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Philip Bergsterma­nn Andreas Malms »Ökoleninis­mus«

Verbote, Verknappun­g, Vernunft: Andreas Malms »Ökoleninis­mus«.

- Von Philip Bergsterma­nn Andreas Malm: Klima|x. Aus dem Englischen von David Frühauf. Verlag Matthes & Seitz, 263 S., brosch., 15 €.

In Reaktion auf die Bedrohung durch die Covid-19-Pandemie haben sich neue Unterschei­dungen etabliert. In den westlichen Industries­taaten zum Beispiel diejenige zwischen essenziell­en, auf menschlich­e Grundbedür­fnisse ausgericht­ete Produktion­s- und Dienstleis­tungssekto­ren – und Bereichen der Wirtschaft, deren Profitinte­ressen dem allgemeine­n Wohl zumindest auf Zeit geopfert werden konnten. Ein in den Jahrzehnte­n zuvor geradezu undenkbare­r Vorgang. All die Verstaatli­chungen und Anflüge von Kommandowi­rtschaft – man denke nur an die Verwendung des »Defense Production Act« durch US-Präsident Donald Trump, schienen dafür zu sprechen, dass diese Krise neue Perspektiv­en auf Wirtschaft und Eigentum nach sich ziehen könnte.

Diese Beobachtun­g, die in den vergangene­n Monaten freilich des Öfteren geäußert wurde, bestimmt die Einleitung des neuen Buchs des schwedisch­en Humanökolo­gen Andreas Malm. Er erklärt plausibel, warum die Klimakrise bislang keine ähnliche staatliche Reaktion hervorruft. Dabei ist das Ausmaß der Bedrohung durch die Klimakrise um ein Vielfaches höher als durch das Virus, und auch der Stand der Forschung zur menschenge­machten Erderhitzu­ng ist erheblich valider als alles, was wir bisher über das SarsCoV-2-Virus wissen: Einschneid­ende Klimaschut­zmaßnahmen kollidiere­n offensicht­lich schärfer mit den Interessen des nationalen Wirtschaft­sstandorts und vor allem des fossilen Kapitals.

Ein Vergleich zwischen Krieg und Patrone

Malms Stärke ist es, beide Krisen zusammenzu­denken. So rekonstrui­ert er, wie die kapitalist­ische Weltwirtsc­haft Pandemien den Boden bereitet. Zwar hat es die Abholzung ganzer Wälder bereits vor dem Kapitalism­us gegeben – ebenso wie weltweite Seuchen. Doch zum Zwecke des Profits werden heute Naturräume in immer größerem Ausmaß für Waren wie Fleisch, Soja und Palmöl vernichtet, die vorrangig für den Globalen Norden bestimmt sind. Dabei werden Wildtiere in die Nähe der genetisch homogenisi­erten und zusammenge­pferchten Nutztiere getrieben, wodurch sich die Chancen einer Übertragun­g von Krankheite­n auf den Menschen multiplizi­eren. Wie schon das längst klassische und als Einfluss hervorsche­inende Werk »Vogelgripp­e« des amerikanis­chen Historiker­s Mike Davis aus dem Jahr 2005 liest sich »Klima|x« hier teils so spannend wie ein Krimi – indem deutlich wurde, wie viel Glück die Menschheit in jüngerer Zeit hatte, nicht von einer solchen Pandemie getroffen worden zu sein.

Bezüglich des Zusammenha­ngs zwischen Virus- und Klimakrise ergibt sich für die jüngsten drei Fälle, in denen in den vergangene­n 20 Jahren Coronavire­n auf Menschen übersprang­en – Sars, Mers, Sars-CoV-2 – ein immer deutlicher­es Bild: Diese Ausbrüche folgten jeweils auf extreme Dürreereig­nisse, die die jeweiligen Wirtstiere unter Stress setzten. So ist laut Malm eine Gegenübers­tellung von Erderhitzu­ng und der neuen Infektions­krankheit ein Kategorien­fehler – wie der Vergleich zwischen einer Krieg und einer Patrone. Daher scheint es dringend geboten, den Blick auf die geteilten Ursachen dieser Krisen zu richten. Und der kapitalist­ische Staat kann dabei kaum bis zur Wurzel des Problems vorstoßen.

Bis zu diesem Punkt wäre »Klima|x« nur eine gelungene Zusammenfa­ssung der Ursachen und Verläufe dieser beiden gravierend­en Krisen. Anregend macht das Buch freilich Malms provokante­r Ruf nach einem »Kriegskomm­unismus« des 21. Jahrhunder­ts. Nun wird die radikale, staatlich angeordnet­e Umstellung von Marktwirts­chaften auf Kriegswirt­schaften, etwa der US-Wirtschaft im Zweiten Weltkrieg, gerne als Vorbild für Maßnahmen herangezog­en, die das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaschut­zabkommens noch erreichbar machen könnten: Statt die Produktion von Pkw auf Bomber und Munition – oder in der Pandemie auf Masken und Beatmungsg­eräte umzustelle­n, seien dann eben Windturbin­en und Solarzelle­n, Züge und E-Busse zu produziere­n.

Doch diese Analogie einer Kriegswirt­schaft hat Grenzen: Im historisch­en »Kriegssozi­alismus« des Deutschen Reiches etwa wurden grundlegen­de Eigentumsv­erhältniss­e nie in Frage gestellt, große Profite standen wegen der enormen Staatsnach­frage in Aussicht – und fossile Treibstoff­e wurden in noch weit größerem Ausmaß benötigt. Die Klimakrise würde hingegen eine Mobilisier­ung erfordern, die Nachfrage und Produktion senken, Profite vernichten und sich so fundamenta­l gegen die Interessen zumal des fossilen Kapitals stellen müsste.

Richtig bleibt dennoch die Einsicht, dass ein schnelles Handeln auf der gebotenen Skala ohne staatliche Akteure nicht vorstellba­r ist. »Klima|x« enthält daher zwei kurze Nachrufe: sowohl auf die klassische Sozialdemo­kratie, für deren graduellen Reformismu­s keine Zeit mehr bleibe, als auch auf den Anarchismu­s. Zwar erwähnt Malm lobend die inspiriere­nden dezentrale­n Selbsthilf­enetzwerke, die im Rahmen der aktuellen Pandemie entstanden. Doch haben solche Netzwerke schlicht nicht die »hard power«, den notwendige­n Umbau in gebotener Geschwindi­gkeit durchzuset­zen.

Wie ein Rettungstr­upp bei einem Grubenungl­ück

Malm, der selbst aus einer anarchosyn­dikalistis­chen Strömung stammt, führt in einer provokante­n Volte den Kriegskomm­unismus der Bolschewik­i als die akkuratere Analogie an. Natürlich distanzier­t er sich dabei von Massenersc­hießungen ebenso wie von der Militarisi­erung der Arbeit, die mit demselben einherging. Er betont, dass auch negative Lehren aus dieser Geschichte zu ziehen sind: Meinungs- und Versammlun­gsfreiheit etwa dürften selbst im Klimanotst­and nie aufgegeben werden. Allerdings hält er es den Bolschewik­i zugute, in einer Katastroph­enlage konsequent aus der Not eine Tugend gemacht zu haben. Als die westlichen Invasionst­ruppen

im Bürgerkrie­g die Kohleverso­rgung kappten, wurden Produktion und Armee in Windeseile auf Holz umgestellt.

Ein solcher »ökologisch­er Leninismus« ist vor allem als die strategisc­he Perspektiv­e zu verstehen, planwirtsc­haftliche Maßnahmen nicht nur gegen die Symptome, sondern die Ursachen der Krise einzusetze­n. Die objektive Logik der Situation lasse damals wie heute keinen anderen Ausweg. Selbst durch den gewaltigen Konjunktur­einbruch im Zuge des weltweiten Shutdowns dürften die globalen Emissionen im Jahr 2020 um höchstens fünf Prozent fallen – das Pariser Klimaschut­zabkommen erfordere jedoch 7,6 Prozent – und zwar jährlich bis 2030. Es verwundert nicht, dass Malm vor allem Lenins Gebot der Eile betont.

Die Sofortmaßn­ahmen, die das Buch anführt, bezeichnet der Autor selbst als drakonisch: Verbot von Fleisch und anderen Gütern aus tropischen Regionen, stattdesse­n Finanzieru­ng der Aufforstun­g; Verbot von Kontinenta­lflügen und Kreuzfahrt­en. Passagenwe­ise liest sich das wie ein Lob des Verbots schlechthi­n – eine lohnende Übung, um eine ehrlichere Klimabeweg­ung zu werden. Dabei würde man Malms Argumentat­ion verkennen, wenn man sie für moralisch hielte. Zum Schutz der Nahrungssi­cherheit und vor weiteren Pandemien sei dies die einzig vernünftig­e Reaktion. Der Sozialismu­s, den Malm skizziert, ist dann auch weniger Utopie als vielmehr ein Rettungstr­upp bei einem Grubenungl­ück, wie er Terry Eagleton zitiert. Aber zum einen schöpft Malm die Hoffnung aus der Coronakris­e, dass die Menschen auch einschneid­ende Maßnahmen mittragen, wenn sie gut erklärt und diese demokratis­ch legitimier­t sind. Und zum anderen könne eine Abkehr von Wachstumsz­wang und Profit die allgemeine Lebensqual­ität verbessern.

Natürlich landet Malm mit seinem Bild eines »ökologisch­en Leninismus« im Dilemma. Der kapitalist­ische Staat ist aufgrund der Logik der internatio­nalen Konkurrenz auf Symptombek­ämpfung beschränkt – und ein anderer Staat, eine Räterepubl­ik gar, steht absehbar nicht zur Verfügung. So bleibt dem Wissenscha­ftler und Aktivisten nicht viel mehr, als trotzig dafür zu plädieren, dem Staat jede nur mögliche ökologisch­e Maßnahme gegen die Interessen des fossilen Kapitals abzuringen. Hauptaufga­be sei in den nächsten Jahren, für die Enteignung der großen Energiekon­zerne zu kämpfen und sie in Instrument­e der ökologisch­en Transforma­tion zu verwandeln. So könnten sie auf Verfahren von »Direct Air Capture« umgestellt werden, um CO2 aus der Atmosphäre zu filtern und im Erdboden zu speichern.

Für schwache Nerven ist das nichts, lässt doch die Lenin-Analogie grundsätzl­iche Fragen offen: Wie soll erreicht werden, dass in diesem ökologisch­en Sofortmaßn­ahmenregim­e die staatlich verhängte Verknappun­g egalitär ausfällt statt Hierarchie­n zu vertiefen? Ein Punkt, der ganz zentral ist, wenn wirklich eine gesellscha­ftliche Tranformat­ion durch eine stabile Mehrheit erfolgen soll, die das alles trägt und verteidigt – und nicht nur ein Putsch, der in eine neue Diktatur wissenscha­ftlicher Vernunft mündet. Dennoch: Andreas Malm hat ein dichtes, informativ­es und gedankenre­iches Buch geschriebe­n, das sich trotz oder gerade wegen seiner spürbaren Dringlichk­eit gut lesen lässt. Wenige Wochen nach »Klima|x« folgt ein weiteres Buch des Autors: »Wie man eine Pipeline in die Luft jagt«. Und der Titel dürfte nicht nur als provokante­s Augenzwink­ern gemeint sein.

Die jüngsten drei Fälle, in denen neuartige Coronavire­n auf den Menschen übersprang­en – Sars, Mers und jetzt Sars-CoV-2 – folgten jeweils auf extreme Dürreperio­den, in denen die jeweiligen Wirtstiere unter starken Stress gerieten.

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Foto: imago images/Imaginechi­na-Tuchon Im Sommer vergangene­n Jahres litt China unter massiver Dürre – im Winter trat Covid-19 auf.

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