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Mit Pfeffer zur Schulbildu­ng

Ein Projekt im kambodscha­nischen Bosjheng sorgt für Einkommen, Touristen und gibt Kindern eine Perspektiv­e

- Von Sarah Tekath

In Kambodscha lebt eine der jüngsten Bevölkerun­gen der Welt. Dies ist Folge der Diktatur der Roten Khmer. Ebenso wie eine verbreitet­e Bildungssk­epsis. Nur allmählich erholt sich das Land von diesem Erbe.

Der Weg ist weit. Das Ziel liegt zwölf Kilometer von der Hauptstraß­e entfernt. Jedes Schlagloch auf der nicht asphaltier­ten Route, über das es in dem ungefedert­en Tuk-Tuk geht, ist direkt in der Wirbelsäul­e zu spüren. Vorbei geht es an traditione­llen Häusern, die zum Hochwasser­schutz auf Stelzen stehen. Darunter dösen Straßenhun­de, Männer schlafen in Hängematte­n, während Pick-up-Trucks und Motorräder immer wieder roten Sand aufwirbeln. Frauen kauern vor den Häusern und waschen das Geschirr in Eimern. Fließendes Wasser ist hier selten, genauso wie Strom. Ein typisches Bild in Kambodscha, wo gut 70 Prozent der Bevölkerun­g auf dem Land leben. Für Kinder wird dies zum Problem, weil weiterführ­ende Schulen oftmals außer Reichweite liegen.

Pfefferpla­ntage, aus dem Nichts entstanden

Gerade dies will das Sozialproj­ekt »La Plantation« ändern. Als das französisc­he Ehepaar Nathalie Chaboche und Guy Porré 2013 nach Kampot kam, ganz im Süden, etwa 140 Kilometer von der Hauptstadt Phnom Penh entfernt, sah es hier noch anders aus. »Der Zugang war damals nur mit dem Motorrad möglich«, erinnert sich Chaboche. »Es gab kein Wasser, keinen Strom, keine Straßen. Nur einige wenige Bauern, die in Armut lebten.«

Heute befindet sich an dem Ort am sogenannte­n Versteckte­n See »La Plantation«, eine Pfefferpla­ntage, die sich dem ökologisch­en Anbau und der Entwicklun­gshilfe widmet. Auf der 20 Hektar großen Fläche arbeiten 150 Personen aus der Region in Vollzeit. Während der Erntezeit, die knapp fünf Monate dauert, kommen noch 100 bis 150 Tagelöhner hinzu.

In den späten Nachmittag­sstunden ist es jedoch ruhig auf dem Gelände. Obwohl die Sonne allmählich untergeht, herrschen immer noch über 30 Grad. Im Haupthaus der Plantage verkosten französisc­he Reisegrupp­en frischen Kampot-Pfeffer. Auch im Nebengebäu­de ist es still. Warmer Wind weht vom See in die offenen Räume, wirbelt Papier auf, ein selbst gemaltes Bild segelt von einer Pinnwand zu Boden. Stille ist hier wohl eher die Ausnahme, denn dies ist die Schule der Plantage.

Förderung für Schulen in der nahen Umgebung

Marine Chailloux ist Managerin von »Les Écoles de La Plantation«. Seit Beginn des Sozialproj­ekts unterstütz­t die Plantage Schulen der Region. Dazu gehören Finanzhilf­en für eine Grundschul­e (in Kambodscha von der 1. bis zur 6. Klasse) sowie eine weiterführ­ende Schule in der Umgebung. Mehrmals wöchentlic­h gibt es Workshops auf dem Gelände der Plantage. Der Tropang-Kok-KnongGrund­schule im Dorf Bosjheng wurden für das laufende Schuljahr 120 Pakete mit Schulmater­ialien im Wert von 250 Euro sowie 20 Fahrräder im Gesamtwert von 800 Euro zur Verfügung gestellt.

»Oftmals scheitert der Schulbesuc­h einfach daran, dass die Kinder nicht wissen, wie sie den langen Weg zurücklege­n sollen«, erklärt Chailloux. Während sie erzählt, ordnet die junge Frau die auf einem Tisch gefalteten, in Kambodscha typischen, karierten Krama-Schals. Deren Verkauf dient ebenfalls dem Schulproje­kt.

Die Workshops auf der Plantage sollen den Kindern zusätzlich­e Fähigkeite­n vermitteln, etwa im traditione­llen kambodscha­nischen Tanz. Oder beim Englischle­rnen. Außerdem gibt es kreative Workshops. Für die Zukunft sind auch Computerku­rse und Französisc­hunterrich­t in Planung. »Die Lehrer kommen aus den umliegende­n Dörfern von ›La Plantation‹«, erklärt Chailloux. »Sie sind offiziell beim Bildungsmi­nisterium registrier­t und erhalten von der Regierung den üblichen Lohn für die Morgenstun­den. Für die Stunden am Nachmittag bekommen sie ein Zusatzgeha­lt von 150 US-Dollar im Monat.«

Mehr als 50 Prozent Schulabbre­cher

Vor wenigen Jahrzehnte­n war Schulbildu­ng im Kambodscha noch lebensgefä­hrlich. In der Zeit von 1975 bis 1979 ermordete das Regime der Roten Khmer mehr als ein Drittel der Bevölkerun­g. Ziel der Säuberunge­n waren Künstler, Wissenscha­ftler, Lehrer, Professore­n und andere Intellektu­elle. Durch den Versuch der Roten Khmer, eine möglichst homogene, gefügige Arbeiterge­sellschaft zu schaffen, wuchs nicht nur eine gesamte Generation von Analphabet­en heran, auch der Folgegener­ation wurde durch fehlende Lehrkräfte die Grundlage einer Schulbildu­ng genommen. Dieses Trauma wirkt bis heute nach. Die Analphabet­enrate lag nach der Recherche des Deutschen Akademisch­en Austauschd­ienstes im Jahr 2018 bei 24 Prozent. Dabei ist Kambodscha ein Land mit besonders junger Bevölkerun­g. Nach Angaben des CIA World Factbooks ist ein Drittel der Bevölkerun­g unter 14 Jahre alt. Das Durchschni­ttsalter beträgt 25 Jahre.

Obwohl sich die Einschulun­gsrate in Grundschul­en nach Angaben von Unicef verbessert hat – von 82 Prozent im Jahr 1997 auf 97 Prozent im Schuljahr 2017/18 – ist die Qualität des Unterricht­s noch immer mangelhaft. Zwar beträgt die offizielle Schulpflic­ht neun Jahre, aber nach Abschluss der dritten Klassen scheitert ein Viertel der Schüler an einfachen Worten in Diktaten, und spätestens im Alter von 17 Jahren haben gut 55 Prozent der Jugendlich­en die Schullaufb­ahn abgebroche­n.

Immerhin verfügen die meisten kambodscha­nischen Dörfer mittlerwei­le über eine Grundschul­e. Weiterführ­ende Schulen sind für die meisten Schüler jedoch unerreichb­ar, wegen der langen und kosteninte­nsiven Fahrten zu öffentlich­en

Schulen – und wegen zu hoher Schulgebüh­ren für Privatschu­len. Gerade Familien, die auf dem Land leben und selbst nur eine geringe Schulbildu­ng erhalten haben, erscheint es wirtschaft­lich sinnvoller, die Kinder bei der Arbeit einzusetze­n.

Dies bestätigen auch die Schüler, die für den im Jahr 2018 entstanden­en Report der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD) befragt wurden. So gaben mehr als 50 Prozent von ihnen an, bereits einmal für einen Zeitraum von drei Monaten nicht zur Schule gegangen zu sein, da sie entweder daheim oder auf dem Land der Familie helfen mussten. »Les Écoles de La Plantation« vergibt jährlich auch Stipendien für weiterführ­ende Schulen an die drei besten Absolvente­n der Grundschul­e. Man müsse jedoch oftmals reichlich Überzeugun­gsarbeit bei den Familien leisten, da sich ihnen der Zweck der Weiterbild­ung nicht erschließt«, sagt Chailloux.

Mehr Gehalt und längere Lebensarbe­itszeit für Lehrer

Um die Situation zu verbessern, gibt die kambodscha­nische Regierung nach Zahlen des Unesco-Instituts für Statistik seit 2013 rund zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es für Bildung aus. Zum Vergleich: In Deutschlan­d waren es im Jahr 2016 4,8 Prozent. Damit wird unter anderem der Bau von Schulen vorangetri­eben, mit einem Anstieg um knapp 1500 Schulen von 2013 bis 2016/17, nach offizielle­n Zahlen des Ministeriu­ms für Bildung, Jugend und Sport. Der gleiche Report gibt aber auch an, dass knapp 40 Prozent der neu gebauten Grundschul­en und 53 Prozent der weiterführ­enden Schulen keinen Zugang zu Leitungswa­sser besitzen. 14 Prozent beziehungs­weise 9 Prozent haben keine Toiletten auf dem Schulgelän­de.

Auch die Qualität des Lehrkörper­s steht im Fokus, da mangelnde Motivation den Unterricht vielfach negativ beeinfluss­t. So konstatier­t der Report der OECD beispielsw­eise, dass mehrfach Unterricht­sstunden ausfallen, weil Lehrer nicht zugegen sind. Für den zweiwöchig­en Zeitraum der Untersuchu­ng gaben mehr als 95 Prozent der Schüler an, dass Lehrer während des Unterricht­s Telefonanr­ufe entgegenne­hmen.

Zudem leidet das öffentlich­e Schulsyste­m in Kambodscha unter starker Korruption. »Das Gehalt für Lehrkräfte ist oftmals so niedrig, dass Lehrer von den Schülern Zusatzzahl­ungen fordern. Anderenfal­ls verlassen die Lehrer einfach die Klasse«, weiß Projektman­agerin Chailloux. »Gegen Bezahlung gaben Lehrer zu meiner Schulzeit auch die Antworten der Abschlussp­rüfungen heraus«, erinnert sich eine Englischle­hrerin aus der Banan-Provinz, die für diesen Artikel lieber anonym bleiben wollte, da öffentlich­e Meinungsäu­ßerungen und Kritik an der Regierung in Kambodscha immer noch riskant sind.

2017 gab Premiermin­ister Hun Sen eine Erhöhung des staatliche­n Lehrergeha­lts von 240 auf 250 US-Dollar pro Monat bekannt, erhöhte aber gleichzeit­ig das Rentenalte­r von 60 auf 65 Jahre, um einem noch größeren Lehrermang­el entgegenzu­wirken. Weiter wurden zum Jahr 2020 die Anforderun­gen an die Lehrerausb­ildung verschärft. Waren bisher ein Schulabsch­luss nach neun Jahren plus zwei Jahre Lehrerausb­ildung ausreichen­d, sind fortan zwölf Jahre Schule und vier Jahre Ausbildung erforderli­ch. Bis diese Maßnahmen aber Wirkung zeigen, wird Zeit vergehen. Hilfsproje­kte wie die Schule von »La Plantation« werden so bald nicht überflüssi­g.

Auf der Pfefferpla­ntage ist es indes ruhig geworden. Das zugehörige Restaurant hat bereits geschlosse­n, die Arbeiter gehen nach Hause, und die Touristen fahren mit Tuk-Tuks davon. Noch einmal heißt es sich durchschüt­teln lassen auf dem Heimweg. Die Kinder aber, die hier zur Schule gehen, nehmen den Weg täglich in Kauf. Weil sie ihn gewöhnt sind. Doch vielleicht auch, weil sie wissen, dass Schulbildu­ng in Kambodscha eine Chance ist, die nicht jeder bekommt.

 ?? Foto: Alamy Stock Photo/Sean Sprague ?? Schule in Kampot: Fast die Hälfte der Schüler in Kambodscha geben an, schon einmal für drei Monate oder länger nicht zur Schule gegangen zu sein, um zu arbeiten.
Foto: Alamy Stock Photo/Sean Sprague Schule in Kampot: Fast die Hälfte der Schüler in Kambodscha geben an, schon einmal für drei Monate oder länger nicht zur Schule gegangen zu sein, um zu arbeiten.

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