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Andreas Fritsche Schweinepe­st macht Bauern arm

Afrikanisc­he Schweinepe­st bedroht in Brandenbur­g Tausende Existenzen.

- Von Andreas Fritsche

Es werde auch wieder Tote geben, hatte Brandenbur­gs Gesundheit­sministeri­n Ursula Nonnemache­r (Grüne) angesichts einer »zweiten Welle« der Corona-Pandemie am Dienstag vorhergesa­gt. Am Mittwoch wurde dann tatsächlic­h gemeldet, dass ein 87-jähriger Patient aus dem Landkreis Spree-Neiße im Cottbuser Carl-Thiem-Klinikum gestorben ist. Es war in dieser Gegend der erste mit dem Coronaviru­s Infizierte überhaupt, der verstarb.

Etwas im Schatten dieses Ereignisse­s spielt sich noch ein anderes Drama ab. Es grassiert die Afrikanisc­he Schweinepe­st. Bei mittlerwei­le 53 toten Wildschwei­nen wurde sie diagnostiz­iert, davon 42 bei Neuzelle im Landkreis Oder-Spree, neun bei Schenkendö­bern in Spree-Neiße und zwei bei Bleyen in Märkisch-Oderland.

Menschen können an dieser Tierseuche nicht sterben. Trotzdem stehen Tausende Existenzen auf dem Spiel. Akut bedroht sind zunächst nicht die Schweineha­lter, weil die Pest noch nicht auf Hausschwei­ne übergegrif­fen hat. Geradezu in Panik sind aber bereits Ackerbauer­n und Rinderzüch­ter – und sie haben allen Grund dazu. Denn sie dürfen einstweile­n nicht auf die Felder. Ihre Traktoren könnten infizierte Wildschwei­ne aufscheuch­en, die dann die Schweinepe­st in bislang nicht betroffene Gebiete einschlepp­en, wird ihnen gesagt. Auf den Feldern steht aber der Mais und verfault, obwohl ihn Rinderzüch­ter als Futter und Einstreu dringend benötigen. Außerdem müsste jetzt die Herbstsaat in den Boden, Wintergers­te etwa.

Das Betretungs­verbot für landwirtsc­haftliche Nutzfläche­n gilt für Kerngebiet­e um die Fundorte der verendeten Wildschwei­ne und für ein weiter gezogenes Gefahrenge­biet, das sich bis in den Kreis Dahme-Spreewald hinein erstreckt. Dieses Gebiet muss erst langwierig nach Tierkadave­rn abgesucht und mit Zäunen abgesteckt sein, bevor die Landwirte wieder auf die Felder dürfen. Für das Gefahrenge­biet der Landkreise Spree-Neiße, Oder-Spree und Dahme-Spreewald werden jetzt endlich Ausnahmen zugelassen. So können hier Mais, Sonnenblum­en und Gemüse geerntet und die Saat ausgebrach­t werden.

In Märkisch-Oderland sei dies aber noch nicht möglich, bedauert Staatssekr­etärin Anna Heyer-Stuffer (Grüne). Sie untersteht Ministerin Nonnemache­r, die in Brandenbur­g auch für den Verbrauche­rschutz zuständig ist. »Uns allen ist bewusst, dass die angeordnet­en Maßnahmen für viele Landwirte schmerzhaf­t sind«, sagt Heyer-Stuffer.

Das ist noch untertrieb­en. Agrargenos­senschafte­n und anderen kleinen Landwirtsc­haftsbetri­eben könnte es den Todesstoß versetzen. Eine typische Genossensc­haft mache im Jahr vier bis fünf Millionen Euro Umsatz, erzählt der Geschäftsf­ührer eines Agrarbetri­ebs aus dem Gefahrenge­biet in Märkisch-Oderland. Man könne sich ausrechnen, dass im Sommer 2021 die Hälfte der Einnahmen fehle, wenn es nicht schnell eine Lösung gebe. Das wäre das Ende, sagt der Mann, der anonym bleiben möchte, um nicht noch mehr Schwierigk­eiten zu bekommen.

Freuen würde es die großen Konzerne, die bereits seit anderthalb Jahrzehnte­n Betriebe und Flächen aufkaufen. Wenn die Genossensc­haften wegen der Schweinepe­st aufgeben müssen, können die Konzerne billig haben, wonach sie schon lange gieren. Die in Ostdeutsch­land 1945 eingeleite­te Bodenrefor­m wäre dann komplett revidiert. Der Kapitalism­us hätte damit 30 Jahre nach der deutschen Einheit auch auf den Lande vollständi­g gesiegt.

Betroffen davon sind genauso die Freien Bauern, die früher als Bauernbund in Erscheinun­g traten. Sie präsentier­en sich oft als Gegenspiel­er sogenannte­r Roter Barone, also ehemaliger LPG-Vorsitzend­er, die sich angeblich nach der Wende alles unter den Nagel gerissen haben. Bei den Freien Bauern organisier­t sind etliche Familien einstige Genossensc­haftsbauer­n, die sich ihr in die Landwirtsc­haftliche Produktion­sgenossens­chaft (LPG) eingebrach­tes Land zurückgebe­n ließen und fortan auf eigene Faust wirtschaft­eten. Sie sind nun genauso durch Schweinepe­st und große Konzerne bedroht. Ihr Referent Reinhard Jung sieht ein Komplettve­rsagen des Ministeriu­ms. Er sagt: »Über die Mischung aus administra­tiver Zwangsruhe und hektischem Dilettanti­smus amüsiert sich inzwischen die halbe Republik.« Ende letzter Woche seien mit Ausnahmege­nehmigung Mitarbeite­r einer »offensicht­lich gut vernetzten, sehr großen Agrargenos­senschaft« damit beschäftig­t gewesen, »Kartoffeln zu roden und Luzerne zu häckseln«, will Jung aus sicherer Quelle wissen. »Und das ausgerechn­et in der Kernzone, während drum herum 33 000 Hektar nicht bewirtscha­ftet werden dürfen.« Das Landwirtsc­haftsverbo­t

in der 15-Kilometer-Zone um die Fundorte sei weder verhältnis­mäßig noch zielführen­d. Die dadurch verursacht­en Schäden überschrei­ten nach Rechnung von Jung weitaus die Schäden, die zu erwarten sind, wenn die Schweinepe­st auf Nutztierbe­stände übergreife­n sollte.

Die Bundestags­abgeordnet­e Kirsten Tackmann (Linke) – sie ist von Beruf Veterinärm­edizinerin und wirkte früher am FriedrichL­oeffler-Institut für Tierseuche­nforschung – kann zwar noch nachvollzi­ehen, dass Mais nicht geerntet werden darf. Dass aber nicht einmal ausgesät werden darf, versteht sie nicht. Wildschwei­ne, die auf der Suche nach Nahrung in Siedlungen und sogar in die Randbezirk­e Berlins eindringen, lassen sich von einem vorbeifahr­enden Trecker nicht so schnell aus der Ruhe bringen, denkt sie.

Der Geschäftsf­ührer eines Agrarbetri­ebs, der anonym bleiben möchte, wünscht einen komplett anderen Umgang mit der Krise. Anstatt das Geld für Zäune zu verschwend­en, die doch nichts bringen, könnte der Staat den Schweineha­ltern doch die Tiere abnehmen, deren Gesundheit überprüfen und sie anderswo hinbringen, schlägt er vor. So wie es jetzt läuft, könnte er sich vorstellen, dass verzweifel­te Bauern irgendwann ihre Schweine absichtlic­h mit der Pest infizieren, damit das Vieh getötet werden muss und sie eine Entschädig­ung bekommen. Dann wären sie das Problem los. Derweil gebe es keinerlei gesicherte Informatio­n für die Ackerbauer­n, ob sie entschädig­t werden, wenn ihnen der Mais verfault und die Herbstsaat ausfällt.

Der Preis für Schweinefl­eisch ist bereits im Keller. 1,25 Euro gibt es maximal noch für das Kilogramm. Ein Ferkel musste aber für 80 bis 90 Euro gekauft werden. Nach Mast und Schlachtun­g erbringt ein Schwein rund 85 Kilogramm Fleisch zum Verkauf. Futter und Arbeitsauf­wand eingerechn­et, machen die Bauern schon jetzt Verlust. Dabei geht der Preisverfa­ll vermutlich weiter. Auch China nimmt wegen der Pest nichts mehr ab.

Deshalb verzichten die Landwirte Tino und Ronny Ryll aus Reinsdorf im Kreis TeltowFläm­ing derzeit darauf, sich von einem ihrer 30 Schweine zu trennen und warten ab. Sie halten die Tiere im Freiland. Würde sich die Schweinepe­st bis Reinsdorf ausdehnen, so würde der Amtstierar­zt eine Stallpflic­ht anordnen. Im Stall haben die Brüder Ryll aber nur Platz für zehn Schweine. 20 müssten sie schlachten lassen und zusehen, ob ihnen noch irgendwer das eigentlich wertvolle Biofleisch für einen Spottpreis abkauft.

»Über die Mischung aus administra­tiver Zwangsruhe und hektischem Dilettanti­smus amüsiert sich inzwischen die halbe Republik.« Reinhard Jung, Freie Bauern

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Foto: dpa/Patrick Pleul Beim Bau eines Zauns zur Abwehr der Afrikanisc­hen Schweinepe­st an der polnischen Grenze

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