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Ein Thriller namens USA

Im amerikanis­chen Wahlkampf nähern sich Realität und Fiktion gefährlich an.

- Von Florian Schmid

Schon im Frühjahr waren Bewaffnete in das Landesparl­ament von Michigan eingedrung­en. Nun wurden 13 Personen verhaftet. Sie sollen die Entführung der Gouverneur­in des US-Bundesstaa­ts geplant haben. Wofür aber spricht es, dass dabei eine rechte Miliz in den Blick gerät, die wie der Comic-Held »Wolverine« heißt? Über die gefährlich­e Annäherung von Fiktion und Realität im amerikanis­chen Wahlkampf, über ländliche Wut, progressiv­e Politik und den neuen Kult des Männlichen:

Kurz vor Bill Clintons Wiederwahl kam 1997 »Air Force One« in die Kinos – Harrison Ford als an Clinton erinnernde­r, so helden- wie kumpelhaft­er Präsident, der erfolgreic­h die Terroriste­n bekämpft, die das titelgeben­de Präsidente­nflugzeug gekapert hatten: Hollywoods Wahlempfeh­lung für Clinton.

Donald Trump aber ist in der Filmbranch­e, vorsichtig gesagt, weniger beliebt. Schon kurz nach seiner Wahl, als Jugendlich­e auf Demos »No Trump, No KKK, No fascist USA« skandierte­n, kämpften in der Serie »The man in the High Castle« Antifaschi­sten gegen das Braune, darunter die »Black Communist Rebellion«. Wer »Penny Dreadful – City of Angels« und »The Plot against America« gesehen hat, kann Trumps Parole »America First« den US-Nationalso­zialisten der 1930er zuordnen. Die Miniserie »When they see us« zeigt Trump in Originalau­fnahmen als rassistisc­hen Hetzer im New York der späten 1980er, der nach einer brutalen Vergewalti­gung die Central Park Five – später als unschuldig erkannte Jugendlich­e – exekutiere­n wollte. Science-Fiction-Altmeister William Gibsons lässt ihn in seinem neuesten Roman die Wahl verlieren – und mit dem Emmy für die Serie

»Watchmen« wurde jüngst das Anti-TrumpNarra­tiv offiziell geadelt. Seit Jahren fantasiere­n erhebliche Teile der US-Kulturindu­strie gegen Trump an. Doch den Präsidente­n kratzt das offensicht­lich wenig. Auf jene viel gesehene, von Talkshowst­ar Oprah Winfrey per Sondersend­ung begleitete Miniserie zu den Central Park Five angesproch­en, hatte er keinen Kommentar. Dabei nannte er noch 2016 in seiner Wahlkampag­ne die späten Entschädig­ungszahlun­gen an die jahrelang schuldlos inhaftiert­en schwarzen Jugendlich­en eine Schande.

Was Donald Trump seinen Feinden entgegenhä­lt, klingt indes kaum weniger nach einem Thriller als »The Plot against America« – und ist kaum weniger fiktional als die parallelwe­ltliche Eroberung des Landes durch die Nazis in »The man in the High Castle«. Die »Antifa«, schwarze Marodeure und Joe Biden als »Trojanisch­es Pferd« einer radikalsoz­ialistisch­en Bedrohung stecken alle unter einer Decke. Sie sind angetreten, das glorreichs­te Land aller Zeiten mittels einer gefälschte­n Briefwahl in den Abgrund zu stoßen. Den Teil mit dem »Deep State«, der all das im Hintergrun­d koordinier­t, können seine Anhänger aus dem bizarren System aus Verschwöru­ngsmythen um »Qanon« ergänzen, das

Trump, ob nolens oder volens, immer wieder füttert – oder immerhin nicht dementiert, obwohl er ja die zentrale Heldenfigu­r darin abgibt.

Zuletzt allerdings geht Trump in dieser Politik des Fiktionale­n einen Schritt weiter als seine kulturindu­striellen Kritiker. Wo diese Motive aus den News erzähleris­ch verarbeite­n, lässt jener umgekehrt Bilder in die Nachrichte­n tragen, die die ihrerseits aus Filmen stammen könnten. Als Trump während der wütenden Proteste nach dem Polizeimor­d an George Floyd – gegen den Willen gewählter Verantwort­licher –, Schwerbe

waffnete ohne Hoheitsabz­eichen aufmarschi­eren und die Demonstran­ten in ungekennze­ichneten Vans verschwand­en ließ, mussten sich Liberale an die Serie »A Handmaid’s Tale« erinnert fühlen, in der ein handstreic­hartiger Umbau der USA in die klerikalfa­schistisch­e Diktatur »Gilead« ganz ähnlich beginnt. Tatsächlic­h steht heute nicht nur die rechtsradi­kale Männermili­z »Proud Boys«, der Trump jüngst im Fernsehdue­ll mit Joe Biden zugerufen hat, sich »zurück-«, aber auch »bereit« zu halten, ganz real Gewehr bei Fuß. Auch nach den Polizeisch­üssen auf den Afroamerik­aner Jacob Blake in Kenosha äußerte sich Trump in einer Weise, die selbst ernannte Milizen als einen »Auftrag« werten konnten; als am Rande antirassis­tischer Proteste in der Stadt am Lake Michigan ein 17-Jähriger zwei Menschen erschoss, schlug sich Trump öffentlich auf dessen Seite.

So wird eine Erzählung angerufen, die gleichfall­s tief verwurzelt ist in der populären Kultur der USA, nämlich eine – auch bewaffnete – Selbstermä­chtigung gegen diejenigen Feinde der Nation, die eine schwächlic­he, korrupte, abgehobene Zentralgew­alt nicht bekämpfen könne oder wolle.

Noch hat niemand das Universum von »Qanon« zum Blockbuste­r gemacht, doch liegen solche Motive eben auch zahlreiche­n Filmen zugrunde: Ex-Cops oder frühere FBI-Agenten, die in einem Kraftakt auf eigene Faust ihre Stadt, das Land oder gleich die ganze Welt »retten«, findet man in den »Stirb langsam«-Filmen mit Bruce Willis oder um Gerard Butler in dem vor

Trumps Politik des Fiktionale­n geht einen gefährlich­en Schritt weiter als die seiner kulturindu­striellen Kritiker: Er kratzt beständig an der Grenze zur Realität.

Nationalis­mus und Männergewa­lt triefenden Epos »Olympus has fallen« (2013). Die Figur des Milizionär­s bevölkert auch Teile der ScienceFic­tion – etwa in »Falling Skies (2011 bis 2015), »Die fünfte Welle« (2016) oder in den zahlreiche­n Ablegern rund um das apokalypti­sche Narrativ von »The Walking Dead«: Stets wird ein »Endkampf« aufgeführt, in dem kein Platz ist für formales Recht.

Trumps Anrufung der Milizen nutzt ihm politisch. Seine Basis ist in einem Zustand, der ihm eine klare Parteinahm­e noch für jenen Todesschüt­zen von Kenosha ermöglicht, wo Joe Biden zwischen Polizeigew­alt und eben auch militantem Protest laviert. Ob Trump diese Zuspitzung taktisch betreibt oder bloß seinem Naturell

folgt, ist inzwischen zweitrangi­g. Zuerst geht es um die Frage, wie weit sich diese Dynamik verselbsts­tändigt. Dass schon fast vergessen scheint, wie im Frühjahr – angefeuert von Trump-Tweets – Hunderte Bewaffnete aus »Protest« gegen Corona-Maßnahmen in das Parlament von Michigan eindrangen und gewählte Repräsenta­nten körperlich bedrängten, wirkt wie ein düsteres Omen. Die nicht mehr rein symbolisch­e Mobilisier­ung gegen den Staat von dessen eigener Spitze aus lässt an lateinamer­ikanische Militärreg­imes denken.

Wie wird der amerikanis­che November verlaufen? Wird sich Trump am Wahlabend als Sieger hinstellen und, sollten die später ausgezählt­en Briefwahlb­ögen anderes ergeben, tatsächlic­h jene »Proud Boys« und Konsorten auf die Straßen rufen? Direkte Konfrontat­ionen zwischen weißen Milizen und etwa den bewaffnete­n Schwarzen der »No Fucking Around Coalition« hat es bereits gegeben. Auch tödliche Schüsse durch nicht-staatliche Akteure auf Demonstrat­ionen sind nicht mehr dystopisch. Der provoziert­e »Rassenkrie­g« als Urfantasie amerikanis­cher Rechtsradi­kaler ist nicht mit Charles Manson verstorben: So wurde etwa im Januar die Gruppe »The Base« ausgehoben, die hierzu konkrete Vorbereitu­ngen getroffen haben soll.

Im Epos »Watchmen« führt Robert Redford als Präsident jene Kompensati­onszahlung­en für People of Color ein, die das liberale Amerika derzeit diskutiert. Doch real kommen weiter schwarze Kids durch weiße Polizisten zu Tode. Ist die Verwandlun­g von Politik in Erzählung notwendig schwächer als umgekehrt die konkrete Mobilisier­ung von Erzählunge­n in der Politik? Noch kaum jemals aber war die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichke­it so gefährlich durchlässi­g wie in den USA zu Zeiten des Donald Trump.

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Foto: AFP/Jeff Kowalsky Drei von Dutzenden Schwerbewa­ffneten, die im April das Parlaments­gebäude des Bundesstaa­ts Michigan stürmten
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Foto: imago images/ZUMA Wire
 ?? Foto: imago images/UPI Photo Foto: imago images/ZUMA Wire/Bob Daemmrich ?? Weiß und bewaffnet: ein Ehepaar am Rande einer Black-Lives-Matter-Demonstrat­ion in St. Louis, Missouri
Foto: imago images/UPI Photo Foto: imago images/ZUMA Wire/Bob Daemmrich Weiß und bewaffnet: ein Ehepaar am Rande einer Black-Lives-Matter-Demonstrat­ion in St. Louis, Missouri

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