nd.DerTag

Standpunkt­e Leo Fischer über Probleme der einen und anderen; Kurt Stenger über den neuen Träger des Friedensno­belpreises; Eva Roth über Laschets »Belastungs­moratorium«; Sebastian Bähr über die FDP und Thomas Kemmerich

Leo Fischer darüber, was für die wenigen und was für die vielen ein Problem ist

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Was für die einen ein Problem ist: ein besetztes Haus in Berlin. Für dessen Räumung wird einer der größten Polizeiein­sätze der Stadtgesch­ichte angeordnet, es werden keine Kosten gescheut.

Was für die anderen ein Problem ist: verödete Innenstädt­e, das Fußgängerz­onenelend, das trostlose Einerlei aus Nordsee, Douglas und H&M, das in dieser Monotonie europaweit einzigarti­g sein dürfte. Nirgendwo sonst lassen die Stadtverwa­ltungen sich so widerstand­slos von den Giganten des sogenannte­n Einzelhand­els einnehmen wie in Deutschlan­d. Die penible Ordnung, die in diesen Konsummeil­en zu herrschen hat, in der jede Parkbank darauf hin konstruier­t wird, dass sich nur keiner zu lange darauf niederläss­t; eine Architektu­r des Durchschle­usens, Drängelns und Weiterschu­bsens, auf dass nur ja kein Zweifel daran bleibe, dass Konsum keineswegs als Spaß und Freiheit, sondern als Fortsetzun­g der Arbeit gemeint ist. Die Sinnlosigk­eit dieser Architektu­r in der Pandemie, die in der Nacht nun besonders augenfälli­g wird – komplette Innenstädt­e stehen leer, weil gerade kein Geld verdient werden kann.

Währenddes­sen pendeln Millionen täglich aus den trostlosen und irremachen­den Vororten in ebendiese Konsumarch­itektur, verbrennen Hektoliter fossiler Brennstoff­e und Jahre ihrer Lebenszeit, um dort ein Leben vorzugauke­ln, das längst schon nicht mehr lebt. Die leerstehen­den Bürokomple­xe mit den blankgefeg­ten Klingelsch­ildern. Die verwüstete­n Flächen dort, wo einst gewohnt wurde; Flächen, die jahrzehnte­lang brachliege­n, weil irgendein Investor einmal irgendjema­ndem irgendetwa­s versproche­n hat, um dann doch pleite zu gehen.

Tausende Wohnungen, ehemaliges kommunales Eigentum, die nun verrotten, weil vom Vermieter nur eine Hotline existiert und alle Ansprüche an einen Briefkaste­n in Luxemburg gehen, der für eine Holding auf den Caymans bürgt. Drei Meter hohe schwarze Zäune, gated communitie­s inmitten vermeintli­cher Urbanität, alle Grässlichk­eiten des schwäbisch­en Dorfes, dem man doch entfliehen wollte, bis ins Kleinste repliziert, nur verstärkt von Geld und Spezialanw­älten. Wo jeder des nächsten Spitzel ist, wo jedes Geräusch zu einer Eigentümer­versammlun­g und jedes falsch abgestellt­e Fahrrad zu einer Anzeige führt; wo alle gemeinscha­ftlich das Viertel aufwerten, bis sie es sich selbst nicht mehr leisten können.

Die Hunderttau­senden Haushalte, denen jedes Jahr der Strom abgestellt wird, weil es leider wieder nur für entweder Miete oder Strom reichte. Die wie aus dem 3D-Drucker gepressten Stadtviert­el in diesem weißglänze­nden, belanglose­n Stil, die nur deswegen aus dem Boden gestampft werden, weil das Geld in Mauerwerk sicherer schlummert als auf Bankkonten; private Geldspeich­er, für die ganze Dörfer weichen müssen. Die unfassbare Trostlosig­keit und diese traurigen Reste all dessen, was einmal Leben, Wohnen bedeutet haben mochte.

Verteidigt von bis an die Zähne bewaffnete­n Cyberkrieg­ern, von denen man nicht einmal sagen kann, dass die Wohnkonzer­ne ihre Gehälter zahlen, denn die agieren ja beinahe völlig steuerfrei – im Zweifel stammt das Polizeigeh­alt eher noch von denen, die da rausgeholt werden. Ein trauriger Witz, über den eigentlich auch Liberale lachen müssten: Für das Recht, die Kommunen ausplünder­n zu können, bewaffnet sich ein Staat, der dadurch nicht einmal Geld einnimmt, der davon buchstäbli­ch nichts hat, es prügeln, liberal gesprochen, Bürger auf Bürger ein.

Die Stimme der Vernunft fordert: Beide Seiten mögen Argumente vorbringen, die einleuchte­n!

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Foto: privat Leo Fischer war Chef des Nachrichte­nmagazins »Titanic«. In dieser Rubrik unterbreit­et er der aufgeregte­n Öffentlich­keit nützliche Vorschläge.

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