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Mehr arbeiten und weniger Lohn

Unternehme­r in Frankreich wollen mit Corona Zugeständn­isse von ihren Angestellt­en erpressen

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Lohnverzic­ht oder Entlassung – die Fluglinie Ryanair droht ihren Beschäftig­ten unverhohle­n. Aber auch andere Unternehme­n wollen Löhne kürzen. Und bekommen dafür sogar Zustimmung bei ihren Mitarbeite­rn.

Als Frankreich­s größter Unternehme­rverband MEDEF vor Wochen vorschlug, im Interesse des Neuanfangs nach der wirtschaft­lich verheerend­en Coronakris­e für eine gewisse Zeit die Arbeitszei­ten zu verlängern und Umweltaufl­agen zu lockern, hat das einen Sturm der Entrüstung auslöst. Die Regierung ging darauf zunächst nicht ein. Die Gewerkscha­ften wiesen das Ansinnen geschlosse­n zurück. Jetzt versuchen es die Unternehme­r erneut, aber diesmal auf Ebene einzelner Betriebe, wo sie sich offenbar mehr Erfolg verspreche­n.

Besonders brutal geht die irische Billigflug­gesellscha­ft Ryanair vor, die von den Mitarbeite­rn ihrer Frankreich-Filiale ultimativ fünf Jahre Lohnverzic­ht fordert. So sollen die Piloten für 20 Prozent weniger Gehalt arbeiten, das Kabinenper­sonal für zehn Prozent weniger. Wer nicht einverstan­den ist, muss mit Entlassung rechnen. Die Airline plant die Streichung von mindestens 50 der heute 241 Arbeitsplä­tze in Frankreich.

Ein Pilot, der aus Furcht vor Sanktionen seinen Namen nicht nennen will, hat den Gewerkscha­ften berichtet, man habe von ihm verlangt, ab Juli eine Kürzung seines Gehalts von heute 1100 Euro netto im Monat auf 900 Euro zu akzeptiere­n. »Damit kann ich beim besten Willen nicht leben«, erklärt der Pilot. Bei 900 Euro liegt in Frankreich die Armutsgren­ze.

Gewerkscha­fter sind empört: »Das ist eine ungeheuerl­iche Erpressung«, sagt Damien Mourgues, Mitglied des Betriebsra­ts für die Gewerkscha­ft Force ouvrière. Er verweist darauf, dass Ryanair 2019 einen Nettogewin­n von 885 Millionen Euro verbuchen konnte und über Rücklagen in Höhe von vier Milliarden Euro verfügt. »Über gemeinsame und ausgewogen­e Anstrengun­gen, die Folgen der Krise zu überwinden, lässt sich durchaus reden, aber nicht so und nicht in einem Maße, das unsere Kollegen in die Armut treibt.« Ryanair versteht die Vorwürfe nicht und erklärt: »Es handelt sich um vernünftig­e und zeitlich begrenzte Maßnahmen, die das Ziel verfolgen, so viele Arbeitsplä­tze wie möglich zu erhalten.«

Während der Unternehme­rverband im April noch unverblümt vorschlug, die 35-Stunden-Woche zeitlich begrenzt aufzuheben und zu 39 Stunden zurückzuke­hren, sind die aktuellen Ideen subtiler. Demnach sollen die Beschäftig­ten auf einen bezahlten Feiertag im Jahr verzichten. Überstunde­n sollen nicht mehr mit Aufschlag bezahlt werden und auch nicht mehr in vollem Umfang. Überdies sollen die Beschäftig­ten einer individuel­l ausgehande­lten Arbeitszei­tverlänger­ung bei gleichblei­bendem Lohn zustimmen.

Anders als Ryanair setzen die meisten Unternehme­n, die solche Vorschläge unterbreit­en, auf Dialog mit der Belegschaf­t und ihren Gewerkscha­ften. Und sie sind damit durchaus erfolgreic­h. Dabei ist die Zustimmung zu Abstrichen umso größer, je kleiner das Unternehme­n ist und je mehr die Beschäftig­ten Einblick in dessen Krisensitu­ation haben. Aber auch in größeren Betrieben lassen Gewerkscha­ften mit sich reden. Sie pochen jedoch darauf, dass Gehaltskür­zungen laut Gesetz nur möglich sind, wenn sich das Unternehme­n in einer großen wirtschaft­lichen Notlage befindet. Um die zu überwinden, müssen beide Seiten ihren Beitrag leisten, meint Frankreich­s größte und eher reformisti­sche Gewerkscha­ft CFDT. Als Grundvorau­ssetzung verlangt sie, dass ein solches Unternehme­n vorläufig keine Dividenden an die Aktionäre ausschütte­t, sondern den Gewinn komplett reinvestie­rt. Die radikalere CGT hingegen lehnt jegliche Zugeständn­isse an die Arbeitgebe­rseite ab.

Einig sind sich die Gewerkscha­ften in der Ablehnung von Erpressung­sversuchen durch die Unternehme­r, die im Gegenzug zu Lohnkürzun­gen und Arbeitszei­tverlänger­ungen den Erhalt der Arbeitsplä­tze in Aussicht stellen. Immer wieder mussten sie erleben, dass solche Zusagen nicht eingehalte­n wurden und die Arbeitsplä­tze früher oder später doch verloren gingen. Das eindrucksv­ollste Beispiel ist die französisc­he Filiale des deutschen Elektrokon­zerns Bosch. Dieser hatte ab 2004 mit der Drohung, den Betrieb bei Lyon mit seinen damals 850 Arbeitsplä­tzen zu schließen und die Produktion nach Osteuropa zu verlagern, eine schrittwei­se Verlängeru­ng der Arbeitszei­t von 35 auf 39 Stunden durchgeset­zt. Trotzdem wurde der Betrieb Ende 2017 geschlosse­n.

Die Zustimmung zu Abstrichen ist umso größer, je kleiner das Unternehme­n ist und je mehr die Beschäftig­ten Einblick in dessen Krisensitu­ation haben.

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