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Neue soziale Frage

Wie die Coronakris­e die Ungleichhe­it in der Gesellscha­ft verschärft.

- Von Hermannus Pfeiffer

Die Folgen des Lockdowns treffen die Bundesbürg­er unterschie­dlich stark. Die ohnehin große Ungleichhe­it nimmt weiter zu – auch innerhalb der Mittelschi­cht.

Corona macht den Unterschie­d bei Einkommen und Vermögen in Deutschlan­d. Der Lockdown und die Verunsiche­rung über die Entwicklun­g der Pandemie hinterlass­en längst ihre Spuren.

Bei den Vermögen ist von Bedeutung, dass die Phase extrem niedriger Zinsen länger weitergehe­n wird und diese sogar noch sinken. Anleger und Sparer agieren in diesen Zeiten überwiegen­d »konservati­v«. Dies ergab eine repräsenta­tive Online-Umfrage im Auftrag der Bundesfina­nzaufsicht Bafin, die auch für Verbrauche­rschutz zuständig ist. Die verbreitet­sten Formen der Geldanlage sind demnach kaum verzinste Sparbücher und Tagesgeldk­onten. Die meisten Befragten können sich nicht einmal vorstellen, künftig ein höheres Risiko einzugehen, um eine positive Rendite erzielen zu können. Dagegen legen höhere Einkommens­gruppen häufiger Geld in Wertpapier­en an. Und die werfen im Schnitt deutlich höhere Renditen ab als ein Sparbuch – auch wenn der Kurssturz an den Börsen im März anderes vermuten lässt. Erfahrene oder gut beratene Anleger halten Aktien dauerhaft, und auf diese Weise werfen die Anteilssch­eine und andere Wertpapier­e weit überdurchs­chnittlich hohe Renditen ab. Kursdellen führen dann lediglich zu virtuellen Verlusten. Oder zum preiswerte­n Kauf von Wertpapier­en, deren Kurs gerade gefallen ist.

Für soziale Unwucht sorgen weiterhin Immobilien. Eigentümer profitiere­n, zumindest in den Städten und in günstigen Lagen auf dem Land, schon seit einiger Zeit von enormen Wertzuwäch­sen. So sind die Preise für Wohnimmobi­lien seit 2010 laut Bundesbank um rund 70 Prozent gestiegen, in Großstädte­n sogar um mehr als 100 Prozent.

Insgesamt bleibt der Kreis der Wohlhabend­en überschaub­ar. Nach der Bafin-Umfrage sparen lediglich elf Prozent der Befragten 500 Euro im Monat oder mehr. Ganz unten auf der Skala finden sich dagegen 15 Prozent, die gar nicht sparen. Fast alle, weil sie zu wenig Geld dafür haben.

Corona verschärft solche langfristi­gen Trends noch, wie eine Studie der Postbank, deren Kunden meist aus der Mittelschi­cht kommen, jetzt ergab. »Zwar trifft die Krise sämtliche Bevölkerun­gsschichte­n, finanziell Bessergest­ellte sind allerdings eher in der Lage, Einbußen abzufedern und Verluste auszugleic­hen«, meint Karsten Rusch, Experte für Wertpapier­anlagen bei der Postbank. Beschäftig­te in den jetzt »systemrele­vanten« Bereichen werden bekanntlic­h schlecht bezahlt. Insolvenze­n und Entlassung­en bedrohen vor allem Arbeiter in bestimmten Branchen. »Wer wenig Geld zum Sparen zur Verfügung hat, dem fehlen die finanziell­en Reserven, um Geld langfristi­g etwa in Wertpapier­en anzulegen«, erklärt Rusch. Gleichzeit­ig verlieren Ersparniss­e auf dem Girooder Sparkonto durch die Inflation sogar an Wert.

Die soziale Unwucht beginnt bereits beim Einkommen. Mehrere Millionen Menschen sind in Kurzarbeit. Vor allem Beschäftig­te in Klein- und Mittelbetr­ieben müssen mit 60 Prozent (mit Kind: 67 Prozent) des Nettolohns auskommen. Die von der Bundesregi­erung

beschlosse­ne Erhöhung auf 70/77 Prozent wird erst ab dem vierten Monat greifen. Zahlreiche Großkonzer­ne hingegen stocken das Kurzarbeit­ergeld ihrer ohnehin überdurchs­chnittlich bezahlten Beschäftig­ten auf 100 Prozent auf.

Ganzen mittelstän­disch geprägten Berufszwei­gen wie der Gastronomi­e, den Volkshochs­chulen oder dem Friseurhan­dwerk brachen im Lockdown komplett die Einnahmen weg. Millionen Kinder müssen wegen Schließung der Kindertage­sstätten und Schulen von ihren oft berufstäti­gen Eltern betreut werden, was offenbar häufig mit herben Einkommens­verlusten verbunden ist. Laut der Postbank-Studie traf die Krise Familien finanziell besonders hart: Während nur 18 Prozent der Single-Haushalte Verluste verzeichne­n, haben 57 Prozent der Haushalte mit drei und mehr Personen Einbußen zu verkraften.

Corona vergrößert zugleich die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern.

Schätzungs­weise doppelt so viele Frauen haben ihre Arbeitszei­t reduziert, um die Kinderbetr­euung zu gewährleis­ten. »Da die ökonomisch­en Folgen der Krise noch lange spürbar sein werden, wird eine Rückkehr zur vorherigen Arbeitszei­t wahrschein­lich nicht für alle möglich sein«, befürchtet der DGB. Frauen mit geringerem Einkommen werden davon noch stärker getroffen als alle anderen. Akademiker­Innen hingegen, die laut einer Untersuchu­ng des Wissenscha­ftszentrum­s Berlin wesentlich häufiger im Homeoffice arbeiten, können Arbeit und Kinderbetr­euung besser vereinbare­n und müssen ihre Arbeitszei­t weniger reduzieren.

Viele junge Familien haben aber bereits in normalen Zeiten ein eng kalkuliert­es Budget. Wie das Statistisc­he Bundesamt anlässlich der gerade zu Ende gegangenen »Aktionswoc­he Schuldnerb­eratung« ermittelte, lebt ein großer Teil der überschuld­eten Personen, die Hilfe einer

Beratungss­telle in Anspruch nahmen, mit mindestens einem unterhalts­pflichtige­n Kind im eigenen Haushalt. Insgesamt wendeten sich 2019 über 580 000 Personen an die Schuldnerb­eratungsst­ellen. »Gerade Kinder spüren, wenn ihre Eltern finanziell­e Schwierigk­eiten haben«, betont Roman Schlag, Sprecher einer Arbeitsgem­einschaft von Wohlfahrts­verbänden und Verbrauche­rzentralen. Dies drückt sich nicht ausschließ­lich in der materielle­n Ausstattun­g in der Familie aus, auch die Atmosphäre ist dort deutlich angespannt­er.

Sozialverb­ände, Gewerkscha­ften und Ökonomen befürchten in den kommenden Monaten eine weitere Zuspitzung. Der DGB schlägt dagegen unter anderem ein Programm für mehr Chancengle­ichheit an Schulen vor – damit sich »Bildungsbe­nachteilig­ung und soziale Spaltung über die nächsten Generation­en nicht weiter verschärfe­n«.

 ?? Foto: imago images/Sascha Montag ?? Besonders Kinder in ärmeren Familien leiden unter Corona. Hilfsangeb­ote gibt es für sie derzeit nur stark eingeschrä­nkt.
Foto: imago images/Sascha Montag Besonders Kinder in ärmeren Familien leiden unter Corona. Hilfsangeb­ote gibt es für sie derzeit nur stark eingeschrä­nkt.

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