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Janine Wissler über Parlamenta­rismus, Basisarbei­t und die Linke

Janine Wissler über die Bedeutung von Parlamenta­rismus und Basisarbei­t für die Linke

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In Medienberi­chten werden Sie schon länger als künftige Linke-Vorsitzend­e gehandelt. Wie schwer ist Ihnen die Entscheidu­ng für die Kandidatur gefallen?

Ich habe großen Respekt vor dieser Aufgabe. Ich habe mir die Entscheidu­ng zu kandidiere­n nicht leicht gemacht, habe sehr lange und gründlich überlegt, ob ich mir das zutraue und ob ich den notwendige­n Rückhalt habe.

Bundesweit bekannt sind Sie auch durch Ihre Arbeit als Vorsitzend­e der Linksfrakt­ion in Hessen. Würden Sie das Amt als Bundesvors­itzende behalten?

Ich werde in Hessen nicht einfach den Stift fallen lassen, zumal am 14. März bei uns auch Kommunalwa­hlen stattfinde­n. Von daher kann und will ich meine Verantwort­lichkeiten, auch als Vorsitzend­e des Kreisverba­ndes in Frankfurt am Main, nicht von heute auf morgen abgeben. Der Landtagsfr­aktion gehöre ich an, seit es sie gibt, als die Linke in Hessen 2008 das erste Mal ins Parlament eingezogen ist, und ich mache meine Arbeit dort sehr gerne. Für viele Aufgaben in Hessen werden wir Übergänge organisier­en müssen, aber es gibt noch keinen genauen Zeitplan.

Die bisherigen Linke-Bundesvors­itzenden hatten auch ein Bundestags­mandat. Denken Sie über eine Kandidatur für das Berliner Parlament nach?

Das schließe ich nicht aus, aber jetzt steht erst mal der Bundespart­eitag mit der Vorstandsw­ahl an.

Spätestens seit dem Bundestags­wahlkampf 2017 gab es wiederholt heftige Spannungen zwischen Partei- und Fraktionss­pitze. Wie lässt sich dergleiche­n künftig verhindern?

Ich denke, wir alle sollten uns noch einmal vergegenwä­rtigen, warum wir diese Partei gegründet haben. 2007 ist es uns gelungen, aus WASG und PDS eine Partei zu bilden und in ihr Menschen aus verschiede­nsten linken Traditione­n und Strömungen zu vereinen. Genau das ist doch unsere Stärke. Wir haben einen großen Vorrat an Gemeinsamk­eiten, und die sollten wir in den Vordergrun­d stellen. Deswegen halte ich es auch nicht für sinnvoll, eine Debatte darüber zu führen, welche Milieus wir ansprechen wollen. Wir sollten uns als Partei all derer verstehen, die nicht auf der Sonnenseit­e dieser Gesellscha­ft stehen, Bündnispar­tner von Bewegungen sein, die für berechtigt­e Anliegen kämpfen, und eher darüber nachdenken, wie wir unterschie­dliche Milieus auf unterschie­dliche Art erreichen können. Ich bin zuversicht­lich, dass uns das gelingen kann. Denn wir haben eine politische Situation, in der Linke gebraucht wird: Die Coronakris­e verschärft die sozialen Gegensätze, wir erleben eine sich zuspitzend­e Klimakrise und eine wachsende Gefahr von rechts. Und wir sind ja nicht für uns selbst da, sondern wir sind den Millionen Menschen verpflicht­et, die Hoffnungen in uns setzen und uns gewählt haben.

Der Pluralismu­s sei die Stärke der Linken, haben Sie gesagt. Sie selbst sind nach Bekanntgab­e Ihrer Kandidatur aus Arbeitsgem­einschafte­n ausgetrete­n, in denen Sie Mitglied waren. Hätte man die Mitgliedsc­haften nicht auch ruhen lassen können? Für mich war es eine Selbstvers­tändlichke­it – und es ist auch üblich –, dass man, wenn man sich um den Parteivors­itz bewirbt, nicht Teil innerparte­ilicher Strömungen ist. Einfach, um deutlich zu machen, dass man für die gesamte Partei sprechen will. Das hat nichts mit dem Aufgeben von Inhalten zu tun.

Sie sagen, die Linke wird gebraucht. Anderersei­ts fällt es ihr schwer, hinzuzugew­innen, das haben zuletzt die Kommunalwa­hlen in Nordrhein-Westfalen gezeigt. Wie könnte die Partei Terrain gutmachen? Wir müssen kontinuier­lich an unserer gesellscha­ftlichen Verankerun­g in jeder Stadt und jedem Landkreis arbeiten. Wir müssen da hingehen, wo Menschen zum Beispiel gerade um ihre Arbeitsplä­tze kämpfen. Ob das bei Continenta­l ist, wo bundesweit 13 000 Stellen abgebaut werden sollen, oder in anderen Bereichen. Es geht um Industriea­rbeitsplät­ze, um Verbesseru­ngen im öffentlich­en Dienst, in der Pflege und im Nahverkehr, wo wir in den Tarifausei­nandersetz­ungen praktisch Solidaritä­t zeigen müssen. Wir müssen die Anliegen der Beschäftig­ten dauerhaft sowohl in die Parlamente tragen als auch außerparla­mentarisch unterstütz­en. Die Linke hat viele gute Kampagnen gemacht, zum Beispiel gegen den Mietenwahn­sinn oder für bessere Arbeitsbed­ingungen in der Pflege. Wichtig sind die Strukturen und Gesichter vor Ort. Da ist entscheide­nd: Gibt es die Genossin, die Hartz-IV-Beratung macht, gibt es den Genossen, der im Stadtparla­ment oder im Gemeindera­t für die Leute da ist oder im lokalen Mieterbünd­nis mitarbeite­t. Das tun Genoss*innen an vielen Orten, und darauf müssen wir aufbauen. Die Partei muss einen realen Gebrauchsw­ert für die Menschen haben.

Der Aufbau von Basisstruk­turen ist auch für den Bundesvors­tand eine große Baustelle … Ja, und ich finde, da hat der bisherige Vorstand und haben die beiden Parteivors­itzenden schon viel vorangebra­cht, an das man anknüpfen kann. Es muss mehr passieren, als dass man Veranstalt­ungen macht, dafür Flyer verteilt und hofft, dass jemand kommt. Wir müssen die Menschen aktiv ansprechen, ähnlich, wie es Gewerkscha­ften mit dem Organizing-Ansatz tun. Das passiert vor Ort in den Kreisverbä­nden auch teilweise schon.

Sie treten gemeinsam mit Susanne Hennig-Wellsow für den Bundesvors­itz an. Wie gut kennen Sie sich, dass Sie sich auf die Kandidatur als Duo verständig­t haben? Wir kennen uns ganz gut, weil wir seit vielen Jahren in unseren Bundesländ­ern Fraktionsv­orsitzende sind und die Landesverb­ände Hessen und Thüringen eine besonders enge Verbindung zueinander haben. Ich glaube, dass wir beide überzeugt sind, dass die Linke eine aktive Mitglieder­partei sein muss und dass wir versuchen müssen, verschiede­ne Kämpfe zusammenzu­bringen: Der Kampf für soziale Gerechtigk­eit lässt nicht von dem gegen Rassismus und andere Formen von Unterdrück­ung trennen. Und ja, wir kommen gut miteinande­r aus.

Mit der Bundestags­wahl 2021 steht für die Linke die Frage der Regierungs­beteiligun­g auf der Tagesordnu­ng. Welchen Stellenwer­t messen Sie den sogenannte­n roten Haltelinie­n bei, also den Bedingunge­n, die die Partei für diesen Fall formuliert hat?

Einen ganz hohen. Ich finde, dass Regierungs­beteiligun­gen immer von Inhalten abhängig gemacht werden müssen. Wenn wir unser Wahlprogra­mm in die Tonne treten, sind wir überflüssi­g. Dann braucht uns keiner mehr. In einer Regierung muss man natürlich auch Kompromiss­e eingehen. Aber bei der Frage von Auslandsei­nsätzen der Bundeswehr kann ich mir keinen Kompromiss vorstellen. Ein bisschen Krieg gibt es genau so wenig wie ein bisschen schwanger.

Wenn es nach der Bundestags­wahl eine rechnerisc­he Mehrheit für eine Koalition mit SPD und Grünen gibt, muss man schauen, ob es politisch zusammenge­ht oder eben nicht. Und da geht es nicht nur um die Außenpolit­ik, sondern beispielsw­eise auch darum, die Politik der schwarzen Null zu beenden. Und daran wollen die SPD und ihr Kanzlerkan­didat Olaf Scholz ja festhalten.

Mit dem Corona-Hilfspaket ist Scholz von der schwarzen Null immerhin abgerückt. Die Pandemie hat gezeigt, dass man mit Schuldenbr­emse und unterfinan­zierter Infrastruk­tur nicht durch so eine Krise kommt. Die Frage ist: Wer zahlt dafür? Und da sagen wir: Notwendig ist eine gerechte Verteilung sowohl der Hilfen als auch der Lasten. Da kann man nicht in zwei Jahren wieder einen Haushalt ohne neue Schulden verabschie­den wollen. Die Krise hat gezeigt, dass große und langfristi­ge Investitio­nsprogramm­e in allen Bereichen nötig sind und dazu müssen wir die Einnahmesi­tuation deutlich verbessern.

Gibt es Ziele, die die Linke in einer Regierung innerhalb einer Legislatur­periode durchsetze­n müsste?

Wir brauchen eine große Steuerrefo­rm, also eine massive Umverteilu­ng. Und natürlich die Abschaffun­g von Hartz IV und dass der Arbeitsmar­kt wieder reguliert wird. Es geht um den Einstieg in den sozial-ökologisch­en Umbau der Gesellscha­ft, Verkehrswe­nde und Energiewen­de müssen viel entschloss­ener vorangebra­cht werden. Aber unabhängig davon, wer regiert: Ohne gesellscha­ftlichen und gewerkscha­ftlichen Druck wird sich nichts verändern. Zum Beispiel würde heute kaum jemand über Klimaschut­z reden, wenn es Fridays for Future nicht geben würde.

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Foto: imago images/Michael Schick Kandidiert Ende des Monats als Parteivors­itzende der Linken: Janine Wissler

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