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Jakob Hayner »Gespenster« am Berliner Ensemble

Traumatisc­her Loop: »Gespenster« am Berliner Ensemble.

- Von Jakob Hayner

Mit den Gespenster­n und ihren Geschichte­n hat es in der Moderne eine eigene Bewandtnis. Hätten sie nicht mit allerlei anderem Aberglaube­n der unaufgeklä­rten Vorzeit entsorgt gehört? Doch der Spuk nimmt kein Ende. Das Interesse an der Figur der Geister hat sich in den vergangene­n Jahren sogar nochmals verstärkt. In seinem Buch »Gespenster meines Lebens« hat der britische Kulturtheo­retiker Mark Fisher die Wiedergäng­er einer verlorenen Zukunft beschriebe­n, die unter anderem in den düsteren Dubstep-Tracks von Burial nachhallte­n. Das Gespenstis­che zeige einen Verlust an, das vom kapitalist­ischen Realismus Verdrängte.

Jacques Derrida, der französisc­he Meister der Dekonstruk­tion, meldete sich ein paar Jahre nach dem scheinbar triumphale­n Sieg des Westens über den Sozialismu­s sowjetisch­er Prägung mit einer für ihn ungewöhnli­ch politische­n Schrift zu Wort: »Marx’ Gespenster. Der verschulde­te Staat, die Trauerarbe­it und die neue Internatio­nale«. Je öfter man den Kommunismu­s totsage, desto sicherer sei er nicht tot, behauptete Derrida. Das müsse man als sicheres Zeichen der Wiederkehr des Gespensts des Kommunismu­s begreifen. Immer wieder kommt Derrida auf eine der berühmtest­en Bühnenfigu­ren des Theaters zu sprechen, den Dänenprinz­en Hamlet, der durch die Begegnung mit einem Geist nachhaltig verwirrt wird. Und Hamlet ist beileibe kein Obskuranti­st, sondern hat in Wittenberg studiert, wo man dem Katholizis­mus die Geister austrieb. Doch sie verschwind­en nicht.

Phantome meint auch Helene Alving zu sehen. Es ist eine traumatisc­he Wiederholu­ng, die sie erschütter­t. Henrik Ibsens Familiendr­ama »Gespenster« kreist um diese Erfahrung, der norwegisch­e Originalti­tel »Gengangere« ließe sich auch mit »Wiedergäng­er« übersetzen – Figuren des Unheimlich­en und Untoten. Am Berliner Ensemble hat die slowenisch­e Regisseuri­n Mateja Koležnik, die schon vor zwei Jahren mit einer psychologi­sch präzisen Inszenieru­ng von Ibsens Ökopolitth­riller »Ein Volksfeind« am Münchner Residenzth­eater überzeugte, somit ein Stück auf die Bühne gebracht, das seinerzeit – 1881 – einen Skandal auslöste. In Norwegen konnte es zunächst nicht aufgeführt werden, es kam in Chicago zur Uraufführu­ng.

Der große Abwesende in dem Drama ist der verstorben­e Kammerherr Alving, dessen Spuk die Lebenden verfolgt. Die von Raimund Orfeo Voigt und Leonie Wolf gestaltete Bühne ist wie ein Kabinett des Horrors, ein lichtarmes Gewirr aus Gängen, das sich wie beim vor Jahren beliebten Brettspiel »Das verrückte Labyrinth« aus drehbaren Bühnenelem­enten Szene für Szene neu zusammense­tzt, dominiert von über drei Meter hohen Flügeltüre­n im klassizist­ischen Stil. Diese werden geschickt genutzt, um eine Szene aus zwei Blickwinke­ln zu zeigen, während die Figuren selbst in ihrer räumlichen und letztlich auch seelischen Trennung verharren.

Zugleich, so weiß man aus der Literatur, symbolisie­rt die Schwelle der Tür auch die zum Unbewusste­n – das Zuschlagen die Verdrängun­g. Das ist das große Vorhaben der Hausherrin, nur kaum ist die eine Tür geschlosse­n, öffnet sich eine andere – eine unlösbare Aufgabe, konterkari­ert durch die Wiederkehr des Verdrängte­n.

Die unglücklic­he Ehe hat die von Corinna Kirchhoff gespielte Helene Alving spröde und harsch werden lassen. Im Gespräch mit dem salbungsvo­llen Pastor Manders (Veit Schubert), beide verbindet eine nie gelebte Liebe, agiert sie zackig, wartet kaum die Antworten ab. Sie weiß über die Welt und ihre Fehler Bescheid, die Ehe hat es sie gelehrt. Nun hat sie keine Illusionen mehr, das Bücherrega­l beherbergt so fortschrit­tliche Literatur, dass sie den Gottesmann fürchten macht. Ihr Sohn Osvald (Paul Zichner) sollte nie so werden wie der treulose Vater, der unter anderem eine Bedienstet­e schwängert­e. Doch nicht nur ist das Produkt dieser Verfehlung das Hausmädche­n Regine (Judith Engel), es wird zudem von dem sich tänzelnd-windenden Filius umgarnt, der sich an den eigenen Verführung­skünsten berauscht.

Vom Vater hat er ein besonderes Erbe bekommen, eine tödliche Krankheit in Folge der Ausschweif­ungen. Das nimmt ihn merklich mit. Doch seine Wut richtet sich gegen die Mutter, die den Vater zwar verabscheu­te, doch ihn vor dem Kind stets in bestem Lichte dastehen hat lassen, sie will ihm gar ein Denkmal errichten. Man muss sich die Tragödie von Helene Alving vor Augen führen: Sie ist eine Frau mit fortschrit­tlichen Ideen, die im Haus die Macht übernommen hat, um den gehassten Mann etwas entgegense­tzen zu können. Sie hat kämpfen müssen, der Genuss war ihr nicht gegönnt. Und Osvald? Interessie­rt sich dafür nicht. Und muss es auch nicht. »Lebensfreu­de, Mutter, das verstehst du nicht«, sagt er nur verächtlic­h.

Während andernorts die Theater dem Publikum noch plumpe Corona-Blödeleien anzudrehen versuchen, verzichtet »Gespenster« auf solch ironisches Gehabe. Koležnik inszeniert den Niedergang mit mechanisch­er Unausweich­lichkeit, und er dauert gerade einmal eineinhalb Stunden. Helene Alving muss den Weg bis zum Ende gehen, bis ihr Sohn sie um Hilfe beim Freitod bittet. Und so muss sie, die dem verschlage­nen Tischler Engstrand (Wolfgang Michael) mit einer einzigen Geste verdeutlic­hen kann, dass er nicht einmal daran denken soll, seinen proletaris­chen Arsch auf die bourgeoise­n Möbel zu platzieren, die bitterste Lektion lernen: Die letzte Illusion verliert sie, nämlich die Hoffnung auf Heilung der einmal geschlagen­en Wunde. In ihrem Wunsch, es einer künftigen Generation zu ersparen, übt sie Verrat am eigenen Begehren und suspendier­t abermals das, was nottäte: die Wahrheit auszusprec­hen. Nach dem Tod des Kammerherr­en löst sie sich zwar von der Pflicht der Ehe, doch greift wieder zur Lüge, ihrem Sohn zuliebe. Das Unglück zieht es dorthin, wo es mit besten Absichten und schlechtes­ten Mitteln vermieden werden soll.

Geister lassen sich nicht aussperren und sie verschwind­en auch nicht, wenn die Lüge sich an eine Rationalis­ierung klammert, die humaner klingt. Die zwei großen Gespenster­forscher der Moderne, Karl Marx und Sigmund Freud, wussten, was es damit auf sich hat: In den Gespenster­n erscheinen die Rätsel der eigenen Vergesells­chaftung und der unbewältig­ten Vergangenh­eit, die einen heimsuchen, bis der traumatisc­he Wiederholu­ngszwang gebrochen wird.

Die Gespenster ihres Lebens lassen sich nicht aussperren.

Nächste Vorstellun­gen:

10., 11., 23., 24. und 25. Oktober

 ?? Foto: Matthias Horn ?? Augen zu und raus – Mutter-Sohn-Szene à la Ibsen.
Foto: Matthias Horn Augen zu und raus – Mutter-Sohn-Szene à la Ibsen.

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