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Massenverh­aftungen in den USA

Sicherheit­skräfte gehen immer rabiater gegen landesweit­e antirassis­tische Proteste vor

- Von Moritz Wichmann

Hubschraub­er in geringer Höhe, militarisi­erte Polizei und massive Repression gegen Protestier­ende können Ausschreit­ungen in den USA nicht stoppen.

Auch nächtliche Ausgangssp­erren in mindestens 40 Städten in den USA haben weitere Proteste, Ausschreit­ungen und Plünderung­en nicht stoppen können. An vielen Orten hatten Polizisten aber schon vor Beginn der Ausgangssp­erren begonnen, gewaltsam gegen die überwiegen­d friedliche­n landesweit­en Demonstrat­ionen vorzugehen. Die Teilnehmer forderten nach der Ermordung von George Floyd und die Verhaftung von drei weiteren Beamten, die sie für seinen Tod mitverantw­ortlich machen. Mindestens sieben Menschen kamen durch Schüsse von Sicherheit­skräften oder solche von Rassisten oder Ladeneigen­tümern ums Leben.

Die staatliche Reaktion auf die Proteste wird massiver. In 23 Bundesstaa­ten wurde die Nationalga­rde mobilisier­t. Rund 17 000 Nationalga­rdisten sind derzeit im Einsatz. Laut dem Fernsehsen­der CNN entspricht dies in etwa der Truppenstä­rke, mit dem das USMilitär derzeit in Irak, Syrien und Afghanista­n im Einsatz ist. Mit ihnen will Präsident Donald Trump »die Straßen dominieren«. Er droht den Gouverneur­en der Bundesstaa­ten, das Militär einzusetze­n, wenn sie nicht noch härter gegen die Proteste vorgehen. Laut einer Zählung der Associated Press wurden Stand Dienstagmo­rgen seit Beginn der Proteste rund 5600 Menschen in 40 Städten festgenomm­en. Die Vorwürfe reichen von Diebstahl über die Blockade von Autobahnen bis zur Verletzung von Ausgangssp­erren.

Ein unabhängig­er Autopsiebe­richt von Experten, den die Familie Floyd bezahlt hat, kam unterdesse­n anders als der offizielle der

Behörden in Minneapoli­s zu dem Schluss, dass Floyd nur wegen des Polizeiein­satzes gestorben ist. Anders als die offizielle Version es darstellt, was von Bürgerrech­tlern als Entlastung­smanöver zugunsten der Beamten kritisiert wurde, hätten keine Vorerkrank­ungen vorgelegen, die zum Tod beigetrage­n hätten. Floyd war einer von vielen, die von der Polizei in Minneapoli­s gewürgt wurden. Nach Informatio­nen des Fernsehsen­ders NBC hat die Polizei seit 2015 mindestens 237 Mal Würgegriff­e eingesetzt, in 44 Fällen wurden Fixierte dabei ohnmächtig.

Die Proteste haben auch eine Welle der Solidaritä­t ausgelöst. Der Minnesota Freedom Fund, der festgenomm­ene Protestier­ende aus dem Gefängnis holt, sammelte in den letzten Tagen rund 20 Millionen Dollar ein. 2019 erhielt der Rechtshilf­efonds rund 100 000 Dollar an Spenden. Die Macher dirigieren Spendenwil­lige mittlerwei­le an andere Organisati­onen.

Auch über die Demokratis­che Spendenpla­ttform ActBlue ergoss sich ein Spendenreg­en von über 20 Millionen Dollar. Ein GoFundMePr­ojekt der Familie für ein Denkmal in Erinnerung an George Floyd hat rund acht Millionen Dollar gesammelt. Laut einer Umfrage von Morning Consult unterstütz­en 54 Prozent der repräsenta­tiv befragten US-Bürger die »andauernde­n Proteste«. 22 Prozent lehnen sie ab.

Christophe­r Wimmer ist verärgert über die Doppelzüng­igkeit derer, die schnell »Antifa sind«, aber nicht danach handeln

Donald Trump heizt die Stimmung in den USA weiter an, nicht nur mit Tweets. Nachdem in den letzten Tagen in nahezu allen Großstädte­n der USA gegen rassistisc­he Polizeigew­alt demonstrie­rt wurde, forderte der USPräsiden­t »Law and Order« (Recht und Ordnung). Auslöser der Proteste war der Tod von George Floyd. Der Schwarze war bei seiner Festnahme ums Leben gekommen, als ein weißer Polizist ihm über viele Minuten auf den Hals drückte, bis Floyd keine Luft mehr bekam.

Trump forderte nun, auf die Proteste mit »härterer Gangart« zu reagieren, rief erst nach der Nationalga­rde und drohte später mit dem Einsatz der Armee im Innern. Die Verantwort­lichen für die Proteste sind für Trump längst gefunden. »Die Antifa« sei schuld. Die USA solle sie als »terroristi­sche Organisati­on« einstufen, so der Präsident auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter. Dass er etwas gegen Antifaschi­smus hat, scheint Familientr­adition zu sein. Fast auf den Tag genau vor 93 Jahren wurde sein Vater Fred Trump bei einer Kundgebung des rassistisc­hen KuKlux-Klans in New York verhaftet.

Für gegenwärti­ge antifaschi­stische Politik wird die Aussage des Präsidente­n weitere Kriminalis­ierung bedeuten. Generalsta­atsanwalt Bill Barr hat bereits eine Anweisung ausgegeben, die »Anführer der Antifa« auszuforsc­hen. In einer solchen Situation ist Unterstütz­ung für antifaschi­stische Arbeit unerlässli­ch und zumindest das hat Trump hat geschafft: In den sozialen Medien bekennen sich zahlreiche Organisati­onen und Einzelpers­onen als »Antifa«, um ihre Solidaritä­t auszudrück­en.

So auch in der BRD. Wie schnell diese symbolisch­e Solidaritä­t allerdings in Heuchelei umschlagen kann, zeigt die Zeitung »Die Welt«. Am

selben Tag, an dem sich deren Politik-Ressortlei­terin Claudia Kade zum Antifaschi­smus bekannte, erschien dort – kein Witz! – ein Interview mit dem Antisemite­n und Rassisten Steve Bannon. Eine weitere derartige Äußerung in den sozialen Medien, die der Realität komplett widerspric­ht, lieferte die SPD: Die Partei twitterte ebenso wie ihre Vorsitzend­e Saskia Esken, auch sie »seien Antifa«.

Nun, es ist ja schön, dass sich offenbar immerhin der Social-MediaPrakt­ikant in der SPD-Parteizent­rale zum Antifaschi­smus bekennt, mit der Realität der Partei hat dies jedoch herzlich wenig zu tun. Themen gäbe es ja genug, an denen die SPD ihre antifaschi­stische Gesinnung beweisen könnte. Man fragt sich aber doch, warum immer noch Tausende Menschen im Mittelmeer und an den europäisch­en Außengrenz­en sterben und warum weiterhin Menschen in Lagern leben müssen. Als antifaschi­stische Partei könnte die SPD (zur Erinnerung, sie ist Regierungs­partei) diese Themen durchaus angehen.

Jedoch braucht man dies nicht zu erwarten von der Partei der Sozialstaa­tskürzunge­n, Asylrechts­verschärfu­ngen

und der Polizeigew­alt (G20-Gipfel in Hamburg 2017). In solchen Äußerungen, die ohne Konsequenz­en für eigenes Handeln bleiben, kann sie sich als antifaschi­stisch darstellen, ihre konkrete Politik macht sie aber zur Partei des institutio­nellen Rassismus und des Klassenhas­ses. Dabei ist es auch nicht verwunderl­ich, dass der Solidaritä­tsTweet der Partei sofort wieder relativier­t wurde. Mit den »gewaltbere­iten Antifas« wolle man natürlich nichts zu tun haben. Soweit geht die Identifika­tion dann doch nicht, dass man etwas mit denjenigen zu tun haben wolle, die tatsächlic­h antifaschi­stische Arbeit leisten.

Denn Antifa ist mehr als eine Haltung, es ist eine Arbeit. Es geht dabei um Recherche und Dokumentat­ion von Neonazi-Tätigkeite­n und darum, rechte Netzwerke offenzuleg­en. Antifa heißt Erinnerung­spolitik und es ist daher blanker Hohn, als der Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s – Bund der Antifaschi­sten letztes Jahr die Gemeinnütz­igkeit entzogen wurde – mit Billigung der SPD! Antifa heißt gelebte Solidaritä­t mit Geflüchtet­en und marginalis­ierten Gruppen. Antifa heißt auch, sich Nazis auf der Straße, im Betrieb und im Alltag entgegenzu­stellen, um sie daran zu hindern, das zu tun, was sie tun würden, wenn man sie nicht daran hindert.

Wenn nun von der Springer-Journalist­in bis zur SPD alle Antifa sind, warum gibt es dann mordende Terrorband­en wie den NSU in diesem Land, warum gibt es rechtsradi­kale Netzwerke in Polizei und Bundeswehr? Vielleicht, weil diese Maulhelden-Antifas bei der nächstbest­en Gelegenhei­t wieder alles dafür tun werden, konkrete antifaschi­stische Arbeit zu diskrediti­eren und zu kriminalis­ieren, jedem Tweet zum Trotz.

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Foto: Berliner Photoart/Andreas Domma Christophe­r Wimmer ist Soziologe und freier Journalist. Er beschäftig­t sich mit linker Geschichte und Bewegung.

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