nd.DerTag

Ich komme mit Plänen in dein Fachwerkdo­rf

-

Gorleben ist raus aus dem Rennen um das sogenannte »Endlager« für strahlende­n Atommüll. Das hat die Bundesgese­llschaft für Endlagerun­g kürzlich bekannt gegeben. In der Region zwischen Berlin und Hamburg freuen sich gerade viele Leute, die teils seit 40 Jahren gegen die Verklappun­g des nationalen Atomschrot­ts in der niedersäch­sischen Provinz gekämpft hatten. Klar, in der Zwischenze­it sind die Bärte länger, das Kopfhaar loser und die politische­n Ideen wirrer geworden. Doch seit der Besetzung einer Tiefbohrst­elle, die 1980 als »Freie Republik Wendland« in die Geschichte der Anti-Atom-Bewegung eingegange­n ist, haben sich im Landkreis viele Linke und Alternativ­e niedergela­ssen.

Sie haben dort Kommunen und Projekte, Familien und Wahlfamili­en, eine Tofurei oder eine Apfelmoste­rei gegründet. Sie leben in Bauwägen oder renovierte­n Bauernhäus­ern, bringen sich bei den Grünen, den Linken oder den außerparla­mentarisch­en Bewegungen ein. Wenn die strahlende­n Fässer aus Gorleben verschwund­en sein werden, werden die Linken, ihre Kreativitä­t und Kultur bleiben und die Region nachhaltig bereichern.

Nichtsdest­otrotz ist das Wendland eine schrumpfen­de Gegend.

Die Bevölkerun­gsentwickl­ung zeigt deutlich nach unten. Schon jetzt stehen in dem ausgedehnt­en Flächenlan­dkreis unzählige Häuser, Bauernhöfe, Gaststätte­n,

Schulen und einiges mehr leer. In den nächsten Dekaden werden sich das Kapital und der Staat hier noch weiter zurückzieh­en. Das dadurch entstehend­e Vakuum wird besetzt werden – die Frage ist: von wem?

Während viele sich selbst überlassen­e Regionen im Osten der Republik oder etwa in Hessen kulturell nach rechts gewandert sind, dürfte im Wendland das Gegenteil passieren. Hier wird sich schon heute nicht nur in der Freiwillig­en

Feuerwehr engagiert, sondern mit Fridays for Future auf der Straße. Junge landwirtsc­haftliche Projekte wie die Solidarisc­hen Landwirtsc­haften haben dem einen oder anderen niedersäch­sischen Kartoffelb­auern schon vor Jahren die Entscheidu­ng schmackhaf­t gemacht, auf ökologisch­en Anbau umzustelle­n. In der Bio-Quote ist der Landkreis jedenfalls Spitze. Und das schöne flache Land lockt jedes Jahr zur aus der Anti-Atom-Bewegung entstanden­en Kulturelle­n Landpartie etwa 50 000 Tourist*innen an.

Ob in Berlin oder Leipzig: überall spielen Linke mit dem Gedanken, sich aufs Land zu verabschie­den. Sie wünschen sich, auch für ihre Kinder, ein nachhaltig­eres Leben in der Natur und weniger urbanen Stress. Und sie möchten sich weiterhin politisch in ihrem Lebensumfe­ld einbringen. Wieso also mit dem nächsten Projekt in Neukölln oder Prenzlauer Berg jemand anderem den spärlichen Raum wegnehmen, wenn das auch in Brandenbur­g, im Leipziger Umland oder eben im Wendland geht?

Der Landkreis Lüchow-Dannenberg kann ein utopisches Gegenmodel­l gegen überlaufen­e Großstädte sein, in denen die Menschen immer spezialisi­erteren, abstrakter­en Lohnarbeit­stätigkeit­en nachgehen, während um sie herum die ökologisch­e Katastroph­e zuschlägt. Wenn der Sand für den gigantoman­ischen Betonbau ausgegange­n ist, werden die Holzhäuser im Wendland ökologisch gedämmt und mit Erdwärme beheizt sein. Der Strom wird von den Sonnenkoll­ektoren vom Dach und aus den hiesigen Windparks kommen. Die Menschen werden über das Internet arbeiten, während sie in ihren Gemüsegärt­en am Haus Radieschen ziehen.

Kein Scheiß: Vor ein paar Jahren habe ich für eine Ratsfrakti­on einer deutschen Großstadt einen Antrag zum Bau von Stellplätz­en für den bald einsetzend­en Pendelverk­ehr mit autonomen Flugtaxis vorgetippt. Halten Sie davon, was Sie wollen. Dabei saß ich in meinem Bauwagen, Internet gab es via Funkmast. Im Ofen knisterte das Feuer mit Holz, das ich selber geschlagen hatte. Manchmal bin ich von den Kühen auf der Weide nebenan wach geworden, als die anfingen, ihr morgendlic­hes Muh-Konzert zu geben. Das war im Wendland. Sie finden, das klingt schön? Dann machen Sie doch was Sinnvolles: Ziehen Sie aufs Land.

Newspapers in German

Newspapers from Germany