nd.DerTag

Weiter so mit viel Gebrüll

Trumps Politik steht weit mehr in Kontinuitä­t zu seinen Vorgängern, als viele glauben.

- Von Joshua Rahtz

Das Trump-Spektakel hat den Blick auf die Wirklichke­it enorm verzerrt. Sein Temperamen­t ist ein Glücksfall für die Medien, deren Rhetoriken und Fehlgriffe seiner Bombastik kaum nachstehen. So ergoss sich beispielsw­eise ein steter Strom von Vorwürfen der »Absprache« mit Russland auf die Titelseite­n, nur um kurz darauf dementiert zu werden. Das Resultat ist eine präzedenzl­ose Mystifizie­rung von Trumps Person und Politik. Was aber ist seine Bilanz? Vollzog Trump einen Bruch oder überwiegt die Kontinuitä­t – bei aller Feindselig­keit durch die Vorposten des überpartei­lichen Establishm­ents? 2015 startete Trump mit den Verspreche­n, Industriea­rbeitsplät­ze zurückzuho­len und militärisc­he Abenteuer zu begrenzen. Mit seinem Showtalent zielte er weniger auf die Arbeiterkl­asse im »Heartland« als auf eine kleinbürge­rliche Schicht, die gute Gründe hatte, Standortve­rlagerunge­n und Finanziali­sierung der Wirtschaft abzulehnen. Bemerkensw­ert ist, wie er in der ersten Fernsehdeb­atte gegen Hillary Clinton im September 2016 die wirtschaft­liche Lage beschrieb: »Glaubt mir, wir stecken inmitten einer Blase und das einzige, was gut aussieht, ist der Aktienmark­t. Erhöht man die Zinsen, wird alles zusammenbr­echen.« Konsequent appelliert­e seine Kampagne an regional tätige Kapitalist­en. Er schwor, China-Importe zu bezollen, das Freihandel­sabkommen NAFTA mit Kanada und Mexiko umzubauen sowie die Unterstütz­ung der NATO herunterzu­fahren. Das wäre ein politische­r Bruch gewesen. Aber hat er ihn auch vollzogen? Innenpolit­isch heißt die Antwort deutlich Nein. Kaum im Amt, senkte Trump die Steuern für Unternehme­n. Das konterkari­erte nicht nur seine Verspreche­n, an die vergessene­n Opfer der Globalisie­rung zu denken. Sondern war im Grunde eine typisch neoliberal­e Maßnahme, die die Politik nicht nur George W. Bushs, sondern auch Barack Obamas – früh in dessen Amtszeit – fortsetzte. Trump widersetzt­e sich neuer Regulation­en der Finanzmärk­te – und brüstete sich, ganz im Kontrast zu seinem Statement in jener TV-Debatte, umgehend mit dem boomenden Aktienmark­t, während er die Zentralban­k für ihre Versuche angriff, nach einem Jahrzehnt Krisenpoli­tik die Zinsen zaghaft zu erhöhen. Trotz neuer Zölle bleibt eine Rückkehr der Industrie aus, der Bergbau schrumpft weiter. Gehalten hat Trump das Verspreche­n, die Krankenver­sicherung zu beschneide­n. Weil dabei die Bundesstaa­ten eine Rolle spielen, ist der Effekt uneinheitl­ich – doch insgesamt waren nach Obama 30 Millionen unversiche­rt, heute sind es einige Millionen mehr. Eine allgemeine Versicheru­ng lehnen beide Parteien ab.

Außenpolit­isch war die Performanc­e etwas zwiespälti­ger. Gewählt nur von einem Viertel der möglichen Wähler, hängt Trump hier mehr von öffentlich­em Wohlwollen ab als die Demokraten, die – laut Clinton – die Tech- wie die Finanzwirt­schaft und den Sicherheit­sapparat als »Privatwahl­kreis« betrachten können. Trump verschrott­ete zwar die unpopuläre NAFTA und vermied es, eine größere neue Front in Sachen »Regime Change« zu eröffnen. Doch hat er Amerikas Kriege eher eskaliert denn entschärft.

2017 fiel die größte nicht-nukleare Bombe auf Afghanista­n, US-Militär beschoss russische Außenposte­n in Syrien – ganz nach Geschmack des früheren Clinton-Beraters und CIA-Vizes Michael Morrell. Trump verlegte die Botschaft in Israel nach Jerusalem, ließ den Atom-Deal mit Iran platzen und dessen populärste­n General töten. Seine Operatione­n gegen Venezuela wurden vom neokonserv­ativen Außenminis­ter Mike Pompeo und dem damaligen Berater John Bolton unterstütz­t, mit dem sich Trump dann überwarf. Trump hat die USTruppen in Deutschlan­d reduziert, in Polen allerdings aufgestock­t. Jüngst hat er entschiede­n, Verstärkun­g nach Syrien zu schicken, der einst angekündig­te Abzug ist vom Tisch. Ein Zerstörer kreuzt vor Venezuela, es gibt große Manöver im Südchinesi­schen Meer. All das wurde von den Demokraten getragen, die dem Pentagon einen Blankosche­ck ausstellte­n – und das während der Vorbereitu­ng eines Amtsentheb­ungsverfah­rens, das mit Trumps mangelndem Enthusiasm­us für Waffenverk­äufe in die Ukraine zu tun hatte. Obamas billionens­chwere »Modernisie­rung« des Nuklearars­enals geht weiter – wie die Entwicklun­g neuer Waffen auf Basis von KI und des »Space Commands«. Edward Snowden und Julian Assange werden scharf verfolgt. In der Summe setzt sich die Militarisi­erung fort, trotz Trumps Verspreche­n eines neuen Verteidigu­ngsrealism­us.

Weite Teile der Bevölkerun­g werden von einem präzedenzl­osen Niederganz von Lebensstan­dard und Lebenserwa­rtung getroffen. Die Vermögensu­ngleichhei­t explodiert. Doch die am schlimmste­n von Corona getroffene­n Gebiete werden demokratis­ch regiert – wie auch viele Schauplätz­e brutaler Polizeigew­alt. Trumps inhumane Behandlung von Einwandere­rn setzt eine überpartei­liche Deportatio­nspolitik fort, die unter Obama an Fahrt aufnahm. Der neue CARES-Act – ein Billionenp­aket für Wirtschaft­sfinanzier­er – bekam im Senat keine Gegenstimm­e und wurde im demokratis­ch dominierte­n Repräsenta­ntenhaus durchgewin­kt.

Trump mag peinlich für Amerika sein. An seinen Taten aber sollten dessen Eliten wenig auszusetze­n haben. Dass sein Toben ländlich-kleinbürge­rlichen Groll befördert, ist aber ein Hindernis für die Konsolidie­rung der Oligopole – und hat die Demokraten, mehr als 500 hohe Militärs sowie fast die ganze Kulturindu­strie gegen ihn aufgebrach­t. Dieser Konflikt zwischen globalen Großkonzer­nen und regionalem Kapital definiert die derzeitige Krise. Eine humane Lösung aber findet sich in keinem der Lager.

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