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»Der Halle-Prozess setzt neue Maßstäbe«

Nebenklage­anwältin Kristin Pietrzyk über den Attentäter, die Betroffene­n und die Unterschie­de zum Prozess gegen die Gruppe Freital

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Frau Pietrzyk, der Angeklagte Stephan B. zeigt im Prozess bislang keine Reue. Vielmehr macht er den Anschein, als würde er seine Tat, wenn er denn könnte, wiederhole­n wollen. Hat Sie dieses Verhalten überrascht?

Das Verhalten hat mich nicht überrascht, weil der Angeklagte einem Tätertypus angehört, dem die Botschaft wichtiger ist als die Tat. Diese Täter wollen erreichen, dass ihre Taten rezipiert werden. Sie wollen erreichen, dass andere ihre Tat nachmachen, besser machen. Deshalb streamte er seine Tat auch live ins Internet. Wenn er Reue zeigen würde, wäre das eine Absage an seine potenziell­en Nachahmer.

Zu Beginn des Prozesses kamen Angehörige des Attentäter­s zu Wort. Es wurde offensicht­lich, dass Stephan B. in einem Umfeld aufwuchs, in dem seine Ideologie offenbar gedeihen konnte. Woher kommt dann die These vom »einsamen Wolf«, der allein und ohne Rückhalt einer Gruppe handelt?

Das ist ein falsches Verständni­s von »einsamer Wolf«. Eigentlich sagt dieser Begriff nur, dass die Tat allein begangen wird. Die Ideologisi­erung und Radikalisi­erung findet aber nicht allein statt. Der Angeklagte war selbst bei der Tatausführ­ung nicht allein, er war mit seinen Anhängern über das Internet verbunden. Stephan B. ist also kein Einzeltäte­r. Wir müssen wegkommen von dem Bild, das wir haben: dass es, um eine rechte Community zu bilden, Kameradsch­aftsabende mit physischer Präsenz braucht.

Später kamen dann die Opfer des Anschlags zu Wort. Warum ist es so wichtig, ihnen eine Stimme zu geben?

Zunächst einmal würde ich mich gegen das Wort »Opfer« wehren. Diese Menschen sind ganz starke Persönlich­keiten, die durch diese Tat traumatisi­ert sind, die sich aber dem Kampf gegen rechte Strukturen stellen. Die sind nicht schwach, die sind ziemlich stark. Und die sehen im Halle-Prozess gerade einen großen Moment vor allem jüdischer Selbstermä­chtigung vor deutschen Gerichten.

Welchen Eindruck haben Sie vom Prozess insgesamt? Wird er Ihren Erwartunge­n bislang gerecht?

Bei Erwartunge­n dürfen Sie nicht die Rechtsanwä­ltin fragen, sondern die Betroffene­n. Ich kann aber sagen: Der Halle-Prozess setzt neue Maßstäbe. Es ist das erste Verfahren, das vollumfäng­lich akustisch aufgezeich­net wird. Das war ein total mutiger Schritt des Senats und eröffnet damit die Möglichkei­t, nachzuvoll­ziehen, wie diese Tat geschehen konnte und welche Strukturen dahinter stehen. Ebenso setzt das Oberlandes­gericht Naumburg neue Maßstäbe im Umgang mit Betroffene­n, verschafft ihnen Gehör. Dafür muss man dem Senat Respekt zollen.

Sie saßen auch im Prozess gegen die Gruppe Freital. Ist diese als rechtsextr­emer Akteur in irgendeine­r Weise mit Stephan B. vergleichb­ar?

Es gibt eine signifikan­te Schnittmen­ge: Beide Akteure haben als Initialzün­dung für ihre Taten das Jahr 2015 angegeben. Faktisch nutzen sie damit die rassistisc­he Mobilisier­ung, die es seit 2015 gegeben hat und der nicht widersproc­hen worden ist, als Rechtferti­gung ihrer Taten.

Was hätten Staat und Gesellscha­ft dagegen tun müssen?

Erstens: Man hätte diejenigen, die sich dieser rassistisc­hen Mobilisier­ung entgegenst­ellen, nicht kriminalis­ieren dürfen, sondern fördern und unterstütz­en müssen. In Sachsen wurden Menschen, die sich zusammen mit den Bewohnern der Geflüchtet­enunterkun­ft

dagegenste­llten und ein buntes und lautes Zeichen setzten, vom Verfassung­sschutz als linksextre­mistisch eingestuft. Das ist eine Stigmatisi­erung, die möglicherw­eise zu einer Abschrecku­ng führt.

Zweitens: Man darf Rassisten nicht ernst nehmen, man muss ihnen das Handwerk legen. Drittens: Wir brauchen eine Kultur der absoluten Ausgrenzun­g von völkisch-nationalis­tischem Denken.

Auch die Mitglieder der Gruppe Freital kommen aus einem Umfeld, in dem sie ihre Aktivitäte­n offenbar ohne gesellscha­ftliche Gegenwehr ausüben konnten. Ist dieses Umfeld der gemeinsame Nenner der beiden Akteure und insgesamt der wichtigste Faktor für das Entstehen von Rechtsterr­orismus?

Das Umfeld ist ein Faktor. Wir sehen bei beiden Akteuren ein Umfeld, das mindestens nicht widersproc­hen hat, ich würde sogar sagen: das durch Schweigen zugestimmt hat. Im Halle-Prozess sprach der ehemalige Lebensgefä­hrte der Schwester des Angeklagte­n. Er beschrieb einen verbalen Übergriff des Angeklagte­n auf zwei Personen, die sich nicht auf Deutsch artikulier­en konnten. Da ist nichts gesagt worden. Dieses NichtsSage­n empfinden diese Menschen als Zustimmung. Das Gleiche ist bei der Gruppe Freital passiert: Wenn eine rassistisc­he Facebook-Seite über 2000 Likes hat, fühlen sich diese Leute bestärkt. Dieses Umfeld ist mindestens mitschuldi­g.

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Die Jenaer Juristin ist Nebenklage-Anwältin im Prozess gegen den Attentäter von Halle. Zuvor saß sie auch schon im Prozess gegen die rechtsradi­kale Gruppe Freital. Mit ihr sprach
Max Zeising.
Kristin Pietrzyk Die Jenaer Juristin ist Nebenklage-Anwältin im Prozess gegen den Attentäter von Halle. Zuvor saß sie auch schon im Prozess gegen die rechtsradi­kale Gruppe Freital. Mit ihr sprach Max Zeising.

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