Gegenwind für Bolsonaro
In Brasilien gehen Fans rivalisierender Fußballklubs gemeinsam gegen den ultrarechten Präsidenten auf die Straße. Das zeigt: Der Widerstand gegen die Regierung ist lebendig.
In der brasilianischen Millionenmetropole São Paulo haben sich Anhänger des ultrarechten Präsidenten Jair Bolsonaro und Regierungsgegner heftige Auseinandersetzungen geliefert.
Am Ende eines langen Tages brannten auf der Avenida Paulista die Barrikaden lichterloh, Scherben von Bankenfilialen lagen auf dem Asphalt verteilt, in den Seitenstraßen wuschen sich Menschen das Tränengas aus den Augen. In São Paulo ist am Sonntag eine Demonstration eskaliert, bei der Gegner*innen und Unterstützer*innen mit tatkräftiger Hilfe von Sicherheitskräften aufeinandertrafen.
Am Vormittag hatten sich die ersten Gegendemonstrant*innen vor dem weltbekannten Kunstmuseum MASP eingefunden. Fußballfans hatten über die sozialen Medien zu dem Protest aufgerufen. Bereits vor zwei Wochen demonstrierten Fans des Kultklubs Corinthians gegen einen rechten Aufmarsch von BolsonaroUnterstützer*innen. Diese gehen seit Wochen gegen die von der Landesregierung verhängten Isolationsmaßnahmen auf die Straße. So auch an diesem Sonntag. Doch diesmal waren sie weit in der Unterzahl. Das lag daran, dass sich Fans der vier großen Fußballvereine aus São Paulo – die eigentlich miteinander verfeindet sind – zusammengeschlossen hatten, um gegen die Bolsonaro-Fans zu demonstrieren. Auch einige organisierte Linke ließen sich blicken, doch das Bild prägten sportliche Jungs aus der armen Vorstadt.
Es wurden Sprechchöre für die Demokratie und gegen Präsident Bolsonaro gerufen, Feuerwerk explodierte in der Luft. »Heute zählt die Vereinsfarbe nicht«, sagte der komplett in grün gekleidete Palmeiras-Fan Samiquel dem »nd«. »Wir stellen uns heute gemeinsam den Rechten entgegen.«
Tonangebend waren wieder die Ultras von Corinthians aus dem Osten von São Paulo. Der 2012 bisher letzte nicht europäische Klubweltmeister kämpfte während der Militärdiktatur gegen die rechten Generäle – in der Kurve und dem Platz. Bekanntestes Gesicht dieser Bewegung war in den 1980er Jahren der marxistische Nationalmannschaftskapitän Sócrates. Zur dieser Zeit entstand auch die mächtige Ultragruppe »Gaviões da Fiel« (Treue Falken). Chico Malfitani gründete die Gruppe damals mit und ist auch an diesem Sonntag bei dem Protest dabei. »Wir haben die Militärdiktatur am eigenen Leib erlebt und wollen nicht dorthin zurück«, sagt Malfitani, der einen Corinthians-Trainingsanzug und eine Maske mit dem Vereinslogo trägt, gegenüber »nd«. »Es ist surreal, was gerade in Brasilien passiert. Mit Bolsonaro droht ernsthaft eine Rückkehr zur Diktatur.«
In den vergangenen Wochen hatte sich die Situation in Brasilien zugespitzt. Das Bolsonaro-Lager drohte offen den demokratischen Institutionen. Nach Razzien bei Verbündeten des Präsidenten verkündete dieser, in Zukunft keine »absurden Befehle« mehr zu befolgen und sagte, dass sich so ein Tag nicht wiederholen werde. Präsidentenspross Eduardo forderte eine »energische Maßnahme« und sprach von einem »Moment des Bruchs«. Augusto Heleno, Minister für institutionelle Sicherheit, warnte vor »unvorhersehbaren Konsequenzen« sollte das Handy des Präsidenten beschlagnahmt werden. Bolsonaro ließ sich am Sonntag erneut auf einem rechten Protest in der Hauptstadt Brasília blicken, wo auch antidemokratische Banner gezeigt wurden.
In São Paulo forderten etliche rechte Demonstrant*innen eine Schließung des Obersten Gerichtshofes und des Parlaments. In Sicht- und Hörweite der Fußballfans hatten sich die Anhänger*innen des Präsidenten, in die Nationalfarben gehüllt, versammelt. Mehrere Rechte präsentierten Fahnen von Neonazi-Gruppen, unter anderem des rechtsextremen, ukrainischen Prawyj Sektor.
Warum die Situation eskalierte, ist unklar. Die antifaschistischen Fußballfans hätten versucht, die Polizeiabsperrung zu durchbrechen und an die Rechten heranzukommen, heißt es. Linke widersprechen und erklärten, dass der Protest friedlich war, bis Rechte provozierten. Eine wilde Straßenschlacht entwickelte sich in der Folge: Die Polizei schoss mit Tränengas und Schockgranaten, die
Fußballfans erwiderten mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern. Die Polizei ging jedoch nur gegen die Fußballfans vor. Eine aggressive Bolsonaro-Unterstützerin näherte sich mit einem Baseballschläger dem Protest, wurde jedoch freundlich von Polizist*innen abgeführt. Es ist kein Geheimnis, dass der Großteil der brasilianischen Polizisten*innen rechtsradikal ist und an der Seite Bolsonaros steht.
An den Sprechchören der überwiegend jungen, nicht-weißen Ultras merkte man auch, dass es an diesem Tag nicht nur um die Verhinderung des rechten Aufmarsches ging. Der Frust über die tägliche Polizeigewalt, Ausgrenzung und hoffnungslose Situation im Land ist groß.
Am Rand des Protests wurden provozierende Bolsonaro-Fans von den Ultras zusammengeschlagen. Viele fürchten, dass die Bilder der Gewalt dem Protest schaden könnten und die Regierung das nutzen wird, um die Repression und Militarisierung anzukurbeln. Bolsonaro teilte noch am Sonntag einen Tweet von US-Präsident Donald Trump, in dem er ankündigt, die »Antifa« als kriminelle Vereinigung einzustufen. Eine klare Kampfansage an den Protest in São Paulo.
Jedoch ist der Zusammenschluss der eigentlich verfeindeten Fans historisch in Brasilien. Mehr noch: Er ist ein wichtiges Lebenszeichen des Widerstandes gegen die Regierung. Und die Fußballfans haben geschafft, was der Linken nicht gelungen ist: Eine lautstarke Protestbewegung gegen Bolsonaro aufzubauen. Die organisierte Linke ist orientierungslos und schwach – nicht erst seit der CoronaPandemie. Das sieht auch der UltraVeteran so: »Wir können nicht länger hinnehmen, was in Brasilien passiert. Wenn die Linke nichts macht, übernehmen wir Fußballfans das halt.«
»Wir haben die Militärdiktatur am eigenen Leib erlebt und wollen nicht dorthin zurück.«
Chico Malfitani, CorinthiansFan