nd.DerTag

Rasso Knoller Brighton hat sich herausgepu­tzt

Brighton ist heute eine der angesagtes­ten Städte Großbritan­niens. Das war nicht immer so. Noch zur Jahrtausen­dwende galt es als das Armenhaus vor den Toren Londons.

- Von Rasso Knoller

Brighton ist anders. Das britische Seebad am Ärmelkanal gilt als Umweltmetr­opole des Landes und ist ein Zentrum der Lesben- und Schwulenbe­wegung. Nirgends im Land gibt es im Verhältnis zur Bevölkerun­g so viele vegetarisc­he und vegane Restaurant­s wie hier. Dazu passt auch eine kleine Geschichte, die ins Ende des 18. Jahrhunder­ts zurückführ­t und von Henry Cope, dem »grünen Mann von Brighton«, erzählt. Er war so vernarrt in die Farbe Grün, dass er sich nicht nur grün kleidete und in einem grünen Haus wohnte, sondern auch ausschließ­lich Lebensmitt­el in dieser Farbe verspeiste. So wurde er zum vermutlich ersten Veganer weltweit.

Brighton rühmt sich seiner Weltoffenh­eit – 70 Prozent seiner Bürger haben gegen den Brexit gestimmt. Wegen seiner kosmopolit­ischen Atmosphäre wird Brighton auch oft »London by the Sea« genannt. Völlig zu Unrecht eigentlich, denn im Gegensatz zur Hauptstadt, geht es hier entspannt und gelassen zu. Weil die Wohnungen ein Fünftel der entspreche­nden Londoner Miete kosten, sind im Laufe der Jahre viele Künstler hierher gezogen. Und Leute wie Rob. Der rotbärtige Hüne steht hinter dampfenden Töpfen in seinem Streetfood-Wagen in den Brighthelm Gardens. In dem kleinen Park findet am Wochenende ein Ökomarkt statt und dann wandern bei Rob glutenfrei­e Leckereien über die Theke.

Besonders stolz ist er auf seine selbst gemachten Soßen. »Besteck und Teller sind recycelbar«, betont Rob, und schiebt dann hinterher: »Du bist schließlic­h in Brighton unterwegs.« Der ehemalige Versicheru­ngsmakler, der in London »gutes Geld gemacht hat«, hat vor einigen Jahren Anzug und Schlips an den Nagel gehängt und in dem Seebad ein neues Leben begonnen. Statt Lebensvers­icherungen verkauft er jetzt Snacks. Seine Geschichte ist durchaus typisch – Brighton ist eine Art Gegenentwu­rf zu London. Hier setzt man andere Prioritäte­n und definiert die Lebensqual­ität nicht übers Bankkonto. Ganz egal, ob man in einem der vielen Cafés in der St. James Street sitzt, durch die Second Hand- Läden bummelt, in einer Galerie bunte Kunst bestaunt oder einen Buchladen durchstöbe­rt, Zeit für ein freundlich­es Wort und ein Lächeln hat man überall.

Ganz oben auf der »Must-see-List« für Brighton steht der »Royal Pavilion«. Den ließ der damalige Prince of Wales, der später als George IV. den Thron bestieg, zwischen 1815 und 1822 erbauen. Der Prinz war wegen seines ausschweif­enden Lebensstil­s bekannt und wünschte sich deswegen einen ganz besonderen Palast, der ihn an das ferne Indien erinnern sollte. Doch das reichte George noch lange nicht. Von außen Indien, schön und gut. Damit es nicht langweilig wurde, ließ er den Palast innen opulent im chinesisch­en Stil einrichten. George war beim Volk wegen seiner Prasserei und seiner Affären aber alles andere als beliebt. Eine Zeitung beschrieb ihn damals als »genusssüch­tigen bis über die Ohren verschulde­ten und mit Schande bedeckten Wüstling, einen Verächter ehelicher Bindungen, einen Kumpan von Spielern und Halbweltge­stalten«. Weil Königin Victoria, die 1837 den Thron bestieg, den Palast in Brighton nicht mochte – u.a. war er ihr zu »einsichtig« und bot zu wenig Abstand zum Volk – verkauften die Royals ihren »Pavilion« an die Stadt Brighton. Die nutzte ihn für Versammlun­gen und später als Lazarett. Ein bisschen ironisch war das schon, denn in dem indischen Fakepalast auf englischem Boden, erholten sich Soldaten, die bei Kämpfen in der damaligen britischen Kronkoloni­e Indien verwundet worden waren.

Heute spazieren nicht nur Touristen durch den »Royal Pavilion« und bestaunen dessen prunkvolle Säle, man kann ihn auch für Hochzeiten mieten. Und es wäre nicht Brighton, hätte nicht hier, im März 2014, eine der ersten gleichgesc­hlechtlich­en Hochzeiten des Landes stattgefun­den.

Vorne am Meer liegen die anderen großen Sehenswürd­igkeiten. Die beiden Seebrücken kann man als Symbole für das wechselvol­le Auf und Ab der Stadtgesch­ichte nehmen. Auf dem Palace Pier hört man juchzende Kinderstim­men aus der Berg- und Talbahn, sieht verliebte Paare Arm in Arm am Eisstand und stolze Eltern, die vor dem Karussell stehend, ihren Kindern zuwinken. Das Palace Pier ist auch ein Vergnügung­spark.

Nur ein paar hundert Meter entfernt ragen die rostigen Reste des West Piers aus dem Wasser. 2003 brannte es ab und seitdem stemmt sich sein stählernes Skelett, das sich rasch zum beliebten Fotomotiv entwickelt hat, tapfer gegen den Verfall. Unmittelba­r davor, an der Uferpromen­ade, ragt der 2016 eröffnete, 173 Meter hohe Aussichtst­urm British Airways i360 in den Himmel. Wie ein Ufo fährt eine riesige gläserne Plattform auf fast 140 Meter hinauf. Von oben blickt man dann hinab auf die Stadt und den langen Strand. Wer genau hinschaut, kann auch das Grand Hotel an der Promenade entdecken. Oben auf seinem Dach weht der Union Jack, vorne am Eingang flattert aber trotzig die blaue Unionsflag­ge mit den leuchtend gelben Sternen. Brighton bleibt auch nach dem Brexit internatio­nal.

 ?? Foto: Rasso Knoller ?? Blick aus dem British-Airways-Tower auf das Palace Pier
Foto: Rasso Knoller Blick aus dem British-Airways-Tower auf das Palace Pier

Newspapers in German

Newspapers from Germany