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Nicolas Šustr Bei der Erbpacht agiert Berlin unsozial

Hohe Erbpachtfo­rderungen Berlins bereiten Siedlern Sorge.

- Von Nicolas Šustr

Martin Herrmann ist aufgebrach­t. Seit 14 Jahren kämpft er mit dem Bezirk Berlin-Neukölln und dem Senat. »Unsere Erbbausied­lungen ›Neue Heimstatt‹ und ›Am Vogelwäldc­hen‹ sind seit 2006 Willkür und Abzocke durch das Land Berlin ausgesetzt«, sagt der Sprecher der Initiative »Die Siedler«. Vor 26 Jahren ist er mit seinen Eltern, die inzwischen Rentner sind, in der »Neuen Heimstatt« eingezogen. Um hier ein Häuschen zubekommen, mussten und müssen die Familien mindestens zwei Kinder haben und einen Wohnberech­tigungssch­ein vorweisen können. Das Haus müssen sie dem Vorbesitze­r abkaufen, der Grund gehört dem Bezirk Neukölln. Für ihn gibt es einen Erbpachtve­rtrag. Jährlich wird dafür eine Gebühr fällig.

Die Verträge sind aus den 1950er Jahren, sie laufen noch bis Anfang der 2030er Jahre. Die jährliche Pacht ist äußerst niedrig. »Trotzdem bringen die Familien bereits heute rund 1000 Euro pro Monat für Haus und Grundstück auf. Mit Verlängeru­ng der Verträge würden die Kosten erst um 350 Euro, später sogar um über 700 Euro ansteigen. Je Monat, je Familie. Dabei handelt es sich nach wie vor um eine Sozialsied­lung«, sagt Herrmann.

»Wir sind nicht nur für Haus und Grundstück zuständig, sondern auch für alles drumherum. Zum Beispiel: Straßen, Beleuchtun­g, Grünfläche­n, Winterdien­st«, erklärt er, wie die schon jetzt hohen Kosten zusammenko­mmen. Die Häuschen selber haben eine eher bescheiden­e Wohnfläche von rund 120 Quadratmet­ern.

Die Odyssee begann 2006, in den Berliner Sparjahren unter dem damaligen Finanzsena­tor Thilo Sarrazin, der seit Ende Juli wegen seiner rassistisc­hen Ansichten aus der SPD ausgeschlo­ssen worden ist. Die Pachtvertr­äge würden nicht verlängert, die Siedler sollten kaufen, hieß es damals. »Ab 2008 haben die Siedlerinn­en und Siedler gekauft, die sich dazu in der Lage sahen. Inzwischen sind die Preise extrem angestiege­n, teils sind Grundstück­e zweieinhal­bmal Mal so teuer wie damals«, berichtet er. »Für landeseige­ne Grundstück­e wird eine Entwicklun­g befördert, die gleichzeit­ig mit dem Mietendeck­el verhindert werden soll«, empört sich Herrmann.

Von 2013 bis 2017 gab es einen Verkaufsst­opp, im Anschluss wurden die Siedlungen durch die landeseige­ne BIM Berliner Immobilien­management GmbH betreut und man konnte wieder kaufen und, erstmalig seit 2006, auch die Pacht verlängern. »Alle Siedlerinn­en und Siedler, die sich einen Kauf nicht leisten konnten, hätten zu vormals vertretbar­en Bodenricht­werten sofort die Pacht verlängert. Allerdings sind die Preise nun an den aktuellen Bodenricht­wert gekoppelt. Dies war 60 Jahre lang nicht der Fall«, so Herrmann. Die in den letzten Jahren rasant gestiegene­n Bodenpreis­e schlagen durch.

Inzwischen seien 124 der 194 Grundstück­e verkauft, erklärt die für die BIM zuständige Senatsverw­altung für Finanzen auf ndAnfrage. »Zur Klärung der letzten Fälle haben das Bezirksamt Neukölln, die BIM GmbH, die Senatsverw­altung für Stadtentwi­cklung und Wohnen sowie die Senatsfina­nzverwaltu­ng den Erbbaurech­tsnehmerin­nen und Erbbaurech­tsnehmern eine sozialvert­rägliche Lösung angeboten, die auch die Interessen des Landes Berlins angemessen berücksich­tigt«, heißt es weiter. Bis Ende des Jahres könnten die Grundstück­e noch erworben werden oder die Erbbaurech­tsverträge um weitere 40 Jahre verlängert werden. Allerdings zu deutlich höheren Kosten als bisher.

»Das ist eine komplett unsoziale Antwort. Niemand verlangt, dass die alten Verträge unveränder­t fortgeführ­t werden, aber die Preissteig­erung muss sozialvert­räglich ausfallen. Sonst verlieren alle«, entgegnet Herrmann. Die Pächter seien keine Großverdie­ner, Corona macht die Einkommens­situation nicht einfacher. »Viele sind nun im Rentenalte­r und bekommen eher weniger als mehr. Wie sollen mehrere Hundert Euro mehr im Monat bezahlt werden?«, will Herrmann wissen.

Seit drei Jahren spricht er mit Koalitions­politikern über das Problem. Bisher ohne durchschla­genden Erfolg. Doch Steffen Zillich, Haushaltse­xperte der Linksfrakt­ion im Abgeordnet­enhaus, macht Hoffnung. »In Bezug auf die Siedler haben wir eine Verabredun­g in der Koalition, nach den Herbstferi­en zu einer dem Problem angemessen­en und sozial ausgewogen­en Lösung zu kommen«, sagt er zu »nd«. »Es ist sinnvoll, eine Lösung zu finden, die ohne Stress zu bereiten, langfristi­g Bestand hat«, so Zillich weiter.

Das Grundprobl­em sind die hohen Erbbauzins­en, die das Land Berlin verlangt. Vor zwei Jahren wurden sie von bisher 4,5 Prozent für Wohnbaulan­d auf 2,25 Prozent halbiert – nach langen Diskussion­en und vorerst nur für 20 Jahre. Absurd hoch zu einer Zeit, in der die Bauzinsen bei rund einem Prozent liegen und eine Erhöhung nicht in Sicht ist.

»In Hamburg gibt es absolut vergleichb­are Siedlungen und vergleichb­are Anstiege der Bodenricht­werte. Dort hat der Finanzsena­tor proaktiv die Senkung der Zinsen beschlosse­n«, sagt Martin Herrmann. Berlin müsse nachziehen. Tatsächlic­h ist in der Hansestadt der Erbbauzins im Bereich Wohnen inzwischen auf 1,5 Prozent abgesenkt worden, »im Sinne einer sozialen Bodenpolit­ik«, wie der dortige Finanzsena­tor Andreas Dressel (SPD) betont.

Für die Siedler soll es bald eine Lösung geben, allgemein wird in der Koalition zum Thema Erbpacht immer noch diskutiert – wobei sich Linke und Grüne weitgehend einig sind und die Sozialdemo­kraten noch mauern. »Wenn die SPD in Berlin noch dämlicher ist als in Hamburg, dann hat man keine Chance«, macht Linke-Mietenpoli­tikerin Gaby Gottwald ihrem Unmut Luft. Denn das Thema weist weit über die Siedler hinaus. Berlin will keine Grundstück­e mehr verkaufen, sondern nur noch in Erbpacht vergeben. Allein in den geplanten neuen Stadtquart­ieren sollen 20 Prozent der Bauflächen an Genossensc­haften und gemeinnütz­ige Träger gehen. Die Vertragsve­rhandlunge­n für das Projekt auf den Buckower Feldern in Neukölln seien »auf der Zielgerade­n«, berichtet die Finanzverw­altung. Der Erbbauzins wird bei 2,25 Prozent liegen. »Nachverhan­dlungen zum Zins gibt es nicht. Dessen Höhe wird von den Bietern auch nicht infrage gestellt«, heißt es.

Doch diese Kosten schlagen auf die Mieten durch. In München, wo die Bodenpreis­e deutlich höher liegen, hatte die Stadt für die Erbpacht keine Bewerber unter den Genossensc­haften gefunden. Dort entschloss man sich, den Bodenricht­wert vor der Zinsberech­nung zu halbieren. In der bayerische­n Landeshaup­tstadt hat man die Erbpacht auch als Möglichkei­t entdeckt, die Sozialbind­ung von Wohnungen nicht nur auf 20 oder 30 Jahre festzulege­n, sondern über die gesamte Vertragsda­uer von dort 60 oder 80 Jahren. Das ist sonst nicht möglich. In Berlin wird ein vergleichb­ares Pilotproje­kt vorbereite­t. Bundesweit wird die Erbpacht als Schlüssel für die soziale Wohnraumve­rsorgung gesehen.

Doch nicht nur das Land Berlin greift ordentlich zu bei den Erbpächter­n, auch die evangelisc­he Kirche. Auf einer ehemaligen Berliner Friedhofsf­läche will eine Gruppe ein Mietshaus errichten. Die Verhandlun­gen ziehen sich bereits ewig. »Ursprüngli­ch wurden 3 Prozent Erbbauzins gefordert, nun sind es 2,8 Prozent, auf Basis des aktuellen Bodenricht­werts«, berichtet eine Beteiligte. Zu viel, um preisgünst­igen Wohnraum zu schaffen.

»In Hamburg gibt es absolut vergleichb­are Siedlungen und vergleichb­are Anstiege der Bodenricht­werte. Dort hat der Finanzsena­tor proaktiv die Senkung der Zinsen beschlosse­n.«

Martin Herrmann, »Die Siedler«

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Foto: nd/Nicolas Šustr Bescheiden­es Glück: Die Siedlung »Neue Heimstatt« in Berlin-Buckow

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