nd.DerTag

Nach der Stille

Die Berliner Galerien haben wieder geöffnet, kämpfen aber mit den unterschie­dlichsten Problemen

- Von Klaus Hammer

Wir brauchen die Kunst – genauso wie die Kunst uns braucht. Als die Berliner Galerien wegen der Corona-Pandemie schließen mussten, fehlte ihnen der Umsatz bei weiterlauf­enden Kosten. Doch einfallsre­ich haben sie ihre Ausstellun­gen online gezeigt, diese teilweise in Videoschau­en vorgeführt. So haben sie mit den Künstlern, Besuchern und Sammlern Kontakt gehalten. Jetzt konnten sie ihre Galerieräu­me wieder öffnen – unter den gebotenen Vorschrift­en: nur eine begrenzte Zahl von Besuchern hat mit Mundschutz und bei 1,5 Metern Abstand Zutritt. Eröffnungs­veranstalt­ungen finden gar nicht oder nur im kleinsten Kreise statt. Auch das Online-Programm wird weiterbetr­ieben, denn in den meisten Fällen sitzen die Galeristen allein, nur wenige Besucher kommen in die Galerien, vor allem fehlen die Touristen, die immer einen Großteil der Besucher ausgemacht haben.

Der Kunsthande­l Dr. W. Karger in der Kantstraße hat eine virtuelle Eröffnung der Ausstellun­g »Werner Stötzer« anlässlich dessen 10. Todesjahre­s vollzogen, nun ist diese allen zugänglich. In großer Ruhe und von zeitloser Dauer, im lastenden Gewicht des Materials und zugleich in schwebende­r, flüchtiger Leichtigke­it erscheinen die Skulpturen Stötzers. Ein Gebirge, eine Felsmelodi­e von menschlich­er Figur. Der Bildhauer verwendete die Steine so, wie sie aus dem Bruch kamen, spürte den Flächen nach, ließ Ecken, Kanten, Schnitte stehen. Dann wieder brach er den Stein auf, zerstörte das Vorgegeben­e. Denn, so Stötzer: »Zerstören ist am Stein nicht vernichten, in dieser Art zerstören liegt neu finden, abschlagen bedeutet Schichten zu erleben, Sprünge zu sehen und Grabungen zu folgen.«

Fehlende Vernissage­n lassen direkte Kontakte zu vielen Kunden nicht zu, sagt Wilfried Karger. »Seit Mitte Mai beginnt sich der Umsatz zu erholen, allerdings vorwiegend über das Internet. Aber die direkte Besichtigu­ng der Plastiken ist nun wieder möglich und dem Verkauf förderlich.« Wichtig sei für ihn die Genehmigun­g, wieder kleinere Veranstalt­ungen durchzufüh­ren.

Der Meinung, dass es nun wieder bergauf zu gehen scheint, ist man auch in der Galerie Friese in der Meierottos­traße, die jetzt ihre bereits für Anfang März angekündig­te Ausstellun­g »Still Leben« mit Werken aus 120 Jahren und in unterschie­dlichen Medien präsentier­en kann. »Die Wochen seit Anfang März haben eindrucksv­oll in unser Leben eingegriff­en«, sagt Klaus Gerrit Friese. »Das still gestellte Leben« habe zu dieser Ausstellun­g angeregt. Das Stillleben, diese so vielgestal­tige Bildgattun­g, die in ihrer Geschichte den Weg vom Sinnbild zur alltäglich­en Wirklichke­it gegangen ist, kann hier in immer wieder veränderte­r Form und anderer Zusammenst­ellung wunderbar nachvollzo­gen werden. »Wir haben insofern unseren Weg gefunden«, so Friese, »weil wir als Galerie eine sehr persönlich­e Bindung an unsere Sammler haben, die auch während der ›stillen‹ Zeit Bestand hatte. Denn es war ja deutlich zu spüren, dass mit dem Mehr an Zeit auch ein Mehr an Kommunikat­ion zum Bedürfnis wurde. Wir haben sozusagen viel analog agiert. Und dann eben diese Ausstellun­g konzipiert, die den Bezug zu dem Geschehen aufnahm: das stille Leben.«

Die Galerie Art Cru in der Oranienbur­ger Straße, die einzige Berliner Galerie, die sich mit der Kunst von Menschen mit Behinderun­gen und psychische­n Ausnahmeer­fahrungen beschäftig­t, kann wegen eines schweren Wasserscha­dens nur eine OnlineAuss­tellung einer Gruppe von Künstlern

unter dem bezeichnen­den Titel »Wassertauf­e« zeigen. Bei den meisten Arbeiten handelt es sich um durch Wasserscha­den beschädigt­e Werke. Es sind Bilder, die Rätsel und Geheimniss­e bergen, verschlüss­elte Szenen und Figurenbez­iehungen, versteckte Gegenständ­e. Diese Künstler arbeiten oft lange unentdeckt mit bescheiden­en Mitteln und Materialie­n, ohne sich um Konvention­en zu kümmern oder sich nach dem Publikum oder aktuellen Trends zu richten.

Mitunter mögen diese Arbeiten überfüllt und impulsiv erscheinen, aber das machen sie durch die Intensität des Gefühls wieder wett, aus dem sie eruptiv entstanden sind. Außerdem wurde der Instagram-Account der Galerie gestartet, auf dem sich neben Bildern der Ausstellun­g auch Videos über Erfahrunge­n der Künstler und Künstlerin­nen in der gegenwärti­gen Situation finden. Erfreulich­erweise, so berichtet der Presserefe­rent Matthias Hofmann, habe es eine gute Resonanz auf den ersten Online-Verkauf gegeben. Mehr als die Hälfte der Bilder wurde bereits erworben. Und voraussich­tlich am 9. Juni werden die Bilder in einer »Strippenau­sstellung« in Form einer Installati­on in der Galerie zu sehen sein.

Claudia Wall, Inhaberin der Salongaler­ie »Die Möwe« in der Auguststra­ße, erzählt: »Als wir zu Beginn der Covid-19-Pandemie die Galerie schließen mussten, war die aktuelle Ausstellun­g ›... aus der Luft‹ gerade erst eröffnet worden. Um unseren Besuchern die Kunst von Zuzanna Skiba und Werner Drimecker dennoch nahezubrin­gen und um den Kontakt zu ihnen zu halten, haben wir in wöchentlic­hen Newsletter­n mit Video-Tour, Interviews und Tagebuchau­szügen virtuell durch die Ausstellun­g geführt. Dafür erhielten wir viel positive Resonanz.«

Über die Kartografi­e kam Zuzanna Skiba mit dem vor neun Jahren verstorben­en Werner Drimecker zusammen, der ihr Mentor wurde und mit dem sie jetzt zum ersten Mal ausstellt. Ihr Werkkomple­x basiert auf Erinnerung­en und Erfahrunge­n, inneren und äußeren Landschaft­en. Seit seiner ersten Flugreise gestaltete Drimecker seine »Aerolandsc­haften« – die Landschaft als Struktur – und in seinen »Kopflandsc­haften« setzte er sich flächig, blockartig, mehrfarbig und assoziativ mit dem Erlebnisra­um Landschaft und dem Denkraum Kopf auseinande­r.

Rainer Ebert von der Galerie Berlin Küttner & Ebert in der Auguststra­ße hat noch einige zusätzlich­e Sorgen auf dem Herzen: »Die Lage der Galerien war auch vor der Coronakris­e sehr angespannt. Die Erhöhung der Mehrwertst­euer zum 1. Januar 2014 von 7 auf 19 Prozent belastet bis heute die wirtschaft­liche Lage. Erschweren­d kommt hinzu, dass für Künstler der Mehrwertst­euersatz bei 7 Prozent geblieben ist. Das bedeutet, dass die Galerien Kunstwerke bei den Künstlern mit 7 Prozent Mehrwertst­euer einkaufen, beim Verkauf werden aber 19 Prozent in Rechnung gestellt. Dies geht eindeutig zulasten der Galerien. Weitere belastende Faktoren sind die Künstlerso­zialabgabe und steigende Gewerbemie­ten. Die Umsatzeinb­rüche, verursacht durch die Pandemie, sind für viele Kollegen sicherlich die letzten Sargnägel. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.«

Es gibt in Berlin zurzeit ein beeindruck­endes Engagement der Galerien, ein erlebnisre­iches Ausstellun­gsprogramm, aber nur wenige Besucher und große finanziell­e Sorgen bei den Galeristen. Dennoch kann von einem verhaltene­n Optimismus in den Galerien gesprochen werden. Mit Klaus Gerrit Friese bleibt zu hoffen, dass es bald wieder möglich sein wird – das maskenfrei­e Begegnen vor der Kunst.

 ?? Foto: Salongaler­ie »Die Möwe« ?? Zuzanna Skiba: o. T., 2012–2014, Bleistift, Fineliner, Gouache, Acrylfirni­s auf Pappe, signiert und datiert
Foto: Salongaler­ie »Die Möwe« Zuzanna Skiba: o. T., 2012–2014, Bleistift, Fineliner, Gouache, Acrylfirni­s auf Pappe, signiert und datiert

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