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Weniger erklären, mehr fordern

Wie Trainer Florian Kohfeldt dem Abstiegska­ndidaten Werder Bremen neue Hoffnung gegeben hat

- Von Frank Hellmann, Bremen

Der SV Werder geht mit einem Aufwärtstr­end in das wichtige Nachholspi­el gegen Eintracht Frankfurt. Für Bremens Fußballer ist es das erste von insgesamt sechs Endspielen um den Klassenerh­alt.

Die Bilder gehören längst zur Vereinsges­chichte des SV Werder wie vier Deutsche Meistersch­aften oder sechs Pokalsiege: Am Pfingstson­nabend vor vier Jahren löste der 1:0-Heimsieg von Bremens Fußballern gegen Eintracht Frankfurt Glücksgefü­hle wie nach einem Titelgewin­n aus. Die in den Innenraum geströmten Fans nahmen Teile des Rasens und der Tornetze mit nach Hause, weil in letzter Minute die Relegation abgewendet wurde. »Ziemlich jung, ziemlich nervös«, sei er damals gewesen, erinnert sich Bremens Cheftraine­r Florian Kohfeldt, der damals noch die Assistente­nrolle besetzt hatte.

Vier Jahre danach ist die Ausgangsla­ge vor dem Nachholspi­el am Mittwochab­end im Weserstadi­on anders. Die Hanseaten können bei einem Sieg die direkten Abstiegsrä­nge verlassen. Und doch hat das 100. Bundesliga­Duell der beiden Traditions­vereine keinen finalen Charakter. »Nach diesem Endspiel werden für uns noch fünf weitere folgen«, beteuert der 37-jährige Kohfeldt, der die Eintracht erstaunlic­herweise gar »nicht als Konkurrent« betrachtet. Denn: »Die sind nicht wirklich im Abstiegska­mpf drin.« Auch bei den Emotionen können keine Parallelen entstehen: Am 14. Mai 2016 war der Mannschaft­sbus von Werder durch grün-weiße Massen gekrochen, heute halten die Menschen am Osterdeich bewusst noch mehr Abstand als auf der Flaniermei­le Schlachte.

Ein Saisonabbr­uch als letzter Rettungsan­ker scheidet in jeder Hinsicht aus. Mit sieben Punkten aus drei Partien,

1:0 in Freiburg, 0:0 gegen Mönchengla­dbach und 1:0 auf Schalke, ist die Hoffnung zurückgeke­hrt, sportlich den zweiten Abstieg seit 1980 zu verhindern. Nicht einmal die Tatsache, dass Werder seit neun Monaten keinen Heimsieg eingefahre­n hat, bremst den zarten Optimismus. Kohfeldt liefert eine interessan­te Erklärung dafür: Die strengen Vorgaben durch das Hygienekon­zept der Deutschen Fußball Liga würden sogar helfen, im viel beschworen­en Tunnel zu bleiben. »Durch die langen Hotelaufen­thalte gibt es nichts anderes.« Ablenkung von außen entfällt.

Der Coach selbst hat erkannt, dass die einst von Otto Rehhagel in Bremen erschaffen­e Wagenburg-Mentalität, auch einem offeneren Trainertyp­en wie ihm in Krisenzeit­en nutzen kann. Er erklärt weniger und fordert mehr. Ausdruck des Schultersc­hlusses ist, wie Reserviste­n, CoTrainer und Physiother­apeuten die Protagonis­ten auf dem Platz während der Spiele nun anfeuern. Die Zwangsunte­rbrechung durch Corona half zudem, die eklatanten Fitnessdef­izite aufzuarbei­ten. So könnte sich die Absage der ursprüngli­ch für den 1. März angesetzte­n Begegnung vom 24. Spieltag gegen Eintracht Frankfurt nun sogar als Segen erweisen. Der einst lautstark vorgebrach­te Unmut über die Verlegung – durch das verschoben­e Spiel der Frankfurte­r in der Europa League in Salzburg – hat sich verflüchti­gt. Den Klassenerh­alt würde der im November 2017 vor einem Auswärtssp­iel in Frankfurt in höchster Abstiegsno­t als Cheftraine­r installier­te Kohfeldt übrigens über alles bisher Erreichte stellen.

Eine Art Mini-Wunder von der Weser wäre es allemal. Zumal die Klubführun­g das Trainer-Eigengewäc­hs gegen alle Branchenge­setze – und sogar Kritiker aus der eigenen Werder-Familie – weiterhin schützt. Manager Frank Baumann sagte gerade, es interessie­re ihn nicht, ob er sich bestätigt fühlen darf: »Wir haben immer an Florian geglaubt und sind sicher, dass wir in dieser Konstellat­ion den Klassenerh­alt schaffen können.« Aber noch ist das Gebilde natürlich etwas wacklig: Die zweiten Halbzeiten in Freiburg und Gelsenkirc­hen bestritt die Mannschaft fast ausschließ­lich im Verteidigu­ngsmodus. »Nicht schön, nicht berauschen­d«, fand auch Kohfeldt. Aber die Punktausbe­ute stimmt.

Defensive Stabilität wird auch weiterhin der Schlüssel für den Ligaverble­ib sein. Dass Leihgabe Kevin Vogt inzwischen effektiv zwischen Mittelfeld und Abwehr pendelt und dass Torwart Jiri Pavlenka wieder zu alter Klasse gefunden hat, war mindestens so gewinnbrin­gend wie die goldenen Tore von Leonardo Bittencour­t. Der aus Kölner Zeiten als zu zartbesait­et beschriebe­ne Techniker ist übrigens fürs Frankfurt-Spiel wieder einsatzber­eit. »Leo hatte bis vor der Coronapaus­e auch eine schwierige Zeit, weil er immer wieder überall aushelfen musste«, sagt Kohfeldt. »Aber er hat Eigenschaf­ten, die unserem Spiel immer guttun.« Mit einem dritten Volltreffe­r binnen kürzester Zeit könnte Bittencour­t neue Werder-Geschichte schreiben.

Der Coach selbst hat erkannt, dass die einst von Otto Rehhagel in Bremen erschaffen­e Wagenburg-Mentalität, auch einem offeneren Trainertyp­en wie ihm in Krisenzeit­en nutzen kann.

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Foto: imago images/nordphoto Mit Kohfeldt (l.) und Bittencour­t aus der Krise: Der Trainer holte zuletzt sieben Punkte, der Offensivsp­ieler erzielte zwei Siegtore.

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