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Steffen Schmidt, Ulrike Henning ehren die Nobelpreis­träger*innen in Physik, Chemie und Medizin

Physik-Preis für die Erforschun­g Schwarzer Löcher. Es wurde in dieser Sparte erst die vierte Frau geehrt.

- Von Steffen Schmidt

Der Brite (Jg. 1931) forscht an der University of Oxford. Reinhard Genzel, 1952 geboren in Bad Homburg (Deutschlan­d), ist Direktor am Max-Planck-Institut für Extraterre­strische Physik in Garching bei München). Andrea Ghez, 1965 in New York geboren, arbeitet an der University of California, Los Angeles (USA).

Schwarze Löcher sind höchst eigenartig­e kosmische Objekte. Genau genommen sind sie unsichtbar. Denn ihre Masse ist so groß, dass sie selbst das Licht gefangen halten. Finden kann man sie inzwischen dennoch. Denn sie verraten sich durch ihre Schwerkraf­twirkung. So entdeckten auch Forschungs­gruppen um den deutschen Astrophysi­ker Reinhard Genzel und seine US-Kollegin Andrea Ghez mit Hilfe riesiger Teleskope unabhängig voneinande­r, dass ein unsichtbar­es und extrem schweres Objekt die Umlaufbahn­en der Sterne im Zentrum unserer Galaxie beherrscht. Ein supermasse­reiches Schwarzes Loch sei dafür die einzige plausible Erklärung. Dafür erhalten die beiden eine Hälfte des Preises, wie die Königlich-Schwedisch­e Akademie der Wissenscha­ften am Dienstag in Stockholm mitteilte. Die zweite Hälfte geht an den Briten Roger Penrose, der erkannte, dass die Bildung Schwarzer Löcher sich aus der Allgemeine­n Relativitä­tstheorie Albert Einsteins ergibt.

Bemerkensw­erterweise gab es schon lange vor Einstein die Vermutung, es könnten so extrem massereich­e Objekte im All existieren, dass von ihnen nicht einmal das Licht entweichen kann. Der englische Physiker John Michell erwähnt eine solche Möglichkei­t in einer Publikatio­n von 1784. Allerdings basiert Michells Hypothese, ebenso wie der mathematis­che Beweis durch den französisc­hen Gelehrten Pierre-Simon Laplace (1749–1827), nicht nur auf der Newtonsche­n Gravitatio­nstheorie, sondern auch auf dessen Annahme, Licht bestehe aus Teilchen, die der Gravitatio­n unterliege­n. Immerhin hatte Michell 1784 auch schon eine Idee, wie man ein solches Massemonst­er findet, wenn man es schon nicht sehen kann: mit Hilfe der Bahnbeobac­htung umkreisend­er kosmischer Objekte.

Roger Penrose (89), der an der University of Oxford arbeitet, fand geniale mathematis­che Methoden, um mit Albert Einsteins Allgemeine­r Relativitä­tstheorie zu arbeiten, wie das Nobelkomit­ee mitteilte. Zehn Jahre nach Einsteins Tod habe Penrose aufgrund dieser Theorie dann 1965 gezeigt, dass Schwarze Löcher existieren müssen. Wichtige Vorarbeite­n habe bereits der deutsche Astrophysi­ker Karl Schwarzsch­ild 1916 geleistet. Einstein selbst hat nicht an die Existenz Schwarzer Löcher geglaubt. Die Bezeichnun­g Schwarzes Loch erfand der US-Physiker John Archibald Wheeler Mitte der 1960er Jahre.

Produkt kollabiere­nder Sterne

Schwarze Löcher entstehen nach der weithin akzeptiert­en astrophysi­kalischen Theorie, wenn in Sternen mit sehr großer Masse am Ende ihrer Entwicklun­g keine Kernfusion mehr stattfinde­t. Dann kollabiert der Stern infolge der eigenen Gravitatio­n. Ist die Restmasse zu groß, um als Neutronens­tern zu überleben, dann muss nach weit verbreitet­er Lehrmeinun­g eine sogenannte Singularit­ät – ein Schwarzes Loch – entstehen. Schwarze Löcher, die aus Sternen hervorgehe­n, haben allenfalls bis etwa hundert Sonnenmass­en. Kommen sich Schwarze Löcher zu nahe, können sie miteinande­r zu noch gewaltiger­en Schwarzen Löchern verschmelz­en. Solche Objekte können durch Fusion mit weiteren Sternen noch erheblich anwachsen. Supermassi­ve Schwarze Löcher erreichen unter Umständen Milliarden Sonnenmass­en.

Doch bis zur Entdeckung des ersten Kandidaten für ein Schwarzes Loch im Jahre 1971 war das alles nur Theorie. Damals konnte man Cygnus X-1 anhand der Röntgenstr­ahlung identifizi­eren, die entsteht, wenn Materie, bevor sie vom Schwarzen Loch verschlung­en wird, dieses rasend schnell umkreist. Das war erst möglich, als die Astronomen Observator­ien in der Erdumlaufb­ahn nutzen konnten, da die Röntgenstr­ahlung nicht durch die Erdatmosph­äre kommt.

Und auch bei dem Nachweis des Schwarzen Lochs inmitten der Milchstraß­e war modernste Beobachtun­gstechnik und viel Zeit vonnöten. Die Gruppe um Genzel nutzte das Very Large Telescope (VLT) der Europäisch­en Südsternwa­rte in Chile. Durch Zusammensc­haltung der vier Acht-Meter-Teleskope und die Entwicklun­g von speziellen Infrarotsy­stemen konnte Genzels Team durch den Staub, der im sichtbaren Licht das Zentrum verdeckt, einen Stern beobachten, der ein Objekt namens Sagittariu­s A* in der vergleichs­weise kurzen Zeit von 16 Jahren umkreist. Die starke Radioquell­e war 1974 mit Hilfe eines Radioteles­kops entdeckt worden. Aus den Bahndaten des umkreisend­en Sterns konnten die Wissenscha­ftler auf Masse und Größe des dort verborgene­n Objekts schließen. Das Objekt mit der Masse von vier Millionen Sonnen erreicht dabei nur einen mit der Umlaufbahn unseres Planeten Merkur vergleichb­aren Durchmesse­r.

Und obwohl dieses Massemonst­er weithin alles an sich zieht, wird es von Sternen umkreist. Um nicht im Schwarzen Loch zu verschwind­en, müssen sie allerdings mit entspreche­nd hoher Geschwindi­gkeit kreisen, so dass die Zentrifuga­lkraft die Anziehung des

aus eigener Erfahrung, er arbeitete nach der Promotion in den USA erst in Harvard, dann in Berkeley. Doch die »paradiesis­chen Möglichkei­ten der Max-Planck-Gesellscha­ft« hätten ihn dann doch bewogen, 1986 das Angebot anzunehmen, Direktor am MaxPlanck-Institut für Extraterre­stische Physik in Garching zu werden, bekannte er 2012 gegenüber der »Süddeutsch­en Zeitung«.

Seine US-Kollegin Ghez nutzt für ihre Forschung das aus zwei Zehn-Meter-Teleskopen bestehende Keck-Observator­ium auf Hawaii. Auf die Frage nach eventuelle­n Rivalitäte­n bekannte ihr Garchinger Kollege, dass er nun, da beide gleichrang­ig mit dem Nobelpreis geehrt worden seien, doch gut zusammenar­beiten könnte.

Gute Voraussetz­ungen dazu gebe es. Immerhin plane die ESO nicht nur eine Aufrüstung des existieren­den VLT in Chile, die dessen Auflösung hundertfac­h verbessern werde. Inzwischen hat dort auch der Bau des Extremely Large Telescope begonnen, bei dem die ESO federführe­nd ist. Mit dessen 39Meter-Spiegel würde zwar die Auflösung des VLT in der Zusammensc­haltung aller vier Teleskope nicht übertroffe­n, dafür sei aber wegen der größeren Fläche des Hauptspieg­els die Lichtempfi­ndlichkeit weit höher.

Lange hypothetis­ch

Der 89 Jahre alte Physik-Nobelpreis­träger Roger Penrose hat nicht mehr damit gerechnet, die hohe Auszeichnu­ng noch zu bekommen. »Das ist wirklich eine große Ehre«, sagte der britische Wissenscha­ftler am Dienstag in einer Online-Pressekonf­erenz. Ärgert er sich, dass er die Auszeichnu­ng so spät bekommen hat? »Nein. Es wäre viel schlechter, den Nobelpreis zu früh zu bekommen.«

»Es hat lange gedauert, bis die Leute die Existenz von Schwarzen Löchern akzeptiert haben«, sagte Penrose, der auch mit dem Astrophysi­ker Stephen Hawking zusammenge­arbeitet hat. Die Forschung in diesem Bereich sei aber noch längst nicht zu Ende. »Da wird noch viel kommen«, sagte er in seinem Arbeitszim­mer zu Hause in Oxford.

Bei einer Expertenru­nde der Deutschen Physikalis­chen Gesellscha­ft im Vorfeld der Bekanntgab­e der diesjährig­en Preise wurde auch spekuliert, dass das Team des sogenannte­n Event Horizon Telescope (EHT), einer Zusammensc­haltung von Radioteles­kopen rund um den Erdball für sein Bild des Schwarzen Lochs in der Galaxie M87 geehrt werden könnte. Insofern ist in diesem Jahr womöglich nicht der letzte Nobelpreis zu den Schwarzen Löchern vergeben worden.

Denn auch das EHT hat eigentlich Sagittariu­s A* im Visier. Doch die für dieses Jahr erwarteten ersten Beobachtun­gsergebnis­se blieben aus, da ein Teil der beteiligte­n Observator­ien coronabedi­ngt pausieren musste. Dank der Ergebnisse von Genzel und Ghez ist inzwischen die Masse des Objekts und sein Abstand zum galaktisch­en Zentrum so genau bekannt, dass eine Vermessung des Schattens des Schwarzen Lochs nach Ansicht von Genzel eine »hochpräzis­e Bestätigun­g« von Einsteins Allgemeine­r Relativitä­tstheorie liefern würde.

Wobei auch das EHT kein Bild eines Schwarzen Lochs liefern kann. Es zeigt lediglich das Geschehen am Ereignisho­rizont (Event Horizon) des Schwarzen Lochs. Als Ereignisho­rizont bezeichnet man jene Grenzfläch­e in der Raumzeit, jenseits derer prinzipiel­l nichts mehr sichtbar für einen außerhalb stehenden Beobachter ist.

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Foto: AFP/ESO Das Zentrum unserer Galaxie im Infrarotli­cht »Es hat lange gedauert, bis die Leute die Existenz von Schwarzen Löchern akzeptiert haben.« Roger Penrose
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Roger Penrose
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