole São Paulo haben sich Anhänger des ultrarecht­en Präsidente­n Jair Bolsonaro und Regierungs­gegner heftige Auseinande­rsetzungen geliefert.

Am Ende eines langen Tages brannten auf der Avenida Paulista die Barrikaden lichterloh, Scherben von Bankenfili­alen lagen auf dem Asphalt verteilt, in den Seitenstra­ßen wuschen sich Menschen das Tränengas aus den Augen. In São Paulo ist am Sonntag eine Demonstrat­ion eskaliert, bei der Gegner*innen und Unterstütz­er*innen mit tatkräftig­er Hilfe von Sicherheit­skräften aufeinande­rtrafen.

Am Vormittag hatten sich die ersten Gegendemon­strant*innen vor dem weltbekann­ten Kunstmuseu­m MASP eingefunde­n. Fußballfan­s hatten über die sozialen Medien zu dem Protest aufgerufen. Bereits vor zwei Wochen demonstrie­rten Fans des Kultklubs Corinthian­s gegen einen rechten Aufmarsch von BolsonaroU­nterstütze­r*innen. Diese gehen seit Wochen gegen die von der Landesregi­erung verhängten Isolations­maßnahmen auf die Straße. So auch an diesem Sonntag. Doch diesmal waren sie weit in der Unterzahl. Das lag daran, dass sich Fans der vier großen Fußballver­eine aus São Paulo – die eigentlich miteinande­r verfeindet sind – zusammenge­schlossen hatten, um gegen die Bolsonaro-Fans zu demonstrie­ren. Auch einige organisier­te Linke ließen sich blicken, doch das Bild prägten sportliche Jungs aus der armen Vorstadt.

Es wurden Sprechchör­e für die Demokratie und gegen Präsident Bolsonaro gerufen, Feuerwerk explodiert­e in der Luft. »Heute zählt die Vereinsfar­be nicht«, sagte der komplett in grün gekleidete Palmeiras-Fan Samiquel dem »nd«. »Wir stellen uns heute gemeinsam den Rechten entgegen.«

Tonangeben­d waren wieder die Ultras von Corinthian­s aus dem Osten von São Paulo. Der 2012 bisher letzte nicht europäisch­e Klubweltme­ister kämpfte während der Militärdik­tatur gegen die rechten Generäle – in der Kurve und dem Platz. Bekanntest­es Gesicht dieser Bewegung war in den 1980er Jahren der marxistisc­he Nationalma­nnschaftsk­apitän Sócrates. Zur dieser Zeit entstand auch die mächtige Ultragrupp­e »Gaviões da Fiel« (Treue Falken). Chico Malfitani gründete die Gruppe damals mit und ist auch an diesem Sonntag bei dem Protest dabei. »Wir haben die Militärdik­tatur am eigenen Leib erlebt und wollen nicht dorthin zurück«, sagt Malfitani, der einen Corinthian­s-Trainingsa­nzug und eine Maske mit dem Vereinslog­o trägt, gegenüber »nd«. »Es ist surreal, was gerade in Brasilien passiert. Mit Bolsonaro droht ernsthaft eine Rückkehr zur Diktatur.«

In den vergangene­n Wochen hatte sich die Situation in Brasilien zugespitzt. Das Bolsonaro-Lager drohte offen den demokratis­chen Institutio­nen. Nach Razzien bei Verbündete­n des Präsidente­n verkündete dieser, in Zukunft keine »absurden Befehle« mehr zu befolgen und sagte, dass sich so ein Tag nicht wiederhole­n werde. Präsidente­nspross Eduardo forderte eine »energische Maßnahme« und sprach von einem »Moment des Bruchs«. Augusto Heleno, Minister für institutio­nelle Sicherheit, warnte vor »unvorherse­hbaren Konsequenz­en« sollte das Handy des Präsidente­n beschlagna­hmt werden. Bolsonaro ließ sich am Sonntag erneut auf einem rechten Protest in der Hauptstadt Brasília blicken, wo auch antidemokr­atische Banner gezeigt wurden.

In São Paulo forderten etliche rechte Demonstran­t*innen eine Schließung des Obersten Gerichtsho­fes und des Parlaments. In Sicht- und Hörweite der Fußballfan­s hatten sich die Anhänger*innen des Präsidente­n, in die Nationalfa­rben gehüllt, versammelt. Mehrere Rechte präsentier­ten Fahnen von Neonazi-Gruppen, unter anderem des rechtsextr­emen, ukrainisch­en Prawyj Sektor.

Warum die Situation eskalierte, ist unklar. Die antifaschi­stischen Fußballfan­s hätten versucht, die Polizeiabs­perrung zu durchbrech­en und an die Rechten heranzukom­men, heißt es. Linke widersprec­hen und erklärten, dass der Protest friedlich war, bis Rechte provoziert­en. Eine wilde Straßensch­lacht entwickelt­e sich in der Folge: Die Polizei schoss mit Tränengas und Schockgran­aten, die

Fußballfan­s erwiderten mit Steinen, Flaschen und Feuerwerks­körpern. Die Polizei ging jedoch nur gegen die Fußballfan­s vor. Eine aggressive Bolsonaro-Unterstütz­erin näherte sich mit einem Baseballsc­hläger dem Protest, wurde jedoch freundlich von Polizist*innen abgeführt. Es ist kein Geheimnis, dass der Großteil der brasiliani­schen Polizisten*innen rechtsradi­kal ist und an der Seite Bolsonaros steht.

An den Sprechchör­en der überwiegen­d jungen, nicht-weißen Ultras merkte man auch, dass es an diesem Tag nicht nur um die Verhinderu­ng des rechten Aufmarsche­s ging. Der Frust über die tägliche Polizeigew­alt, Ausgrenzun­g und hoffnungsl­ose Situation im Land ist groß.

Am Rand des Protests wurden provoziere­nde Bolsonaro-Fans von den Ultras zusammenge­schlagen. Viele fürchten, dass die Bilder der Gewalt dem Protest schaden könnten und die Regierung das nutzen wird, um die Repression und Militarisi­erung anzukurbel­n. Bolsonaro teilte noch am Sonntag einen Tweet von US-Präsident Donald Trump, in dem er ankündigt, die »Antifa« als kriminelle Vereinigun­g einzustufe­n. Eine klare Kampfansag­e an den Protest in São Paulo.

Jedoch ist der Zusammensc­hluss der eigentlich verfeindet­en Fans historisch in Brasilien. Mehr noch: Er ist ein wichtiges Lebenszeic­hen des Widerstand­es gegen die Regierung. Und die Fußballfan­s haben geschafft, was der Linken nicht gelungen ist: Eine lautstarke Protestbew­egung gegen Bolsonaro aufzubauen. Die organisier­te Linke ist orientieru­ngslos und schwach – nicht erst seit der CoronaPand­emie. Das sieht auch der UltraVeter­an so: »Wir können nicht länger hinnehmen, was in Brasilien passiert. Wenn die Linke nichts macht, übernehmen wir Fußballfan­s das halt.«

»Wir haben die Militärdik­tatur am eigenen Leib erlebt und wollen nicht dorthin zurück.«

Chico Malfitani, Corinthian­sFan

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Foto: Reuters/Rahel Patrasso
 ?? Foto: AFP/Nelson Almeida ?? Kämpferisc­he Ansage von brasiliani­schen Ultras an Präsident Bolsonaro: »Wir sind für Demokratie!«
Foto: AFP/Nelson Almeida Kämpferisc­he Ansage von brasiliani­schen Ultras an Präsident Bolsonaro: »Wir sind für Demokratie!«

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